Simone Kramer schaut stets nach vorn. Diese pragmatische Haltung hat der 52-Jährigen immer wieder dazu verholfen, neue Kapitel in ihrem Berufsleben aufzuschlagen. Dass sie ausgerechnet zu einer Zeit, als die Corona-Pandemie Deutschland fest im Griff hat, die Eröffnung eines Ladengeschäfts plant, erleichtert ihr das nicht. Aber Kramer glaubt fest an ihr Konzept: Mode für starke Frauen, dazu passende Tücher, Schals, Taschen und Schmuck. „Der Weg zwischen Mut und Übermut ist ein schmaler Grat“, sagt die Unternehmerin, die ihre Antworten gern in kleine Geschichten kleidet. Heute betreibt Kramer – ein echtes Münchner Kindl – in Dießen das Modegeschäft „Prinz Ludwig No.6“ in der gleichnamigen Durchgangsstraße.
Mit ihrer Ausbildung zur Industriekauffrau im Baugewerbe hatte sie eigentlich einen Beruf gelernt, wie er für sie nicht unpassender hätte sein könnte. Als Schülerin sei sie eher verträumt als zielstrebig gewesen, nach dem Realschulabschluss hatte sie Schaufenstergestalterin werden wollen. Stattdessen aber arbeitet sie zunächst als Sachbearbeiterin, später als Buchhalterin bei verschiedenen Münchner Baufirmen. Mittlerweile schätzt Kramer heute lieber die positiven Aspekte des ungeliebten Berufs: Zum einen lernte sie bei der Arbeit ihren späteren Ehemann kennen, mit dem sie seit fast 30 Jahren zusammen ist. Zum anderen konnte sie ihren Businessplan für den Modeladen selbst erstellen, der für eine Kreditaufnahme in mittlerer fünfstelliger Höhe zur Geschäftsgründung nötig war.
Die junge Familie wohnt beengt in München, schon bald nach der Heirat 1998 stellt sich Nachwuchs ein. „Die Wohnungssuche in München war auch damals schon schwierig“, sagt Kramer. Eine Freundin gibt ihr einen Tipp – und so zieht die Familie 2001 um nach Riederau an den Ammersee. Im selben Jahr bekommt Kramer Zwillinge und widmet sich vollständig der Familie. Nach der Elternzeit versucht sie den beruflichen Wiedereinstieg. Nach nur einem halben Jahr ist jedoch klar, dass eine Stelle in München mit langem Fahrweg und drei kleinen Kindern nicht infrage kommt.
Aber Kramer erkennt auch hierin etwas Positives, denn in dieser Zeit wird der Grundstein für ihre nächste Tätigkeit gelegt: Weil ein passendes Accessoire zur beruflichen Garderobe fehlt, fertigt sie sich eben selbst eine Perlenkette. „Das hat schnell weite Kreise gezogen“, erzählt Kramer. So wird aus der Buchhalterin „Die Perlenkramerin“, Kramer macht sich 2006 mit einer Schmuckmanufaktur selbständig. Nebenher jobbt sie und bildet sich unter anderem bei der „Frau und Beruf GmbH“ weiter. „Ich habe das Wissen aufgesaugt“, berichtet Kramer, die sich jetzt als Unternehmerin fühlt.


Zu dieser Entwicklung beigetragen habe auch Edith Sassen von der „Dorfgalerie“ in Planegg. „Sie hat mich gefördert“, sagt Kramer – etwa dadurch, dass sie lernte, die Preise für ihren Schmuck richtig zu kalkulieren. Die Zusammenarbeit begann 2015 bei einer Modeschau, für die Kramer nur den Schmuck liefern sollte, hinter den Kulissen aber tatkräftig mithalf. Daraus wurde ein Midi-Job, den Kramer bis 2022 ausübte. „Bei jedem Seminar, das firmenintern angeboten wurde, stand mein Name auf der Anmeldeliste ganz oben“, erzählt Kramer, die sich auch zum „Social Media Manager“ weiterbildete.
Mode war für Kramer schon immer ein Thema, sie mag schöne Kleidung. Das war ihr bereits als Schülerin so wichtig, dass sie dafür jobben ging. Freundinnen liehen sich gern ihre Klamotten aus, erzählt sie. Später war es für sie auch nicht ungewöhnlich, dass sie und ihre Kinder die gleiche gemusterte Badekleidung trugen: rot mit weißen Punkten. Ihr Hobby Schwimmen hat sich inzwischen zu einem ganzjährigen Vergnügen ausgeweitet, sie ist unter die Winterschwimmer gegangen. Eine halbe Stunde Zeit für das morgendliche Schwimmen nimmt sie sich nun täglich. Das gute Körpergefühl halte auf jeden Fall bis Mittag an, meint Kramer, für die das Baden bei derzeit acht Grad kaltem Wasser keine Herausforderung ist.

Der Weg zum eigenen Geschäft war dennoch nicht leicht. Drei Läden in Dießen hatte sie über die Jahre als potenzielle Mieterin im Visier, doch jedes Mal klappte es in letzter Minute nicht. Erst als im November 2020 der Anruf der Vormieterin kam, die ihr Modegeschäft aus Altersgründen aufgeben wollte, war es so weit – obwohl der Zeitpunkt mitten in der Pandemie kaum ungünstiger hätte sein können. Kramer hatte man empfohlen, einen Online-Handel aus der Garage aufzuziehen, aber sie will ein Ladengeschäft. Die Hindernisse sieht sie als Prüfsteine. Kramer traut sich die Aufgabe zu, ist perfekt vorbereitet – und eröffnet nach einem Jahr Vorlaufzeit am 8. März 2022 ihr Geschäft. In dieser kleinen Oase der schönen Dinge finden auch Abendveranstaltungen statt, sie ist gern Gastgeberin. Und in ihrem Mut, einen stationären Einzelhandel in schwierigen Zeiten zu betreiben, wird sie auch von anderen „Mutmachern“ bestärkt.
Nach gut zwei Jahren zieht sie eine positive Bilanz: Goldene Zeiten des Einzelhandels habe sie zwar nicht erlebt, aber sie ist zufrieden. Durch ihre Beiträge in sozialen Netzwerken hat sie sogar außerhalb der Region Kundinnen auf sich aufmerksam gemacht. Die schauen zum Beispiel dabei zu, wie sie ihren Look den aktuellen Weihnachtsfilmen anpassen können oder welche Teile gerade neu im Laden eingetroffen sind. Ihre Schaufenster dekoriert Kramer selbstverständlich selbst, obwohl sie dafür weder Zertifikat noch Abschluss hat: Sie „macht einfach“.