Transgender:"Wenn ich in den Spiegel geguckt habe, wusste ich, dass es nicht passt"

Ulrika Schöllner lebt 55 Jahre im Körper eines Mannes, heiratet und wird Familienvater. Auf ihrem Weg zur Frau muss sie bürokratische Hürden nehmen und seelische Krisen meistern.

Von Armin Greune, Dießen

In Ulrika Schöllners Biografie gibt es zwei entscheidende Wendepunkte: Den ersten, als sie aus politischen Gründen aus der DDR floh, um im schon immer geliebten Oberbayern neu anzufangen. Der zweite große Wandel in ihrem Leben geschah weit weniger abrupt und zog sich über Jahre hin: Von 2016 bis 2018 wurde aus dem Familienvater Uwe die Person, die Ulrika schon immer sein wollte: "So wie ich jetzt bin, kann ich mich viel besser leiden als zuvor". Während viele nach einer Transition "stealth" leben, also ihre Vergangenheit in der anderen Geschlechterrolle verbergen, geht Schöllner offen und selbstbewusst mit ihrer Veränderung um. Sie hat darüber sogar im Herbst ein Buch veröffentlicht: "Transfrau? Ja, genau!"

Schöllner fühlt sich nach wie vor von Frauen angezogen

Riederau, Ulrika Schöllner

Eine selbstbewusste, strahlende Frau: Ulrika Schöllner hat in drei Jahren den Wandel vom Familienvater zum anderen Geschlecht durchgemacht.

(Foto: Georgine Treybal)

Wer Ulrika Schöllner heute ohne Vorwissen begegnet, kommt nicht auf den Gedanken, dass sie 55 Jahre lang in der männlichen Rolle gelebt hat. An der Tür ihres Eigenheims in Riederau erscheint eine attraktive, hochgewachsene Frau, die mit lebhafter Gestik und strahlenden blauen Augen viel jünger wirkt, als ihr numerisches Alter von 60 erwarten lässt. Sie führt mit ihrer Partnerin Nicole Chilik zwar eine Liebes- aber keine lesbische Beziehung: Chilik, die sich vor fünf Jahren in Uwe verliebt hat, fühlt sich nach wie vor sexuell von Männern angezogen, Schöllner steht immer noch auf Frauen. Deswegen spricht sie auch nicht gern von Transgender oder Transsexualität, sondern zieht den Begriff Transidentität vor: "Es ging mir nie um den sexuellen Aspekt, sondern darum, wie ich mich innerlich fühle."

Anders als viele Menschen, die sich einer Transition unterziehen, war Schöllner in ihrer fehl besetzten Geschlechterrolle keinem lebensbedrohenden Leidensdruck ausgesetzt: "Glücklicherweise habe ich trotzdem bisher ein gutes Leben gehabt, das ich nicht hassen kann." Dass sie mit ihrer Transition von Anfang an offen umgegangen ist, diese aber "nicht als Monstranz vor mir hergetragen habe", musste sie nie bereuen: "Ich habe keine einzige Diskriminierung erfahren" - weder im Job als IT-Beraterin noch im täglichen Lebensumfeld am Ammersee, sagt sie.

Transgender: Ulrika Schöllner lebte 55 Jahre lang als Uwe Schöllner in der männlichen Rolle. Das Foto entstand im Herbst 2015.

Ulrika Schöllner lebte 55 Jahre lang als Uwe Schöllner in der männlichen Rolle. Das Foto entstand im Herbst 2015.

(Foto: privat/oh)

Allerdings musste Schöllner auf dem Weg zur Frau hohe medizinische, juristische und behördliche Hürden absolvieren. Dazu gehörte auch eine gerichtliche Auseinandersetzung mit der Krankenkasse über die Kostenübernahme. Letztlich musste sie ihr Segelboot verkaufen, um die Transition zu finanzieren. Auch heftige seelische Krisen hielt der Weg bereit. Mit Chilik hatte sie eine fachlich versierte Partnerin zur Seite, die ihr physio-psychologisch eine große Hilfe war. Ihr Buch soll Menschen mit ähnlicher Konstellation Mut machen und Ratschläge geben, aber auch den Umgang mit Transpersonen entkrampfen. Es sei aus einer Art Tagebuch heraus entstanden und "bleibt für mich auch eine Aufarbeitung", sagt Schöllner. In der Kindheit habe sie sich nur unbewusst als Mädchen empfunden. In der Pubertät fühlte sie sich dann ganz klar unwohl in ihrer Rolle als Junge. Doch im Militärdienst und EDV-Beruf in der DDR überdeckte sie diese Unzufriedenheit.

Der Dorffunk am Ammersee ist "flott unterwegs"

Auch als sie erst in München und seit 1994 von Riederau aus eine neue Existenz für sich und ihre Familie aufbaute, habe sie "perfekt funktioniert. Nur wenn ich in den Spiegel geguckt hab, wusste ich, dass es nicht passt." Als der jüngere Sohn zum Studium aus dem Haus ging und die Ehe zerbrach, blieb mehr Zeit zur Besinnung auf das eigene Ich.

Auch wenn sich Schöllner während der dreijährigen Therapie meist in Hamburg aufhielt und Genital- und Gesichtsoperationen in Indien machen ließ, sei in Riederau "der Dorffunk flott unterwegs gewesen", wie sie es formuliert. Um die Neugier der Nachbarn zu stillen, entschlossen sich beide, die erste und bislang einzige Lesung aus "Transfrau?..." als Dialog in der Dießener Buchhandlung "Colibri" zu halten. Es wurde aus ihrer Sicht ein großer Erfolg: "Der Laden war proppenvoll und es gab eine sehr interessierte und wertschätzende Fragerunde", sagt Schöllner. Nach diesem Erlebnis ist sie nun bereit für weitere Lesungen in Berlin, Hamburg, München und auf der Leipziger Buchmesse.

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