Süddeutsche Zeitung

Buchladen in Dießen:Wie der "Colibri" sich gegen die Internet-Riesen behauptet

In nur einem Jahr hat sich das Geschäft als Treffpunkt etabliert und das Kulturleben bereichert. Die Mehrzahl der Kunden sind Frauen, das merkt man an einem der Bestseller.

Von Armin Greune

Der erste Geburtstag und es gibt mehr als bloß einen Grund zu feiern. Nicht nur, dass dem "Colibri" wirtschaftlicher Erfolg beschieden ist. Die Arbeit darin macht den Inhabern Ulrike Kreutzer und Anton Gruber auch weiter richtig Spaß. Und der kleine Buchladen mit dem winzigen Vogel im Emblem hat sich als Künstlertreffpunkt etabliert. Mit vielen Lesungen und Konzerten ist es binnen zwölf Monaten gelungen, das Kulturleben am Ammersee beträchtlich zu bereichern.

Das war auch beim Fest zu spüren, als sich schon nachmittags selbst draußen vor dem Schaufenster die Besucher drängten, weil sonst der Laden zu platzen drohte. Drinnen herrschte ein Mordsspaß, denn dort spielten drei Viertel der Stammbesetzung von Café Unterzucker. Sie traten wieder mal den Beweis an, dass muntere Musik, schlagfertige Moderation und vor allem witzige Texte gleichermaßen Minder- wie Volljährige begeistern können. Nicht ohne Grund sind ja die Gründerväter, Richard Oehmann und Tobias Weber, inzwischen auch für das jährliche Singspiel am Nockherberg verantwortlich. In dieser kabarettistischen Kapelle steht ihnen der Colibri-Hausherr um nichts nach: "Es gibt so viele in unserer Gesellschaft, die müssen draußen bleiben: Das ist die soziale Kälte," blödelt Gruber etwa in gespieltem Gutmenschentum mit augenzwinkerndem Blick durchs Fenster auf die Zaungäste.

Als Oehmann ankündigt, "jetzt kommen die gruseligen Lieder" - jubelt der Teil des Publikums, der den Stimmbruch noch vor sich hat, wie aus einem Hals mit "Jaaahhh." Den Refrain von "Geisterreiher" singen dann auch viele Ältere textsicher mit. Für sie, die sich vielleicht nicht mehr vor den unheilschwangeren Zeichen am Firmament fürchten - die es laut Oehmann ohnehin nicht am Ammer-, sondern nur am Starnberger See gibt - hat man noch schaurigere Schreitvögel parat: "You-Reiher Heep" oder "Mah-Reiher Carey". Und nachdem Gruber ein artistisches Solo mit der "Turbine" gemeistert hat - einer 70 Jahre alten Mega-Mundharmonika mit 48 Akkorden, die "manchmal schnappt" - rät Ohmann zur "Piesel-Prophylaxe": "Piesel wie ein Profi, sei ein Profilachs". Die neue Ballade vom hyperaktiven Faultier muss Gruber noch vom Blatt singen: "Gunter, Gunter, komm mal'n bisschen runter".

In der Pause zwischen den Konzerten kann der Hausherr auch mal ernst sein: Das Colibri sei für ihn und seine private wie berufliche Partnerin "Lebensmittelpunkt" geworden, "ein Raum, in dem man sich wohl fühlt und den man morgens gerne aufsperrt." Auch weil die andere Dießener Buchhandlung "Oswald" im Vorjahr die Türen schloss, sei die Umsatzentwicklung erfreulich. Natürlich bleibe noch Luft nach oben, aber eine alte Buchhändlerweisheit laute, "es dauert fünf Jahre, bis ein Laden sein ganzes Potenzial entwickelt hat".

Vor Weihnachten musste man sich mit zwei Assistentinnen personell verstärken: "Das Geschäft war zu zweit nicht mehr zu stemmen", sagt Kreutzer - zumal auch Tonis kulturelle Engagements zunehmen und zwei Kinder zu betreuen sind. 60 Prozent der Kunden seien Frauen, vielleicht war deshalb "Der Ursprung der Welt" - eine Graphic Novel von Liv Strömquist über die Kulturgeschichte der Vulva - eins der bestverkauften Bücher im ersten Jahr.

Als Gruber abends mit seinem Bruder Miene und Weber im Tobi Weber Bookshop Trio auf der Bühne steht, gibt's dann wieder reichlich zu lachen. So könne es gehen, scherzt Anton: "Gerade noch jubeln mir die Kinder zu und nun stehe ich vor lauter alten Leuten mit Liedern alter depressiver Männer." Songs von Bob Dylan und Neil Young etwa, wobei insbesondere Weber immer wieder seine technische Versiertheit an der Gitarre aufblitzen lässt. Miene steuert Gruba-Songs bei und freut sich, "hier sein zu dürfen, der Toni muss ja hier sein." Dieses Geburtstagsfest sei ein historischer Moment: "Irgendwo muss er ja losgehen - der Niedergang von Amazon." Mit einer eigenen Band kann der Versandkonzern jedenfalls nicht glänzen.

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SZ vom 21.01.2020
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