Seine Aktivitäten müssen geheim bleiben. Entdecken die Peiniger sie, kann das lebensgefährlich sein. Pfarrer Korbinian Aigner weiß das - und wagt es trotzdem. In der Hölle des Konzentrationslagers Dachau, in das er wegen seines Widerstands gegen das NS-Regime 1941 deportiert wird, züchtet er zwischen KZ-Baracken heimlich neue Apfelsorten und setzt so dem menschlichen Abgrund neues Leben entgegen. Unentdeckt von den SS-Wachen wachsen neue Apfelsorten heran – mit den bezeichnenden Namen KZ1, KZ2, KZ3 und KZ4.
Seine Züchtung „KZ3“ hat bis heute überlebt und wird unter dem Namen „Korbiniansapfel“ weltweit als Erinnerungsbaum an Gedenkstätten und anderen Orten gepflanzt – als Mahnung und für die Meinungsfreiheit, heißt es in der Pressemitteilung zum geplanten Kinostart des Films „Ein stummer Hund will ich nicht sein“ des Seeshaupter Regisseurs und Produzenten Walter Steffen. „Korbinian Aigner hat sich und der Nachwelt eine klare Botschaft hinterlassen“, betont Walter Steffen.
Inspiriert, ja fast schon genötigt, den Film zu drehen, hat den Regisseur der Gautinger Schriftsteller Gerd Holzheimer. Der hatte den tiefgläubigen Pfarrer noch selbst kennengelernt und war fasziniert von dessen aufrechter Haltung und seiner Weigerung, zu schweigen, wenn Unrecht geschieht. Für Holzheimer steht schnell fest: Er wird diesem gradlinigen Mann und seiner Geschichte ein Buch widmen. Der Titel des Porträts lautet ebenfalls „Ein stummer Hund will ich nicht sein“. Schnell hat Holzheimer erkannt: Das Thema bietet auch Filmstoff. „Diese Geschichte müssen wir zwei erzählen. Ich möchte, dass du das machst“, hat er zu Walter Steffen gesagt.
Doch der wehrt ab. Denn er hat seiner Frau vor Jahren versprochen, dass er keinen Film mehr machen wird, den er als Produzent, Autor, Regisseur und Verleiher in einer Person betreut. Denn das verlangt einem „extrem viel Kraft“ ab, sagte er - ganz zu schweigen vom finanziellen Risiko. Nach etlichen Gesprächen gelingt es Holzheimer schließlich doch, den Filmemacher umzustimmen. „So ist mein 16. Kinofilm innerhalb von 18 Jahren entstanden“, sagt Walter Steffen.
Mit historischen Bild- und Filmdokumenten, Zeitzeugenberichten und inszenierten Spielszenen werden zwei bisher weitgehend unbekannte Geschichten aus diesem dunklen Kapitel deutscher Historie beleuchtet: die des Priesters Korbinian Aigner, der trotz der Gefahr seinem Gewissen folgt. Und die des berüchtigten „Kräutergartens“ im KZ Dachau.
Dort, in der gefürchteten „Plantage“, wird Aigner wie viele tausend Mithäftlinge zur Arbeit gezwungen. Unter unmenschlichen Bedingungen werden unter dem von den Nazis verharmlosend „Kräutergarten“ genannten Arbeitskommando nach biodynamischen Methoden Kräuter und Gewürze angebaut – zur, wie es hieß, „Gesundung des deutschen Volkskörpers“ – mit dem erklärten Ziel der „Vernichtung durch Arbeit“.


Doch die Rechnung der Häscher geht – zumindest was Korbinian Aigner betrifft – glücklicherweise nicht auf. Er überlebt das KZ Dachau, geht in seine Pfarrei Hohenbercha zurück und wirkt dort als Pfarrer in der Nachkriegszeit weiter. Der Grund dafür, dass ihm im Konzentrationslager die Apfelzucht als Geste der Hoffnung erschien, liegt in seiner Kindheit. Aigner ist auf einem Bauernhof in Hohenpolding nahe der Stadt Freising am 11. Mai 1885 geboren und aufgewachsen. Bereits in jungen Jahren gilt er als erklärter Baumfreund. Besonders die Obstbäume haben es ihm angetan. Früh beginnt er damit, die Obstsorten zu zeichnen. Und wird zum Maler von mehr als 600 detailgetreuen Apfel- und Birnenporträts. Auf der documenta 13 wird sein Werk 2012 international als Kunst entdeckt.
