Dießen:Maximale Emotion

Daniel Röhn und Paul Rivinius geben ein Befreiungskonzert

Von Reinhard Palmer, Dießen

Das Konzept für dieses Konzert der Ammerseerenade stammte offenbar von Geiger Daniel Röhn selbst. Er griff den Titel des Höhepunkts des Festivals am Sonntag mit Anne-Sophie Mutter auf, um seine Sicht auf die Thematik umzusetzen. "Befreiungskonzert" überschrieb er sein Programm für den Saal im Augustinum Dießen. Mit Paul Rivinius am Flügel machte er vor allem mit "Nigun" aus "Baal Shem" von Ernest Bloch seine Idee deutlich. Die jüdische Melodie gilt als Weg zu höherem Bewusstsein und zur Veränderung des Selbst. Der schweizerisch-US-amerikanische Komponist Bloch war mit der jüdischen Kultur und mit dem kabbalistischen "Mysterium" vertraut. "Wenn Worte der Schreibstift des Herzens sind, dann ist Singen der Schreibstift der Seele", lehrte Rebbe Schneor Salman von Liadi. Während Worte das Göttliche hinuntertragen, schickt das Singen (Musik) die Seele zu Gott. Rivinius und Röhn setzten denn auch das Werk hochemotional und mit eindringlicher Inbrunst um, zwischen brillant-virtuoser Anrufung und innigem Gebet. Arvo Pärts "Fratres" war dazu die nordische Entsprechung. Eine elegisch sinnierende Meditation, die sich zu großen Hymnen verdichtete und intensivierte. Mit wenig Geschehen maximale Emotion, mit Askese im Tonmaterial breite Monumentalität. Der Weg zum höheren Bewusstsein führte durch Befreiung von allem davon, was nicht unmittelbar dem Ausdruck dient.

Bei Beethoven ist der Befreiungsakt zunächst formaler Natur. Die Frühlingssonate op.24 befreite sich vom Zwillingswerk durch einen Fehler des Notenstechers. Aber auch inhaltlich hat dieses Werk einen befreienden Charakter, was schließlich zum Beinamen Frühlingssonate führte. Wohltuend erfrischend mit lyrischer Leichtigkeit, ja geradezu ätherisch kam sie denn auch in der Interpretation des Duos Röhn und Rivinius daher. Der langsame Satz hob förmlich ab in beseelte Sphären des Schöngesangs. Spritzig das Scherzo, entschieden, bisweilen fast romantisch blühend das Finale mit einem resoluten Schluss, der die Bodenhaftung zurückgab.

Die Kreutzersonate befreite sich indes vor allem örtlich von der Uraufführung im Wiener "K. K. Augarten". Während der Afro-Europäer George Bridgetower an der Violine wohl vom Blatt spielte, musste Beethoven am Klavier aus seinem noch fragmentarischen Manuskript improvisieren. Mit breiter Palette an sorgfältig austarierten Nuancen und narrativer Klangdifferenzierung wie emotional höchst aufmerksamer Wendigkeit behielt das Duo die improvisatorische Diktion bei, was sich naturgemäß dem Mittelsatz "Andante con Variazioni" am zuträglichsten zeigte. Röhn und Rivinius vermochten mit ausgeprägtem Gespür für Charakterbildung zu fesseln und bisweilen auch zu überraschen. Wieniawskis Caprice Nr. 4 a-Moll (von Kreisler arrangiert) in der bravourös-virtuosen Zugabe.

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