Der Wald liegt dem Dießener Heimatverein gerade besonders am Herzen: Mit einer Kunstausstellung, einem bebilderten Vortrag und einer Diskussionsrunde ist man dem Thema auf ästhetischer, wissenschaftlicher und forstpolitischer Ebene nachgegangen. Dabei lassen sich aufschlussreiche Einblicke gewinnen, warum der notwendige Umbau von Monokulturen in stabile Mischwälder im Alpenvorland zäher voranschreitet, als es die Klimaerwärmung eigentlich erfordert.
Bevor aber der Dießener Revierförster Andreas Brem im Blauen Haus diesbezüglich aus dem Nähkästchen plauderte, lud der Romancier, Buchautor und Wissenschaftsjournalist Claus-Peter Lieckfeld zu einer Entdeckungsreise in den Waldboden ein. Der Windacher hat gemeinsam mit Veronika Straaß die Texte zu einem Buch verfasst, das Anfang März erschienen wird: Unter dem Titel „Drecksarbeit“ wird „der Mikrokosmos unter unseren Füßen“ anschaulich vorgestellt – was vor allem den Fotografien von Nicole Ottawa und Oliver Meckes zu verdanken ist. Dem unter dem Namen „Eye of Science“ firmierenden Team sind im Rasterelektronen-Mikroskop plastisch wirkende Aufnahme von Bodenorganismen gelungen, die sie aufwendig nachkolorieren. Bei einigen hundert- bis tausendfacher Vergrößerungen wirken so Springschwänze, Rädertierchen oder Hornmilben wie Erscheinungen von fernen Planeten.
Der heute nah des Ammersees lebende Lieckfeld war bereits mit von der Partie, als der legendäre Schriftsteller, Journalist und Fernsehmoderator Horst Stern 1980 das Umweltmagazin „Natur“ gründete. Neben Texten etwa für „Geo“, „Merian“, „Mare“ oder das SZ-Magazin hat er auch Beiträge für Kabaretts wie die Lach- und Schießgesellschaft geschrieben. Seinen Witz bewies er auch am Vortragsabend im Blauen Haus: Mit selbstironischem Augenzwinkern stellte er voran, er arbeite „mit dem Mut der Journalisten: Bei mir stimmt alles – außer Zahlen, Daten und Fakten.“ Dessen ungeachtet verdutzte Lieckfeld die rund 40 Zuhörer mit der Tatsache, dass ein Teelöffel Walderde etwa 25 000 Algen, 120 000 Pilze und 100 000 Bakterien enthält. Letztere seien weder Tier noch Pflanze: „Bakterien verlieren keine Zeit durch Partnersuche und Sex“ – und legten dennoch eine explosionsartige Vermehrung an den Tag.
Das Edaphon, also die Gesamtheit der im Boden lebenden Organismen, wird beim wortgewaltigen Windacher zum „unterirdischen Kleinsttierzoo“, als „persönliches Highlight“ verortet er dort die Schleimpilze. Und Regenwürmer, die Riesen unter den „Erdmachern“, seien als „Meister der Verwertung Schlüsselfiguren in den Stoffkreisläufen der Natur.“
Damit schlägt Lieckfeld den Bogen zur gegenwärtigen Lage des Waldes: Dem jüngsten Zustandsbericht zufolge zeigten vier von fünf untersuchten Bäumen Krankheitssymptome. Aus seiner Sicht ist eine Abkehr vom anfälligen Altersklassenwald, in dem sich alle Bäume im gleichen Wuchsstadium befinden, dringend erforderlich. Dass der Umbau von der „monokulturell geprägten Holzplantage“ zum vielschichtigen und artenreichen Dauerwald nicht rascher voranschreitet, sei auch die Folge einer zur NS-Zeit entstandenen Jagdgesetzgebung, die das Wohl von Wild und Jäger über das des Waldes stelle. Rehe aber seien die „natürlichen Fressfeinde der Mischwälder“ – denn „die kleine braune Heckenschere“ verschone als „Leckermaul“ im Jungwuchs bloß die Fichten, erklärt Lieckfeld.
Schützenhilfe bekommt er in der anschließenden Gesprächsrunde von Andreas Brem, der den Staatsforstbetrieb Landsberg im Revier Dießen vertritt. Dort sei die Wilddichte inzwischen kein Problem mehr: Dank scharfer Bejagung sei es nun sogar wieder möglich, in seinem Staatsforstrevier Sämlinge der besonders verbissgeplagten Tannen ohne Umzäunung aufzuziehen. „Der Klimawandel verschafft uns dennoch dauerhaft Mehrarbeit“, sagt Brem: Stürme, Schneebruch und Kalamitäten hätten dazu geführt, dass sogenanntes Schadholz inzwischen 40 Prozent des Jahreseinschlags ausmache.