Ebenfalls recht früh steht für ihn fest, dass er als ältester Sohn den elterlichen Hof nicht übernehmen möchte, sondern unbedingt Priester werden will. Entgegen dem Willen der Eltern und sogar des Ortspfarrers verzichtet er auf das Hoferbe, besucht stattdessen das Priesterseminar und wird Pfarrer. In seinem Abschlusszeugnis aus dem Seminar hat man ihm allerdings attestiert, dass er wohl mehr Pomologe, sprich Apfelkundler, sei als Theologe. Für Aigner ist indes beides vereinbar. Als Ortspfarrer beschäftigt er sich später weiter intensiv mit Obstanbau und Gärtnerei. Er gründet Vereinigungen, übernimmt zuweilen auch deren Vorsitz. Für die Gläubigen im Ort ist stets klar: Findet man den Pfarrer nicht in der Kirche oder im Pfarrhaus, dann sicher im Obstgarten.

Aigner ist zeitlebens auch ein politisch denkender Mensch. Nach dem Besuch zweier Versammlungen, auf denen Hitler seine Anhänger auf seine radikalen Ansichten einschwört, ist er sich der Gefahr, die von dem Mann ausgeht, bewusst. Er spricht dies auch in seinen Predigten offen an und weigert sich, Kinder auf den Namen Adolf zu taufen.
Im KZ Dachau ist er mit der Häftlingsnummer 27788 im sogenannten „Priesterblock“ untergebracht. Als sich die Nationalsozialisten kurz vor Kriegsende anschicken, das Konzentrationslager zu räumen, muss auch Korbinian Aigner gemeinsam mit 10 000 Häftlingen den Weg in Richtung Südtirol antreten. In Aufkirchen gelingt ihm am 28. April 1945 die Flucht. Er kommt im dortigen Kloster unter, wo ihn die Nonnen vor den Nazis verstecken. Nur Tage später befreien die Amerikaner das KZ Dachau und Aigner kann sein Versteck verlassen.
„Mit diesem Film wollen wir an die Menschen zu erinnern, die im berüchtigten „Kräutergarten“ im KZ Dachau schier unendliches Leid ertragen mussten und ermordet wurden“, sagt Regisseur Steffen. „Gleichzeitig zeigen wir aber auch beispielhaft auf, wie es Menschen heute möglich ist, sich für Versöhnung, Mitmenschlichkeit, ein friedvolles Miteinander einzusetzen.“ Darum kommen in Steffens Film neben Zeitzeugen auch etliche Menschen zu Wort, die sich heute aktiv um Erinnerungs- und Friedensarbeit kümmern.
Die zentrale Figur des Films ist der Schauspieler Karl Knaup, der Korbinian Aigner verkörpert. Er sei ein „großer Glücksfall“ gewesen, sagt Steffen. Ferdinand Dörfler spielt den Richter am NS-Sondergericht, Ferdinand Ascher den Bezirksgauleiter und Claudia Ottinger mimt die Hilfslehrerin.
Der Film feiert um den 80. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager am 23. April um 20 Uhr im Münchner RIO Filmpalast Premiere und kommt ab dem 24. April in die Kinos im Landkreis Starnberg. Zu den jeweiligen Filmstarts im Fünfseenland kommen auch Regisseur Walter Steffen und Autor Gerd Holzheimer, dessen neues Buch ebenfalls in diesen Tagen erscheint. Die Schirmherrschaft für den Film hat der Antisemitismusbeauftragte des Bundes, Felix Klein, übernommen. Nach dem Start in den Kinos – laut Steffen liegen bayernweit bereits an die 50 Anfragen vor – soll der Film in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen sowie an Erinnerungsorten und bei Veranstaltungen gezeigt werden.
Gauting, Kino Breitwand, Filmpräsentation und Lesung, Donnerstag, 24. April, 19.30 Uhr. Stegen, Kino in der Alten Brauerei, Freitag, 25. April, 18 Uhr. Tutzing, Kulturkino, Präsentation und Lesung ebenfalls am 25. April, 19.30 Uhr. Wolfratshausen, Kino-Center, Präsentation und Lesung, Mittwoch, 7. Mai, 19.30 Uhr. Das Buch „Ein stummer Hund will ich nicht sein“ von Gerd Holzheimer ist im Allitera Verlag erschienen und kostet 19,90 Euro.