Europawahl in Starnberg:„Wir können froh sein, die EU zu haben“

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Marian Cammerer ist Vorsitzender der CSU Dießen - und gut vernetzt im Parteiapparat. (Foto: CSU Landsberg)

Marian Cammerer ist 28 und der einzige Kandidat aus dem Fünfseenland für das Parlament in Straßburg. Chancen auf ein Mandat hat er zwar keine – dafür aber Ambitionen.

Interview von Viktoria Spinrad, Dießen

Wahlkampfstand, Radeln mit Söder, Radom-Besichtigung, Skisprungschanze: Dafür, dass er mit Listenplatz 44 metaphysisch kaum eine Chance auf einen Sitz im EU-Parlament hat, legt sich Marian Cammerer ganz schön ins Zeug. Umtriebig – so kennen die Menschen den 28-Jährigen in seinem Heimatort Dießen. Seit 2019 ist der Tech-Unternehmer stellvertretender Landsberger Kreisvorsitzender der CSU, seit 2021 Ortsvorsitzender in Dießen und seit 2023 auch Kreisvorsitzender der Jungen Union. Und nun sieht man ihn auf den Wahlplakaten neben Spitzenkandidatin Angelika Niebler. Ein Gespräch über Handykabel, Ladesäulen und das Wählen mit 16.

SZ: Wenn Sie über ihren heutigen Tag nachdenken – wo steckt da die EU drin?

Marian Cammerer: (Überlegt kurz) Zum Beispiel in meinem USB-C Handy-Ladekabel. Dass der demnächst Standard wird, für jeden Laptop, jedes Handy, jedes Tablet – das ist eben auch der Geist der EU.

Laut einer Umfrage weiß ein Drittel nicht, was die EU mit ihrem Alltag zu tun haben soll. Ist die EU zu schlecht in Eigen-PR?

Leider kommen meist negative Dinge wie die Bürokratie durch. Die EU ist in vielen Dingen nicht perfekt. Aber gerade wir jungen Menschen können froh sein, sie zu haben. Wir können innerhalb der EU ohne Grenzkontrollen reisen, europaweit dank Erasmus studieren, mit einer Währung bezahlen, zollfrei handeln, im mobilen Internet ohne Roaming-Gebühren surfen. Das alles haben wir der EU zu verdanken.

Waren Sie eigentlich schon mal in Straßburg?

Ja, beruflich. Eine schöne Stadt. Brüssel im übrigen auch.

Dort hinziehen werden Sie zumindest diesmal aber nicht. Mit Listenplatz 44 haben Sie keine Chance – dafür müsste die CSU in Bayern knapp 300 Prozent der Stimmen bekommen. Warum tun Sie sich den Wahlkampf überhaupt an?

Mir ist wichtig, dass grad’ auch die junge Generation Flagge zeigt für die Zukunft Europas. In der Weltpolitik können wir nur gesamteuropäisch agieren. Deshalb müssen wir auch die guten Seiten von Europa vorstellen. Und die Spitzenkandidaten können auch nicht überall gleichzeitig sein. Die Leute vor Ort brauchen Ansprechpartner vor Ort, die ihre Fragen beantworten können. Sei es zu Frieden und Sicherheit, Migration. Oder warum Manfred Weber beim letzten Mal nicht Kommissionspräsident geworden ist, obwohl er ja Spitzenkandidat war. Da muss man erklären, dass es für ihn keine Mehrheit gab im EU-Parlament.

Am Infostand der CSU Landsberg mit dem Bundestagsabgeordneten Michael Kießling (im Anzug) und der Europa-Abgeordneten Angelika Niebler (im Trenchcoat). (Foto: CSU Landsberg)

Diesmal können erstmals auch 16-Jährige bei der Europawahl wählen. Die Union war dagegen. Sie als Jungpolitiker befürworten aber doch sicher die politische Partizipation der Jugend?

Ich finde, das aktive und das passive Wahlrecht sollten miteinander gekoppelt sein. Ich bin gespannt, wie viele 16-Jährige am Ende tatsächlich wählen gehen.

Was spricht dagegen? Jugendwahlstudien haben gezeigt, dass es praktisch keine Unterschiede beim politischen Interesse und Wissen gibt zwischen 15-Jährigen und 20-Jährigen.

