Deutschkurse für Ukrainer:Integration an der Basis

Deutschkurse für Ukrainer: Bei der "Gautinger Insel" Gauting hilft Marianne Zur Weihen (2.v. re.) den Frauen aus der Ukraine - Olga Friedrikh, Oleksandra Okhrimenko, Natalia Muljvka, Viktoria Turiiets, Olesandra Leshchenko, Olga Korzhskova, Hanna Kosovtsova (v.li.) - beim Einstieg in die deutsche Sprache.

Bei der "Gautinger Insel" Gauting hilft Marianne Zur Weihen (2.v. re.) den Frauen aus der Ukraine - Olga Friedrikh, Oleksandra Okhrimenko, Natalia Muljvka, Viktoria Turiiets, Olesandra Leshchenko, Olga Korzhskova, Hanna Kosovtsova (v.li.) - beim Einstieg in die deutsche Sprache.

(Foto: Arlet Ulfers)

Ehrenamtliche Lehrerinnen helfen Kriegsflüchtlingen in Gauting beim Überwinden der Sprachbarriere. Die Lernbereitschaft ist ebenso groß wie das Heimweh, doch das Hauptproblem ist fehlender Wohnraum - und eine Lösung ist nicht in Sicht.

Von Patrizia Steipe

Für den Biergartenbesuch sind die sieben Frauen aus der Ukraine bestens gerüstet. "Breze mit Obazdn" hat Deutschlehrerin Marianne Zur Weihen auf die Tafel in der Gautinger Insel geschrieben, "eine Hoibe" und "Haxen". Die neuen Worte werden eifrig in die Hefte eingetragen. "Eine Maß?", die Damen wehren entsetzt ab. "Nein, das ist zuviel", sagt eine Mutter, die mit ihrer 23-jährigen Tochter aus Charkiw geflohen ist. Seit fast drei Monaten finden in Gauting Deutschkurse für Ukrainer statt. In der Gautinger Insel sorgt Zur Weihen, die Slawistik und Germanistik studiert hat, bei ihrem Unterricht für Abwechslung. "Heute nehmen wir Landeskunde durch", lacht sie, und dazu gehören die typischen Biergartengerichte. Da die meisten ihrer Schülerinnen daheim bereits Englisch gelernt hatten, gibt es schnelle Fortschritte. "Marianne ist eine sehr gute Lehrerin", lobt eine Frau. "Dyakooyo", bedankt sie sich auf Ukrainisch. "Ich lerne auch", erklärt Zur Weihen. Und wenn doch einmal die Worte fehlen sollten, dann hilft eine Übersetzungsapp.

Zur Weihen ist nicht die einzige Ehrenamtliche, die in Gauting Deutsch unterrichtet. Marijana Pinkert hat einige Kurse über den "Arbeitskreis Ausländerkinder" initiiert. "Teilweise haben drei Kurse parallel stattgefunden", erzählt sie. Silvia Solfrian, die Bilanzbuchhalterin ist, hat die Deutschkurse im Helferkreis koordiniert. Darunter waren neben den Erwachsenen bis zu 30 Kinder, die nun an die beiden Willkommensklassen an der Mittelschule sowie in die Regelklassen in der Grundschule abgegeben werden konnten; zwei Kinder besuchen das Gymnasium. Außerdem bietet die Volkshochschule Deutschkurse an.

