Oberpfaffenhofen - Zehn Sekunden vor dem Start ist plötzlich auch Thomas Kuch angespannt. Kuch hat schon viele Shuttle-Starts vom Raumfahrtkontroll-Zentrum aus in Oberpfaffenhofen miterlebt. Eigentlich, so hat er ein paar Minuten vorher noch an diesem Montag gesagt, sei die "Singularität des Ereignisses nicht mehr so gegeben", was in einfachen Worten heißt: Ein Shuttle-Start ist nichts Besonderes mehr. Jedenfalls für den Leiter des Raumflugbetriebs beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Jetzt in diesen letzten Sekunden, in denen nur noch die Stimme des Nasa-Kommentators zu hören ist, blickt Kuch von der Besuchergalerie gebannt auf die große Datenwand des Kontrollzentrums, auf der die Live-Bilder aus Cape Canaveral mit der startbereiten Raumfähre zu sehen sind. In dem Kontrollraum ein Stockwerk tiefer sitzt die Crew von Kuch, die aus sechs Wissenschaftlern besteht und das Ereignis auf ihren kleinen Monitoren mitverfolgt. Für den Start ist allein die Nasa zuständig, Oberpfaffenhofen betreut die europäische Raumstation ISS, an die am Mittwoch die Raumfähre andocken soll. Kuch schaut nicht allein. Die Galerie ist dicht gedrängt mit Besuchern und Fernsehteams.
Denn dieser Montag, dieser Start um 14.56 Uhr deutscher Zeit, ist ein historisches Ereignis. Die Agenturen werden später melden: "Mit einem perfekten Start, wenn auch nur im zweiten Anlauf, hat die US-Raumfähre Endeavour ihre 25. und letzte Reise ins All angetreten." Tatsächlich läuft das Shuttle-Programm aus. Anfang Juli soll zum allerletzten Mal die Atlantis ins All abheben. Danach ist die drei Jahrzehnte währende Ära der wiederverwendbaren Raumfähren Geschichte. Kuch ist davon kaum beeindruckt. Er glaubt, dass in zwei Jahren ein neues Raumfahrtprogramm kommen wird. Was für ihn zählt, ist jetzt der Start. Der erste vor achtzehn Tagen ist wegen technischer Probleme verschoben worden. Kein gutes Omen.
"Ignition", sagt die Nasa-Stimme, und die Fernsehbilder zeigen die Triebwerke, aus denen fette Flammen kommen. "We have a Liftoff." Die Raumfähre bewegt sich aus der Startrampe, gefolgt von einem dichten Feuerschweif. Kuch schweigt, wie die Besucher. Kein lautes Klatschen, keine Magie des Aufbruchs. Der erste Treibstofftank wird abgeworfen, und die Nasa-Stimme sagt, dass alle Systeme gut arbeiten würden; sie weiß auch, dass in 41 Sekunden der nächste Tank dran ist. Acht lange Minuten vergehen so, dann ist die Endeavour im Orbit. Plötzlich ist Applaus zu hören, und auf Kuchs Gesicht ist Erleichterung erkennbar. "Jetzt kann nichts mehr passieren." Und nun wird auch die allgemeine Zurückhaltung klar: Zu sehr ist das Challenger-Unglück von 1986 allen Beteiligten in Erinnerung, als man beim Start schon klatschte und die Raumfähre zum Entsetzen aller am Himmel von Florida explodierte.
Die Crew der Endeavour unter Commander Mark Kelly bringt unter anderem das Alpha-Magnet-Spektrometer, das unter maßgeblicher deutscher Beteiligung entstand, zur ISS. Es dient der Suche nach Antimaterie im Universum.