Auf die kritische Frage aus dem Publikum, inwieweit die Bayerischen Staatsforsten nicht in erster Linie finanziellen Ertrag anstrebten, antwortete Brem, dass dies zwar bei der Forstreform vor zwanzig Jahren anfangs im Vordergrund gestanden sei. Doch mittlerweile hätten die Förster vor Ort mehr Handlungsspielraum, um ökologisch und nachhaltig zu handeln. Das Ziel, klimatolerante Mischbaumarten zu fördern, könne aber nicht überall gleich schnell umgesetzt werden: In seinem Einflussbereich ginge das etwa am Dießener Hirschberg wesentlich langsamer als im Riederauer Forst. Der Grund dafür ist auch Brem ein Rätsel.
Was den Privatwald und dessen klimagerechten Umbau betrifft, hat der Förster allerdings auch frustrierende Erfahrungen gemacht. Er erzählt von der Unbelehrbarkeit einiger Waldbesitzer, die unbeirrbar am vermeintlichen „Brotbaum“ Fichte festhielten: „Das geht manchmal so weit, dass der Einzige im Dorf, der einen nachhaltigen Mischwald aufbaut, sogar noch von den übrigen Waldbauern gemobbt wird“, sagt Brem.
Der Windacher Helge Lindenmüller hat dagegen längst seine Lehren aus den Katastrophen im Wald seiner Familie gezogen: 1946 hätten Sturm und Borkenkäfer erstmals in den Beständen gewütet, 1990 schlugen die Orkane Vivian und Wiebke zu: „Wir haben immer wieder nur reagieren können.“ Waldbauern könnten zwar Fördermittel für die Begründung artenreicher Mischbestände beanspruchen, das erfordere jedoch „ein Abwägen zwischen Anreiz und Bürokratie“. Schließlich appellierte Lindenmüller noch an das Publikum, nicht wegen des Klimaschutzes auf Christbäume zu verzichten: Dort, wo man sie nach fünf bis sieben Jahren Wachstum fällt, werden ja wieder neue Kulturen angelegt, die so viel CO₂ binden, wie mit der Ernte der Vorgänger freigesetzt wird.
Zu Lieckfelds eher pessimistischen Blick auf die Forstpolitik passt auch ein Großteil der im Blauen Haus unter dem Motto „Waldsichten“ ausgestellten Werke. Rüdiger Tillmann hat mit fotorealistischem Blick, Tusche und feinstem Pinsel bestechend realistische Zeichnungen angefertigt. Sie geben mehr oder minder von Krankheit oder Zerstörung gezeichnete Wälder im Harz, Sachsenwald oder Bayerischen Wald wieder. In diesen filigranen Schwarzweißdarstellungen glaubt man jedes Blatt und jede Nadel erkennen zu können; eine Farbe gestattet sich Tillmann nur auf dem Bild einer Uferlandschaft, wo Kreidefelsen am blauen Meer stehen. Viele der ausgestellten Arbeiten sind als Illustrationen in der neuen Buchreihe „European Essays on Nature and Landscape“ abgedruckt, zu der auch Claus-Peter Lieckfeld eine Monografie über die Heide verfasst hat.
Der Münchener Künstler Stephan Conrady hat zur Ausstellung monochromatische Acrylgemälde beigesteuert, die skizzenhaft eine eher mythische Waldsicht wiedergeben. Unter der schützenden Kuppel der Bäume befinden sich zumeist drei Menschen, die Situation erinnert an eine Theaterszene. Einen freien, eher spielerischen Zugang zum Thema hat die Dießener Künstlerin Nue Ammann gesucht. In ihren zwei raumgreifenden Installationen „Hausfriedensbruch“ und „Watch Yourself“ findet man unter anderem Birkenrinde, einen goldenen Schafstorso, ein Zelt oder ein Haus aus Pappmache. Diese jüngst entstandenen Assemblagen erzählen Geschichten, die sich in der Fantasie des Betrachters weiterspinnen lassen. Dazu hat Ammann, die auch schriftstellerisch arbeitet, einen prägnanten Spruch gestellt: „Das Dasein ähnelt einem Fortsein des Wesentlichen.“