3,8 Kilometer sind es vom Ammersee bis zur 80 Meter höher gelegenen Schatzbergalm. So ist es zumindest auf einem Wegweiser angegeben, der vor dem "essen's ART" aufgestellt ist, dem Lokal, das schon länger von der Familiengastronomie-GmbH Kleber betrieben wird. Vom Dießener Dampfersteg ist es entlang des Mühlbachs nach 80 Metern das erste Restaurant auf dem Weg in den Ort; entsprechend stetig fließt der Strom der Touristen und Tagesbesucher, die mit dem Schiff oder der Bahn ankommen. Im zweiten, seit kurzem von den Klebers betriebenem Wirtshaus ist alles ganz anders. Auf den ersten Blick wirkt die Lage der Alm weitab vom See und Ort für eine klassische Ausflugsgaststätte alles andere als ideal. Geschäftsführer Peter Kleber sieht die neue gastronomische Aufgabe sportlich: "Das steckt eben die Herausforderung drin. Man lebt ja nicht von der Laufkundschaft hier."
Und die Alm hat durchaus auch Vorzüge aufzuweisen: Während sich an sonnigen Wochenenden in Dießens Seeanlagen und dem Ortsteil Fischerei oft die Menschenmassen drängen, wartet am Schatzberg ein Naturidyll mit Aussicht auf See und Berge. Erholung in himmlischer Ruhe. Kleber zweifelt nicht am Erfolg seines Engagements: Man brächte als langjährige Betreiber von "essen's ART" nicht nur viel Erfahrung mit, sondern auch einen Stamm treuer Gäste. "Man kennt uns hier", sagt Peter Kleber: "Selbst im Winter ist es nicht leicht, bei uns einen Tisch zu bekommen."
Während "unten", wie es im Familienjargon heißt, 45 Gäste im Haus und 65 davor bewirtet werden können, sind es "oben" bis zu 80 in Stube und Wintergarten plus maximal 160 im Biergarten. Und nicht nur die Dimensionen unterscheiden sich: Während die Alm über die Brauerei gepachtet ist, gehört das "essen's ART" seit 2004 der Familie. Die ursprüngliche Inhaberin Karin Kleber genießt nun den Ruhestand, zum Team der GmbH zählen ihre in Breitbrunn aufgewachsene Tochter Isabelle samt Ehemann Peter sowie Isabelles Bruder Sebastian und dessen Frau Deniz.
"Wir haben schon lange etwas Größeres gesucht", sagt Peter Kleber. Kurz vor Ausbruch der Pandemie habe man schon fast die Verträge für ein anderes Objekt am Ammersee unterzeichnet. Die Pandemie ließ sich dank Lieferservice und Essen to go einigermaßen überstehen, so sei es gelungen, bewährtes Personal wie etwa den Serviceleiter Andreas Widmann zu halten. Trotzdem sucht man noch händeringend Mitarbeiter: "Koch, Servicekraft, Küchenhilfe, Spüler (m/w/d)" sind auf einer Tafel an der Almveranda ausgeschrieben.
Für Peter Kleber sind nicht nur das Coronavirus und geringe Gehälter dafür verantwortlich, dass in der Branche ein eklatanter Bewerbermangel herrscht: "Entscheidend sind oft die Arbeitszeiten abends und am Wochenende. Freizeit hat für Arbeitnehmer einen hohen Wert gewonnen." Aber warum werden dann Kinder von Wirten so häufig wieder Wirte? Vielleicht müsse man "zum Dienstleister geboren sein", meint Peter Kleber. "Bei uns ist die ganze Familie positiv gastrobesessen". Und im Fall der Schatzbergalm sei man zudem spontan dem Charme von Haus und Ambiente erlegen.
Die Gastronomie dort besteht seit etwa 90 Jahren und wurde zunächst von Katharina Purr betrieben, die in New York zur Welt kam, nach Jugoslawien auswanderte und dann mit ihrer Familie als Flüchtling in Dießen strandete. Noch heute wird im Ort von ihrem Käsekuchen geschwärmt, dabei ging die Alm 1987 an ihren Enkel Anton über. 25 Jahre lang blieb sie verpachtet, bis Anton Purrs Frau Inga Persson 2013 das Gasthaus übernahm. Doch die promovierte Literaturwissenschaftlerin will sich künftig auf den Pensionsbetrieb der fünf Gästezimmer im Haus beschränken - und mehr Zeit zum Schreiben ihrer Lokalkrimis haben.
Seit dem 15. Januar haben nun die Klebers die Alm gepachtet und an vielen Stellen Hand angelegt. Die Geschwister Sebastian und Isabelle seien "fantastische Handwerker und Gestalter", findet Peter. Aber auch er fand Spaß daran, gebrauchte Möbel und Ausstattungselemente für das Lokal aufzuspüren und aufzuhübschen. Einige Stühle stammten aus dem Jahr 1936, ergänzt Isabelle: "Wir wollen mit unserer Handschrift gastronomische Individualität schaffen." Schon ihre Mutter habe das "essen's ART" wie ein persönliches Wohnzimmer eingerichtet. Die Schatzbergalm aber soll als bodenständig-bayerisches Lokal wahrgenommen werden.
Deshalb dürfe man auch selbstverständlich seine Brotzeit in den im Biergarten mitbringen, betont Peter Kleber. Zum Preis einer Wiesn-Maß kann sich der Gast hier fast zwei vom Allgäuer Büble-Bier leisten. Und das halbe Maishendl vom Grill mit Pommes kostet knapp 12 Euro. Der Biergarten steht von mittwochs bis sonntags stets allen offen, die Gaststätte ist theoretisch auch für geschlossene Gesellschaften gedacht - sie war dazu heuer jedoch schon einen Monat vor der offiziellen Eröffnung ausgebucht. Auch wenn Laufkundschaft rar ist - mehr als acht Mal jährlich will man zufällig vorbeischauende Gäste nicht abweisen müssen, erklärt Isabelle Kleber. Dies gelte ganzjährig, ergänzt ihr Mann Peter: Er freue sich schon auf den Winter, wenn die Fußball-WM live im Lokal zu sehen sein wird.
Ausflugstipp
Natürlich kann man die Schatzbergalm auch auf schmalen Straßen mit dem Auto erreichen. Der einstündige Spaziergang vom See durch den Ort sowie die westlich angrenzenden Wälder und Wiesen ist jedoch eine reizvolle Alternative. Auf dem Weg lassen sich Zinngießereien, Marienmünster und Kloster besichtigen, außerhalb Dießens passiert man das ehemalige Wohnhaus von Carl Orff, das in den nächsten Jahren zum Museum ausgebaut werden soll. Auch vom Ortsteil St. Georgen lassen sich Wanderungen starten: Ein Netz von beschilderten Wegen führt in den Wald und zu den Gipfeln von Schatz- und Burgberg. Am Wanderparkplatz Burgwaldstraße beginnt ein 2,5 Kilometer langer Waldlehrpfad mit 14 Stationen, die über die Naturschätze der Gegend und die Grundlagen der Forstwirtschaft informieren; kleinere Kinder können elf an Wegesrand versteckte Holztiere suchen.
Auf dem Pfad passiert man das in einer Kapelle eingefasste Mechtildisbrünnlein, der Quelle wird von Alters her eine heilende Wirkung zugeschrieben. Weiter westwärts gelangt man zur der seligen Mechtildis gewidmeten Burgkapelle. Der Lehrpfad führt auch zum Gipfel des Schatzbergs, wo eine Hütte mit Sitzbank eine grandiose Aussicht bietet. Die Schatzbergalm liegt dann südlich des Gipfels.