Dießen:Gut verdienen im Europa-Parlament

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Eine Schülerin, EU-Abgeordnete Ulrike Müller, Vize-Direktor Hermann Deubzer und EU-Parlamentsmitglied Brigitte Klingenberger (v.li.) mit Europafahne. (Foto: Nila Thiel)

Die Abgeordnete Ulrike Müller aus dem Allgäu erzählt in der Mädchenrealschule in Dießen offen über ihre Arbeit

Von Armin Greune, Dießen

Mit Ulrike Müller habe die Mädchenrealschule Dießen einen Glücksgriff gelandet, davon ist Brigitte Klingenberger vom Münchner Büro des Europaparlaments überzeugt. Die Freie Wähler-Abgeordnete aus dem Allgäu komme als Bäuerin aus einfachen Verhältnissen und beweise, dass man es auch mit Mittlerer Reife in der Politik weit bringen könne. Tatsächlich erweist sich Müller den Schülerinnen gegenüber als frisch und geradeaus, berichtet offen über Vor- und Nachteile ihrer Karriere. "Ich habe in meinem Leben noch nie so viel Geld gehabt, wie heute", sagt die 54-Jährige zum Beispiel.

Bevor die Politik zum Hauptberuf wurde, war sie Milchbäuerin auf einem 1000 Meter hoch gelegenen Hof mit 70 Kühen. Zu den Nachteilen des Jobs als Parlamentarierin zähle, dass sie kaum noch daheim bei der Familie ist. Am Tag vor dem Termin in Dießen war sie noch in Straßburg, zum Wochenauftakt und -ende steckt sie als Pendlerin sieben Stunden in Zügen oder Flugzeugen. Und nächste Woche geht es auf eine fünftägige, prall mit Programm gefüllte Reise nach Sri Lanka.

"Die Fahrtzeiten habe ich total unterschätzt. Mein Mann ist richtig sauer", erzählt Müller in der fast vollen Schulturnhalle. Aber nach 36 Ehejahren und als mehrfache Oma sei sie sich seines Rückhalts doch ziemlich sicher. "Wenn man gute Politik machen will, muss man geerdet sein", sagt die Abgeordnete. Und für ihr junges Publikum hält Müller, die in den Ausschüssen für Umwelt, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit sowie Landwirtschaft arbeitet, auch gleich einen pragmatischen Rat bereit: Die jungen Frauen sollen bei Cremes und Shampoos auf das Kleingedruckte achten und Produkte mit Parabenen meiden, weil die dem Hormonhaushalt schaden.

Müllers rundweg sympathischer Auftritt in der Liebfrauenschule ist für 114 Zehntklässlerinnen krönender Abschluss von Projekttagen, an denen sie selbst Europapolitiker spielen durften. Auf Initiative des Konrektors Hermann Deubzer wurde die Mädchenrealschule als eine von knapp 20 deutschen Lehranstalten ausgewählt, die heuer an der "Europäischen Politiksimulation (EPS)" teilnehmen, die das EU-Parlament und die zur Ernst Klett AG gehörige "Eurosoc" GmbH anbieten.

Begleitet von vier Referenten tagt zwei Tage lang in zwei Klassenzimmern das Europaparlament, in den anderen beiden trifft sich der Ministerrat. Ziel ist, eine europäischen Richtlinie zur Einwanderungs- und Asylpolitik der EU zu verabschieden: Dieses aktuelle Thema wurde bereits vor vier Jahren für die EPS erarbeitet. Politiker, Lobbyisten und Journalisten diskutieren über den Vorschlag der EU-Kommission für eine gesetzliche Regelung. Spielerisch lernen die Schülerinnen so politische Entscheidungsprozesse und Institutionen kennen. Dabei schlüpfen die 15 bis 17 Jahre alten Mädchen in bis ins Detail ausgearbeitete Rollen. Etwa in die des polnischen Innenministers, der "sich als knallharter Anwalt der polnischen Bauern einen Namen gemacht hat" und zu "häufigen cholerischen Ausfällen" neigt.

Da passt es, dass sich Müller angesichts von zwei sich im Europaparlament prügelnden britischen UKIP-Abgeordneten "Sorgen darüber macht, wie sich Europa darstellt." In der Fragestunde möchte eine Schülerin auch wissen, wie es dazu kam, dass Müller 2014 EU-Politikerin werden wollte. Sie wollte das eigentlich gar nicht, sei aber von Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger überredet worden, antworte sie. Dann aber habe sie 70 000 Euro Privatkapital in ihren Wahlkampf gesteckt und 10 000 Plakate geklebt.

© SZ vom 31.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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