Süddeutsche Zeitung

Dießen:Raumfahrt im Bett

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Unter dem Titel "Das schwarze Loch" zeigen zwanzig Künstler ihre Arbeiten an drei Orten in Dießen

Von Katja Sebald, Dießen

Das schwarze Loch kriecht aus den Ecken, es wabert als gummiartige Masse über den Fußboden, durch den ersten Raum und noch weit in den nächsten hinein. Das schwarze Loch dreht sich als wirbelnder Kreisel auf der Leinwand. Das schwarze Loch ist der winzige Punkt des Ichs, so klein wie die unterste Zeile beim Optiker. Das schwarze Loch wird von unsichtbarem Büropersonal dokumentiert. Und es lässt sich per iPad direkt von einem rotierenden Bett aus ansteuern.

Unter dem Titel "Das Schwarze Loch" sind derzeit Arbeiten von zwanzig Künstlern an drei verschiedenen Spielorten in Dießen zu sehen. Es ist eine ebenso überzeugende wie irritierende, eine ebenso spannende wie poetische Ausstellung.

Die maroden Gebäude der ehemaligen Druckerei Huber dienen als suggestive Bühne für eine ganze Reihe installativer Arbeiten. Die Grenzen zwischen dem ruinösen Restmobiliar und den Kunstwerken sind dabei nicht immer scharf gezogen. Max Weisthoff, der bei Olaf Metzel an der Münchner Kunstakademie studiert, will seine Arbeit "mass" als eine Art Topografie verstanden wissen.

Sie besteht aus etwa 2000 Fahrradschläuchen, die er gewaschen, geschnitten und auf einer alten Industrienähmaschine zu einem riesigen Patchwork zusammengenäht hat. Jeder einzelne Stich, jede Minute, jede Stunde, die er nähend verbracht hat, aber auch jeder Kilometer, den die Schläuche in ihrem früheren Leben abgeradelt sind, ist Teil dieser mit Leben aufgeladenen Skulptur, die durch ihre überraschende, beinahe verstörende Materialwirkung, aber auch durch ihre enorme Präsenz besticht.

In einem kleinen Nebenraum zeigt Ben Goosens seine Videoarbeit "Cosmic Vortex", wie immer ist sie passgenau in ihre architektonische Umgebung eingefügt und mit Musik unterlegt. Von Matthias Rodach ist noch einmal seine enorm wirkungsvolle Installation "Unterwegs" zu sehen, diesmal lässt er seinen stehenden Fährmann in einer düsteren Halle durch eine Halde von abgelegten Kleidern navigieren. Die Assoziation zur Unterwelt liegt ebenso nahe wie die zu den Flüchtlingen auf dem Meer - aber weder das eine noch das andere wird expliziert angesprochen. In einem der ehemaligen Büroräume lässt Rodach außerdem von Scheibenwischermotoren angetriebene Bleistifte kryptische Aufzeichnungen machen.

Andreas Kloker bespielt eine Art "Klassenzimmer" mit einer Installation aus verschiedenen Stühlen, die auf eine Tafel ausgerichtet sind. Wie immer nimmt er mit seiner leisen Lebenspoesie den Betrachter nur ganz sachte an der Hand und lässt ihm viel Freiraum für eigene Interpretationen.

In einen "Freiraum" besonderer Art hat sich mit dieser Ausstellung auch der Taubenturm verwandelt: Im ersten Stock steht ein riesiges, kreisrundes Bett. Der junge Künstler Olsen Wolf lädt hier zur "Geostationären Raumfahrt" ein: Über ein Tablet kann der Betrachter - der in diesem Fall zum "Belieger" wird - das Bett auf einen Himmelskörper ausrichten und im Gleichklang mit ihm rotieren. Auch eine ganze Nacht kann man auf dieser ungewöhnlichen Liegestatt buchen. Die Bildhauerin Katharina Ranftl bespielt die oberen Turmstübchen mit ihren kleinen Schnitzfiguren und einer sehr feinsinnigen Installation zum Thema Tod und Vergänglichkeit.

Jörg Kranzfelder schließlich zeigt, ebenfalls im Taubenturm, nur ein einziges seiner ungewöhnlichen Detailfotos, das aber in seiner kühlen Schwarz-Weiß-Ästhetik und seinem geheimnisvollen Minimalismus umso eindrücklicher ist.

Jörg Kranzfelder war auch Initiator und Motor für das zehntägige sommerliche Kunst-Event, beteiligt sind außerdem noch Elvira Rosenbaum, Josef Pleier, Rita De Muynck, Wolfgang van Elst, Martin Schmidt, Anja Eisen, Michael Lutzeier, Ludwig Haller, János Fischer, Ulrike Kreutzer, Paula Rodach, Eva Lüps, Jolee Kerscher, Victoria Mayer und Oliver Bürgin.

Die Ausstellung in den Räumen der ehemaligen Druckerei Jos. C. Huber, im Taubenturm und im Traidtkasten des Klosters wurde am ersten Wochenende ergänzt durch Performances, am kommenden Wochenende finden noch am Freitag von 20 Uhr an ein Konzert und am Samstagabend, ebenfalls 20 Uhr, eine Lesung im Taubenturm statt. Zur Finissage gibt es am Sonntag von 20 Uhr an ein Künstlergespräch. Mehr Informationen unter der Adresse www.dasschwarzeloch.org.

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Quelle:
SZ vom 11.08.2016
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