Es gelingt immer seltener, eine in der Kirchenmusik entstandene Vakanz nahtlos neu zu besetzen, was oft durch Abstriche in den Konditionen begründet ist. In Dießen lief der Wechsel nahezu perfekt: Nach dem Abgang von Stephan Ronkov an die Stadtpfarrkirche Wolfratshausen trat mit dem Neujahrstag 2025 die Kirchenmusikerin Agata Lichtscheidel ihr Amt als Organistin und Leiterin der Dießener Chöre und des Orchesters an. Ihr Auftritt in der Orgelmatinee am vergangenen Sonntag war nun auch noch zugleich der öffentliche Amtsantritt als musikalische Leiterin der Münsterkonzerte.
Die 43-Jährige bringt eine hochinteressante Vita mit, die mit der Geburt im polnischen Tychy und einer frühen Begeisterung für die Orgel beginnt. Studiert hat sie in Krakau mit einem Sokrates-Erasmus-Abstecher nach Mainz, später in Stuttgart und Detmold. Bereits während des Studiums bekleidete sie stets Organistenstellen. Zuletzt war sie als Stiftskantorin an St. Bonifatius in Freckenhorst und bei der C-Ausbildung für Organisten im Bistum Münster tätig. Zudem hat die Musikerin drei Töchter zur Welt gebracht.
In ihrem Konzerteinstand entschied sich Lichtscheidel nicht etwa für wirkungsvolle, eingängige Literatur, vielmehr für komplexe Raritäten mit hohen Ansprüchen an sich selbst als Interpretin wie an die Hörer. Bachs Fantasie über die Antiphon (Wechselgesang) aus dem 15. Jahrhundert „Komm, Heiliger Geist, Herre Gott“ BWV 651 von 1739, inhaltlich als Ausblick auf das nahende Pfingstfest, bot für die Eröffnung die gebührende feierliche Größe, aber mit ihrer ernst-bedächtigen Thematik im massiven Bass und ihrem komplex phrasierten, dichten Oberstimmengeflecht machte es nicht leicht, der Gesamtanlage zu folgen.
Trotzdem war es noch das eingängigste Werk dieser Matinée. Die nachfolgenden „Vier Skizzen“ op. 58 komponierte Schumann eigentlich nicht für die Orgel, doch nachdem sich der damals neue Pedalflügel nicht etablieren konnte und heute lediglich wenige Exemplare dieses monströsen Instruments als Nachbauten existieren, können sie lediglich an der Orgel gespielt werden. Lichtscheidel berücksichtigte diese Vorgeschichte in spieltechnischer Hinsicht und kontrastierte ein pianistisches Portato vorwiegend in den kraftvollen Rahmenteilen mit lyrischen Einschüben im geschmeidigen Legato bei schlanker Registrierung in den Mittelteilen. Trotzdem blieb die Interpretation nicht unproblematisch, ging es Schumann doch genau darum, mit der Klangfülle des Saiteninstruments zu experimentieren.

Die rhythmisch-metrische Komplexität dieser Studien wurde dennoch deutlich nachvollziehbar, vor allem aber die klangliche Qualität von harmonischen Bezügen, unterschiedlich dichten Texturen und variierenden Strukturen. Und genau das sollte weiterhin auch Thema bleiben, ja sogar noch weit verworrener durchexerziert werden, wobei der nachfolgende Komponist hierzulande wohl kaum jemandem bekannt sein dürfte. Obwohl Lichtscheidels Landsmann Feliks Nowowiejski (1877–1946) aus dem preußischen Ermland als Komponist, Dirigent, Organist, Geiger und Musiklehrer durchaus auch in Deutschland bekannt war. Trotz seiner polnischen Abstammung soll er besser Deutsch als Polnisch gesprochen haben, studierte dann auch in Berlin, unter anderem in der Meisterklasse für Komposition bei Max Bruch, bevor er sich in Krakau niederließ. Seine Werke schafften es bis in die Carnegie Hall in New York.
Selbst der Schlussakkord hielt die Spannung
Nowowiejski gilt zwar als Spätromantiker, doch seine 8. Orgelsymphonie op. 45 machte deutlich, dass diese Zuordnung unbedingt vor dem Hintergrund der östlichen Musiktradition zu sehen ist. Lichtscheidel war zwar sehr darum bemüht, die enorme Fülle an Motiven, Themen und Ausdrucksvarianten transparent darzulegen, dennoch gelang es ihr nicht, alles in eine schlüssige Entwicklungslinie zu bringen. Aber wohl deshalb, weil es da keine gab. Nowowiejski kümmerte sich offenbar nicht um die musikalische Logik, vielmehr um eine emotionale, die sich in einem Wechselbad der Gefühle bemerkbar machte. Der Komponist scheint einem abstrakten Konzept gefolgt sein, bis ein lang ausgehaltener Durakkord für alle Mühen belohnte.
Auch sein französischer Zeitgenosse Charles Tournemire (1870–1939) hatte wohl sein Werk abstrakt konzipiert, sich aber nach Studien in Paris bei Meistern wie César Franck, Charles-Marie Widor und Vincent d’Indy doch weit mehr an tradierte Kompositionsprinzipien gebunden gefühlt. Lichtscheidel fand in dessen „Improvisation sur le Te Deum“ einerseits ein feierliches Werk vom machtvollen Ernst passend zum Abschluss des Konzertes, andererseits aber auch eine nahtlose Fortsetzung ihrer Programmidee in diesem Konzert. Hatte zuvor Nowowiejski mächtig für Verwirrung gesorgt, so kam nun ein ordnendes Prinzip ins Spiel. Auch Tournemire bot eine unentwegt Neues ins Spiel bringende Fülle an Ideen in seinem Werk, aber er vermied allzu abrupte Kehrtwenden und Stimmungsumbrüche. Er sorgte vielmehr für Entwicklungen, fürs nahtlose Hervorgehen und für eine plastische Durchbildung, auch wenn die Schnelligkeit dieser jeweiligen Prozesse für die Hörer eine Herausforderung blieb. Selbst der Schlussakkord hielt die sich immer wieder extrem zuspitzende Spannung aufrecht.