Süddeutsche Zeitung

Tassilo-Preis:Nofretete und die Wellbappn

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Kandidat für den Tassilo-Preis: Schriftsteller und Hörspielautor Sebastian Goy setzt mit seiner Dießener Musik-, Gesprächs- und Vortragsreihe "Letzte Montage" Maßstäbe in intelligenter Unterhaltung

Von Peter Bierl, Dießen

Fröhliche Selbstausbeutung hat Sebastian Goy als Grundlage des Unternehmens bezeichnet, das er seit zwölf Jahren in Dießen betreibt: die Reihe "Letzte Montage" mit Lesungen, Konzerten, Vorträgen, Gesprächen und Filmvorführungen sowie mit mal mehr, mal weniger bekannten Schriftstellern und Musikern, Archäologen und Kunsthistorikern, Regisseuren und Schauspielern, Malern und Bildhauern. Es ist ein Versuch, die Köpfe in der Provinz mit intelligenter Unterhaltung zu durchlüften, Goys Beitrag zum kulturellen Leben am Westufer des Ammersees, dort wo er seit mehr als 40 Jahren gerne, wenn auch mit Unterbrechungen lebt.

Ursprünglich wollte er mit den "Letzten Montagen" die Künstlergruppe um Alexander Netschajew, inzwischen Theaterdirektor in Stendal, unterstützen, die im alten Krankenhaus von Dießen residierte, wo sich heute das Gewerkhaus befindet. Beim ersten Abend im März 2004 trug Goy eines seiner Hörspiele vor. Als sich die Künstlergruppe auflöste, machte er mit seiner Reihe weiter, zog 2008 ins Kultcafé um und ist seit 2011 im Maurerhansl zu finden.

Beeindruckend ist die Vielfalt der "Letzten Montage". Aufgetreten sind bei ihm Hurzlmeier und Rattelschneck, zwei hochkarätige Cartoonisten, Hans Well und die Wellbappn und Regisseur Matti Bauer mit seinem Film "Still". Anton Prestele würdigte Oskar Maria Graf, der Schriftsteller Egon Günther und der Journalist Thies Marsen berichteten von den "Roten Frauen aus Riederau", Bildhauer Christian Tobin stellte sein Werk vor, die Band "Dear Henry Bliss" gab ein Konzert. Die Ägyptologin Rosemarie Klemm sprach über Nofretete, die Schauspielerinnen Elisabeth Günther und Susanne von Medvey sangen und spielten Berliner Songs, begleitet von Friedrich Rauchbauer auf dem Klavier. Zu Zeiten von Dieter Hildebrandt und Sammy Drechsel testete die Münchner Lach- und Schießgesellschaft ein neues Programm vor Dießener Publikum.

Goy, mit bürgerlichem Namen Sebastian Huber, Jahrgang 1943 und gebürtiger Stuttgarter, ist selber Künstler, ein Schriftsteller und Dichter. Zwar hat er eine Ausbildung als Lehrer absolviert und einige Jahre in diesem Beruf gearbeitet, weil sein Vater es so wollte. Der war ebenfalls Literat und in der Familie, mit den sieben Kindern ging es oft knapp her. Deshalb sollte der Sohn einen "Brotberuf" erlernen. Aber der Kriegsdienstverweigerer und Ostermarschierer, der im miefig-piefigen Weilheim von anno 1964 sein Abitur machte, hatte schnell die Nase voll. Schon der Künstlername Goy, abgeleitet vom jüdischen Begriff Goj für Nicht-Juden, war Programm; er bedeutet der Nicht-Gläubige. Der Junglehrer engagierte sich gegen die NPD, die in Dießen Zulauf hatte, und protestierte gegen Richard Jäger, den CSU-Bundestagsabgeordneten, der die Todesstrafe wieder einführen wollte und Willy Brandt Volksverräter schimpfte. Eine Unterschriftensammlung gegen den "Kopf-ab-Jäger" fand bundesweit Beachtung und sorgte dafür, dass der Schulrat Goys Unterricht inspizierte.

Anfangs nebenbei schrieb Goy Hörspiele. Das erste, "Lärm im Stillen", war eine Fingerübung, sagt er heute. 100 Stücke verfasste er im Lauf der Jahre und konnte von den Tantiemen als freier Autor leben. Trotz Familie und zweier Kinder hatte er die Beamtenlaufbahn als Lehrer und später eine feste Redakteursstelle beim Sender Freies Berlin gekündigt. Für das Stück "Frau Holle auf Reisen" wurde Goy 1998 mit dem Deutschen Kinder-Hörspiel-Preis und im Folgejahr mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Die Jury lobte die erzählerische Leichtigkeit, Witz und Situationskomik, alles Markenzeichen, die auch seine Kinderbücher, den Roman "Das Kleine Buch Flann" (1997) und die Gedichte auszeichnen. Im vergangenen Jahr erschien sein poetischer Dialog "Ans Leben verloren", der von den wichtigsten Dingen und letzen Fragen des Lebens handelt.

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SZ vom 06.06.2016
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