Es geht ja nicht nur ums Bescheid wissen, sondern auch um das Grundsätzliche. Das Wahlrecht ist eines der höchsten Bürgerrechte – darauf fußt unsere Demokratie. Es sollte an die Bürgerpflichten, die aus Volljährigkeit und Strafmündigkeit entstehen, gekoppelt sein. Und wenn ich mir die Ergebnisse der U18-Wahl ansehe, dann ist das schon besorgniserregend mit der AfD an dritter Stelle in Bayern. Das war sicher nicht die Absicht, als der Bund das Wählen ab 16 beschlossen hat.

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Der neue AfD-Spitzenkandidat sprach zuletzt in Starnberg davon, die EU brauche einen Exorzismus. Andere meinen: Europa soll sterben.

Das kann ich nicht nachvollziehen. Geschäftsmäßig bin ich öfter in Großbritannien. Die jungen Leute dort hätten sich gewünscht, dass sie in der EU geblieben wären. Manche kommen jetzt zurück, weil sie das Gefühl haben, die Versorgungssicherheit ist nicht mehr dieselbe. Das Land hat sich wirklich keinen Gefallen getan.

Auf einer Wahlkampf-Radltour von Landsberg nach Stegen führt Cammerer die Spitzengruppe an. Links flankiert ihn Söder mit E-Antrieb. (Foto: CSU Landsberg)

Mal zurück nach Dießen. Auf ihren sozialen Kanälen sieht man Sie mit vielen Autobildern und beim Tanken an der E-Ladesäulen. Sie arbeiten auch in dem Bereich. Die EU hat ein Verbrenner-Aus für 2035 beschlossen. Die CSU will es kippen. Aber der Beschluss kommt Ihrer Branche doch entgegen?

Ich glaube nicht, dass wir der Mobilitätswende mit dem Verbot einen Gefallen tun. In vielen EU-Ländern fehlen Ladeinfrastruktur wie Stromversorgung. 2035 ist einfach zu früh, da braucht es noch ein paar Jahre.

Aber die Erfahrung lehrt doch: Ohne sportliche Deadline kommt kein Zug in die Dinge.

Man muss Energie- und Mobilitätswende zusammen denken. Wir brauchen bidirektionale Ladenetze, wir brauchen stationäre Stromspeicher, wir brauchen flächendeckende erneuerbare Energien. Und weniger Vorschriften. Wenn in Dießen seit drei Jahren ein Solarfeld blockiert ist, weil eventuell eine alte Römerstraße darunterliegt, frage ich mich schon: Um was geht es hier eigentlich?

Die CSU weiß um die Kraft glänzender Wahlkampfbilder. (Foto: CSU Landsberg)

Ein Schwenk zum Reizthema Migration: Viele Menschen im Fünfseenland aus der „Flüchtlingswelle“ von 2015 arbeiten mittlerweile, etwa als Lagerhelfer oder Spüler. Jobs, die sonst keiner machen will. Wer soll diese in Zukunft übernehmen, wenn Europa nun zur Festung wird?

Ohne Arbeitsmigration wird es nicht funktionieren. Schauen wir in die Gastro, in die Pflege. Wir brauchen dringend Fachkräfte. Wichtig dabei ist, dass nicht Schlepper entscheiden, wer in dieses Land kommt, sondern die europäischen Mitgliedsstaaten. Es kann nicht sein, dass ein Bürgermeister wochenlang nicht weiß, wann der Bus mit den Menschen kommt und dieser dann nachmittags am 31. Dezember aufschlägt. Integration muss am Schluss in den Kommunen auch geschafft werden. Deswegen der Plan für eine gerechte Verteilung über alle Mitgliedstaaten und Flüchtlingscamps an den EU-Außengrenzen.

Ein umstrittener Ansatz, der nach acht Jahren mit Gegenstimmen von AfD und Grünen beschlossen wurde. Unumstritten ist hingegen Ihr politischer Ehrgeiz. Sie waren mit Söder und Niebler radeln. Was nimmt man da als Nachwuchspolitiker mit über das Wahlkampf-Machen?

Das war eine sehr coole Veranstaltung. Keine Frontalbeschallung, dafür nah an den Menschen. Was ist los bei den Menschen vor Ort? Was bewegt sie? Es ist wichtig, das die Leute zu fragen. Dann fühlen sie sich auch vertreten und nicht bevormundet. Und: Ohne Netzwerk geht gar nichts. Bei so einer Veranstaltung kann man dann auch mal mit dem Ministerpräsidenten ganz offen über Persönliches sprechen.

Die EU in drei Worten?

Sicherheit, Freiheit und Gemeinschaft.

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