Die ukrainischen Kinder sind den deutschen Kindern in Mathematik überlegen

Mädchen und Buben werden in getrennten Gruppen unterrichtet. Nicht aus kulturellen Gründen, versichern die Helferinnen. Sie hätten aber die Erfahrung gemacht, dass die Lernbereitschaft und Konzentrationsfähigkeit zwischen den Geschlechtern unterschiedlich sei. "Meine Jugendlichen haben schon mal eine deutliche Ansage gebraucht", erinnert sich Solfrian, die die Jungs unterrichtet. Da kein Pensum durchgepaukt werden muss und der Unterricht freiwillig ist, sei alles jedoch locker abgelaufen. "Hauptsache die Jugendlichen haben wieder eine geregelte Tagesstruktur", sagt Solfrian. Die Mädchen, die gerne aufpassten, hat Juliane Braun unter ihre Fittiche genommen. Die elf- bis 14-jährigen Jugendlichen hätten unterschiedliche Schulen in ihrer ukrainischen Heimat besucht. An manchen sei noch im alten autoritären Stil unterrichtet worden. "Frontalunterricht mit viel Auswendiglernen", weiß Solfrian. An anderen Schulen wäre dagegen moderne Pädagogik eingezogen. Manche Kinder hätten Russisch als Fremdsprache gelernt, andere Englisch oder Deutsch. Ein Kind habe an seiner Schule sogar an fünf Tagen in der Woche drei Stunden Englischunterricht gehabt, berichtet Solfrian. Eines ist den ehrenamtlichen Lehrkräften quer über alle Kurse hinweg aufgefallen: "Die ukrainischen Kinder sind den deutschen Kindern in Mathematik überlegen". Auch im Kopfrechnen sind sie besser, da im Unterricht auf Taschenrechner verzichtet werde.

Deutschkurse für Ukrainer: Gautings Bürgermeisterin Brigitte Kössinger überreicht Marianne zur Weihen als Anerkennung für Ihre Unterstützung ein Präsent.

Gautings Bürgermeisterin Brigitte Kössinger überreicht Marianne zur Weihen als Anerkennung für Ihre Unterstützung ein Präsent.

(Foto: Arlet Ulfers)

Hilfreich ist für die Ehrenamtlichen die Unterstützung der Eltern. Sie würden Wert auf Bildung legen, die meisten haben selbst Interesse an der neuen Sprache. Zusätzlich zum Deutschunterricht würden viele Kinder am ukrainischen Online-Unterricht teilnehmen, um in ihrer Heimat nicht den Anschluss zu verlieren. Viele Familien wären nämlich hin- und hergerissen, ob sie bleiben oder wieder heimfahren sollen. Das Heimweh sei groß, die Sehnsucht nach Ehemann, erwachsenen Söhnen oder zurückgelassenen Großeltern immens. Aber immer wieder fallen Bomben in den Heimatstädten und die Heimkehr muss verschoben werden.

"Wir stoßen langsam an unsere Grenzen, was die privaten Unterkünfte betrifft"

An diesem Vormittag gibt es in der Gautinger Insel Besuch von Bürgermeisterin Brigitte Kössinger. Sie wolle sich persönlich für das Engagement bedanken, erklärt sie, und überreicht Marianne Zur Weihen stellvertretend für das Deutschlehrerinnen-Team ein Präsent. "Wenn man eine Sprache nicht versteht, dann ist man doch verloren", weiß Kössinger. Über das Interesse an den Deutschkursen freut sie sich. Sorgen bereitet ihr dagegen der fehlende Wohnraum. Nach vielen Wochen hätten etliche private Gastgeber ihre Wohnungen gerne wieder für sich. Auch die ukrainischen Gäste wollen nicht länger zur Last fallen. "Wir stoßen langsam an unsere Grenzen, was die privaten Unterkünfte betrifft", sagt Solfrian. Schätzungsweise leben 230 Ukrainer in der Gemeinde, davon sind 120 im BRK-Haus untergebracht. Wohnungen und Unterkünfte werden weiterhin dringend benötigt, erklärt die Bürgermeisterin. Eine Lösung ist nicht in Sicht. In der Gemeinde stünden auf langen Wartelisten für eine Wohnung auch viele Gautinger, und die vor Jahren in den Gemeinschaftsunterkünften untergebrachten Geflüchteten finden ebenfalls keinen Wohnraum und stecken im Provisorium fest.

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