Die Marktgemeinde ist auf dem besten Weg, auf Dauer Weißstörche zu beheimaten. Erstmals, seit sich die Fachleute erinnern können, haben gleich mehrere Paare erfolgreich in Dießen gebrütet: Derzeit sind in drei Horsten sieben Jungvögel herangewachsen, die am Wochenende beringt wurden. Die Unwetter der vergangenen Tage sind überstanden, ihre Aussichten zu überleben, bis sie das Nest verlassen, stehen gut. Nur ein noch heftigerer Sturm oder ein vernichtender Hagelschlag könnte ihnen noch etwas anhaben.
In den Tagen zuvor hatten auch die Störche unter Hitze und Trockenheit gelitten. Franz Sanktjohanser kann täglich beobachten, wie die Storchfamilie in seinem Garten versucht, damit fertig zu werden. Um dem Nachwuchs Schatten zu spenden, breiten die Eltern ihre Flügel aus, morgens und abends tränken sie die Jungen: Dabei rinne ein feiner Wasserfaden aus der Schnabelspitze in weit geöffnete Kehlen, erzählt Sanktjohanser.

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Von "Küken" könne kaum mehr die Rede sein: Die Jungen sind fast ausgewachsen und "können schon ohne Problem eine Maus oder einen Frosch komplett herunterschlingen", erzählt er. Im benachbarten Raisting war dagegen vergangene Woche ein erst kurz zuvor beringter Jungstorch eingegangen: Er verhungerte wohl, weil Regenwürmer als wichtige Futterquelle ausgefallen waren.
Vor allem Sanktjohansers zähem Bemühen ist es zu verdanken, dass Weißstörche in Dießen jetzt endlich heimisch geworden sind. 2012 schweißte er ein Stahlgerüst zusammen und bot es als Brutgelegenheit auf einer abgesägten Tanne in der Fischerei an. Seitdem mussten der langjährige Gemeinderat und seine Partnerin Renate Alton jedoch jedes Jahr Rückschläge einstecken. Obwohl sich fast immer Störche zur Besichtigung einfanden, dauerte es fünf Jahre, bis ein Paar erstmals in Dießen ein Nest baute. Dann aber nicht bequem im Garten der Tierfreunde, sondern ohne Gerüst und ausgerechnet auf dem Dach an der verkehrsreichsten Kreuzung des Orts.

Allen Erwartungen zum Trotz gelang es dem Paar am Marktplatz sogar, drei Junge großzuziehen. Doch dauerhaft wurde der Kamin-Horst dort nicht geduldet, so musste Sanktjohanser für 2018 nach Alternativen suchen. Daheim stellte er einen neuen Stahlkorb an einer 13 Meter langen Stange auf. Ein Paar nahm zwar sofort den Horst an und brütete auch drei Junge aus - doch die Schafskälte machte allen den Garaus.
2019 fielen sämtliche vier Jungstörche in Dießen Kälte und Nässe zum Opfer. Im vergangenen Jahr schlüpfte bei Sanktjohansers abermals kein Nachwuchs: Die drei Eier des Brutpaars warf ein aggressiver Revierrivale aus dem Nest - obwohl der Angreifer schon in einem Stahlkorb brütete, den die Gemeinde vor zwei Jahren aufs Dach der ehemaligen Apotheke an der Herrenstraße montieren ließ.

Heuer konnte Sanktjohanser wieder regelmäßig Revierstreitigkeiten verfolgen, an denen sich bis zu zehn Störche beteiligten. Die spektakulären und dramatischen Luftkämpfe können durchaus tödlich enden. Der Hahn, der den Horst in der Fischerei erfolgreich verteidigte, trug aus den Kämpfen nur einen großen Blutfleck an der Brust davon, der verheilte. Sein Einsatz lohnte sich: Am 15. Mai schlüpften vier Jungvögel. Der Schwächste verendete bald, doch die drei Verbliebenen haben sich prächtig entwickelt und sollten in drei Wochen ihre ersten Flugversuche starten.
Drei weitere Störche wachsen seit dem 9. Mai auf dem Dach an der Herrenstraße heran, dem siebten Dießener Jungstorch legte Clemens Krafft von der Schutzgemeinschaft Ammersee jüngst auf dem Dach der Mädchenrealschule einen Ring um den Fuß. Dort hatte der Elternbeirat auf einem Schulfest Geld für eine Sattelkonstruktion aus Stahl und Holz gesammelt, die heuer erstmals von einem Brutpaar bezogen wurde. Eventuell wolle man im nächsten Schuljahr ein Storch-Projekt starten und dazu eine Kamera auf einem nahen Turm montieren, sagt Ruben Streicher, zweiter Konrektor.

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Um die Wiesen südlich des Ammersees hat sich im Laufe der Jahre die größte Storchenkolonie Oberbayerns etabliert. Unwetter forderten dort auch heuer ihren Tribut: Nach Starkregen und Hagel bereits vor zwei Wochen sei ein Drittel der ursprünglich mehr als 50 Jungvögel eingegangen, berichtet Wolfgang Bechtel, regionaler Storchenbeauftragter des Landesbunds für Vogelschutz (LBV). Sowohl in den zwei Nestern in Pähl wie auch im einzigen Wielenbacher Horst überlebte die Brut nicht. In Fischen hingegen kamen alle drei Jungstörche auf einer neuen Nisthilfe durch; in den 18 derzeit belegten Horsten in Raisting hat Bechtel zuletzt 35 Junge gezählt, 28 davon sind jüngst beringt worden.
Anders als in Dießen lösen die Brutpaare in Raisting nicht mehr nur Begeisterung aus. Außer den 22 ernsthaften Nestbauten im Ort fanden heuer noch fünf weitere Ansiedlungsversuche statt: "Da sehe ich allmählich schon Grenzen der Akzeptanz", findet auch Bechtel. Er versucht, in Konfliktfällen zu vermitteln, und hat einen Leitfaden des LBV über die gesetzlichen Regelungen parat. "Wenn ein Nest erst einmal fertig ist, darf es allenfalls mit Genehmigung der Regierung von Oberbayern entfernt werden", erklärt Bechtel.
Der Herrschinger beobachtet die Kolonie, seit sich vor 20 Jahren die ersten Störche in Raisting niederließen und erkennt viele der Vögel mit dem Fernglas anhand ihrer Ringe wieder. Doch manche Nummernschilder sind nicht mehr abzulesen, weil die Vögel ihre empfindlichen, nackten Beine gegen Sonnenbrand mit gezieltem Kotstrahl schützen. Die Störche können einer Überhitzung nicht durch Schwitzen entgegenwirken: "Deshalb hecheln sie wie Hunde", sagt Bechtel.