Junge Menschen haben ein besonderes Verhältnis zur Demokratie. Nein, das muss nicht heißen, dass sich „die Jugend“ überhaupt nicht für demokratische Prozesse und politische Teilhabe interessiert. Aber: Blickt man auf die Leser- und Zuschauerzahlen der Tageszeitungen und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR), wird klar: Die Tagesschau um 20 Uhr ist längst kein fester Bestandteil des Terminkalenders eines Heranwachsenden. Und auch sonst hört man oft: Die Jugend kann mit der Demokratie nicht mehr allzu viel anfangen und zeigt zu wenig Engagement für deren Erhalt.
Wie also kann der Jugend Demokratie schmackhaft machen? Bei der Dießener Aktionswoche gegen Rechtsextremismus spielte am Donnerstag auch diese Frage eine Rolle. Denn: „Die Jugend spielt eine Schlüsselrolle“, erklärt Gemeinderat Marcus Noack (SPD), der den Diskussionsabend zur Rolle der Jugend bei der Aktionswoche „Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen“ des Dießener Bündnis für Demokratie und gegen Rechtsextremismus im voll besetzten Saal des „Blauen Hauses“ eröffnet.
Bei der Jugend wiederum spielt ein Medium eine Schlüsselrolle: das Internet. Dort tummeln sich neben den seriösen Tageszeitungen und dem ÖRR allerhand Gestalten, die um Aufmerksamkeit buhlen und mit zugespitzten Aussagen die Algorithmen so manipulieren, dass ihre Inhalte ganz oben stehen und verlässliche Informationsquellen zunehmend verdrängen. Im Netz verbringen junge Menschen viel Zeit, stellt Delian Schnebel fest, der kurz vor seinem Studienabschluss in Politikwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) steht. Einflussreiche Influencer wie Andrew Tate würden dabei eine besondere Gefahr darstellen.
Für Schnebel sind soziale Medien „ein Nährboden für populistische Äußerungen“. Der Referent für das Gesellschaftswissenschaftliche Institut München für Zukunftsfragen erklärt: „Wer werden den Populismus nicht auf seinem eigenen Boden schlagen können.“ Deshalb geht Schnebel in Schulen, um dort im Rahmen der neuen Verfassungsviertelstunde mit den Schülerinnen und Schülern zu arbeiten und ihnen die Demokratie näherzubringen. In diesen 15 Minuten sollen sich nach den Vorstellungen des Kultusministeriums die Schülerinnen und Schüler anhand aktueller und lebensnaher Beispiele mit zentralen Werten des Grundgesetzes und der Bayerischen Verfassung auseinandersetzen. „Demokratie muss sich immer neu rechtfertigen“, sagt Schnebel.
In den Schulen würden fast alle antisemitische Whatsapp-Sticker kennen, häufig gebe es auch Vorfälle dazu. In solchen Fällen zieht die Schulleitung, so sie informiert wird, die Polizei hinzu, die ermittelt und Anzeigen ausspricht. Aber darüber hinaus sei es nötig, dass das Geschehen aufgearbeitet wird und die Schulleitung sich erklärt. Sonst könne es geschehen, dass „aus der Faszination an dem Verbotenen Verständnis für das Verbotene wird“, erklärt Schnebel. Im Klartext: Es besteht die Gefahr, dass antisemitische, rechtsextremistische oder rassistische Botschaften aus dem Netz Anklang bei ihren Empfängern finden. Ein mögliches Gegenmittel: die Adressaten nach den Beweggründen für ihr Handeln fragen. „Warum findest Du das lustig?“, wäre zum Beispiel eine Frage, die im Zusammenhang mit solchen Stickern gestellt werden könnte. Schnebel empfiehlt, mit den Erlebnissen zu arbeiten, die die Schülerinnen und Schüler bereits gemacht haben: Kleiner denken, persönlicher denken, zuhören.

Aber reicht das? Bei dem von BR-Hörfunkjournalist Thies Marsen moderierten Abend in Dießen wurde klar: Man muss auch auf die aktuelle Lebenssituation junger Menschen eingehen. „Die Strategie ist schon zuhören“, sagt Pascal Wessely vom Jugendbeirat Dießen. Alina Weber (Jusos Landsberg) weist auf die Probleme der Jugendlichen hin, die während der Pandemie erwachsen wurden, und nun mit Kriegen in der Ukraine und Nahost, der schwierigen wirtschaftlichen Lage, Klimawandel und Wohnungsnot konfrontiert sind. Komplexe Probleme, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Aber man muss die daraus resultierenden Sorgen ernst nehmen.
Bürgermeisterin Sandra Perzul (Dießener Bürger) will neben Aufklärungsarbeit in den Schulen auch bei den Eltern ansetzen. Einen Begegnungsort für Kunst und Kultur im Künstlerort Dießen schlug Michael Lutzeier (Die Partei) vor. Im Anschluss gab es viele Fragen, die zum Teil auf persönlich gemachten Erfahrungen beruhten, die deutlich machten, dass es nicht um ein abstraktes Problem, sondern um reale Gefahren geht.
Die Aktionswoche „Demokratie stärken- Rechtsextremismus bekämpfen“ wird von zwei Ausstellungen begleitet – zu sehen täglich bis 1.12. von 10 Uhr bis 19 Uhr im Blauen Haus Dießen. Am Samstag, 30.11. wird um 20 Uhr der Film „Die Welle“ gezeigt und nachbesprochen. Am Sonntag, 1. 12., um 19 Uhr gibt es ein Podiumsgespräch unter dem Titel „Die extreme Rechte vor der Machtübernahme? Die Situation in Bayern im Jahr vor der Bundestagswahl“ mit Journalist Robert Andreasch und Hörfunkjournalist Thies Marsen.