Süddeutsche Zeitung

Wirtschaft:Ein Arbeitsplatz für 20 Euro am Tag

Bürogemeinschaften für Freiberufler boomen. Auch im Landkreis Starnberg können sich Selbständige in sogenannten Coworking Spaces zeitlich flexibel einmieten. Vier Beispiele von Gilching über Wörthsee bis Herrsching und Dießen.

Von Kilian Pinl

Die Ideen kommen aus Kalifornien oder dem Silicon Valley, umgesetzt werden sie längst auch von Unternehmen im Fünfseenland. Die Gesellschaft für Wirtschafts- und Tourismusentwicklung (GWT) bietet in ihrer neuen Reihe "Unterwegs" Fahrten zu Betrieben an, die innovative Arbeitsmodelle umsetzen, etwa sogenannte Coworking Spaces. Die Bürogemeinschaften versammeln Freiberufler aus verschiedenen Branchen. Mit einem orangefarbenen Oldtimerbus ging es zuletzt zu vier Anbietern im Landkreis.

Social Media und Yoga in Gilching

Kommenden September ist es ein Jahr her, dass Andrea Reif ihren Workspace unweit des Gilchinger Aktivparks eröffnet hat. Um Geld ging es ihr dabei nie: "Es ist einfach mein Wunsch, mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten, weil ich glaube, dass es einen fachlich und menschlich weiterbringt", erklärt Reif. Die ersten vier Monate nach der Eröffnung seien aber schon recht hart gewesen. "Vor allem weil in ländlichen Regionen kaum einer weiß, was ein Coworking Space überhaupt ist." Neben dem Arbeitsplatz, den sie selbst nutzt, gibt es in ihrem Büro noch Platz für fünf weitere Personen. An zwei dieser Arbeitsplätze kann man für eine Pauschale von 20 Euro einen Tag lang Platz nehmen. Die übrigen drei können für 290 Euro einen ganzen Monat lang gemietet werden. Die Nutzung von Wlan, Drucker, Küche, Dusche und Toilette ist inklusive. Jana Berger, 28, ist hier Dauermieterin. Als Mutter einer dreijährigen Tochter habe sie in den eigenen vier Wänden nicht fokussiert arbeiten können, erzählt sie, weshalb der Erfolg ihrer neugegründeten Social-Media-Agentur auf der Kippe gestanden sei. "Als ich hierherkam, hat mir Andrea so viele Aufträge vermittelt, in Folge derer ich heute noch komplett ausgebucht bin", sagt Berger. Eine andere Mieterin nutzt den Meetingraum am Abend als Veranstaltungsraum für ihre Yoga-Kurse. "Die Nutzungsmöglichkeiten sind nahezu endlos", sagt Reif.

Startups in Wörthsee

Bevor sie ihr eigenes Büro in Gilching eröffnete, mietete Reif selbst für längere Zeit einen Platz in einem Coworking Space namens Impact Plaza mit Sitz in Wörthsee. Bereits das Gebäude mit seiner weinroten Fassade, in dessen zweiten Stock sich die Büros befinden, wirkt modern, jung und frisch. Dieser Eindruck setzt sich im Büro fort, wo in einer lichtdurchfluteten Lounge entspannt gekickert oder mittels Virtual-Reality-Brille ein Ausflug in künstliche Realitäten unternommen werden kann. Der Großteil der insgesamt 17 Arbeitsplätze befindet sich im Hauptraum, abgetrennte Büroräume bieten kleineren Firmen und Startups die Möglichkeit, in Ruhe an ihren Projekten zu arbeiten. Anders als in Gilching beträgt die Mindestdauer eines Mietverhältnisses hier drei Monate. Benedict Padberg, Betreiber und Gründer des Impact Plaza, sammelte in New York seine ersten Erfahrungen mit der neuen Arbeitsform. Obwohl er die Raumgestaltung des Büros bis ins kleinste Detail durchdacht hat, sei für ihn der Arbeitsraum eher sekundär. Es gehe mehr darum, die richtigen Leute zu finden und zusammenzubringen, so Padberg. Zu diesem Zweck veranstaltet er regelmäßig Workshops, Performances und Kunstausstellungen. "Der Austausch mit Leuten aus anderen Branchen ist der wohl größte Vorteil, den Coworking mit sich bringt", ist Padberg überzeugt. Die momentane Besetzung seines Büros unterstreicht das: Apotheker, Medienpädagogen, Logistiker, Startup-Unternehmer im Bereich von Windkraftanlagen und Journalisten geben sich hier die Klinke in die Hand.

Design in Herrsching

Rike Everding, die mit ihrem Vertrieb für Klassikmusik bis vor Kurzem noch einen Arbeitsplatz in Wörthsee angemietet hatte, ist vor Kurzem nach Herrsching gezogen. "Dass ich mir wieder einen Coworking-Arbeitsplatz in einem Coworking Space suche, war für mich sofort klar", erzählt Everding. Anders als in Wörthsee und Gilching gibt es im Herrschinger Workspace einen thematischen Schwerpunkt im Bereich Design und Kunst. Das Institut für Form und Farbe unterscheidet sich aber auch in den Räumlichkeiten von den übrigen Büros in der Region. Das alte Gebäude im Herrschinger Zentrum beherbergte einmal Schreinereien, Möbelläden und eine Bibliothek - entsprechend offen und einladend ist die Architektur. Durch die verglaste Front entsteht eine freundliche Arbeitsatmosphäre, welche durch die vorwiegend weißen Möbel, Wände und Böden noch zusätzlich verstärkt wird. Die Innengestaltung des Raumes verändert sich jedoch regelmäßig, denn den Betreibern ist wichtig, "dass das hier nicht nur Arbeitsstätte, sondern auch ein Ort ist, an dem man sich wohl fühlt", erklärt die Grafikdesignerin Gesine Dorschner. Mittlerweile kann man die Arbeitsplätze im Institut nicht nur auf Monats-, sondern auch auf Wochen-, Tages- und Stundenbasis mieten. Diese sind mit der geläufigen Büro-Infrastruktur ausgestattet.

Kommunikation in Dießen

Warum den Arbeitsweg attraktiver gestalten, wenn man ihn sich generell sparen kann? Diese Frage stellte sich Hans-Peter Sander und beantwortete sie vor etwa sechs Jahren mit der Gründung des Ammersee Denkerhauses in Dießen. Er ist einer der ehrenamtlichen Betreiber des Coworking Spaces am Westufer des Ammersees, welches von einer Genossenschaft getragen wird. Neben Flexibilität und Synergieeffekten für die Nutzer könne man mit Coworking Spaces leer stehenden Raum sinnvoll nutzen, Ortskerne beleben und durch Vermeidung von Verkehr zudem die Umweltbelastung reduzieren, so Sander. Besonders in Dießen, einer Gemeinde aus der täglich etwa 2000 Menschen auspendeln, sieht er noch ein enormes Potenzial für die neue Arbeitsform. Der Kommunikationsberater spielt deshalb mit dem Gedanken, ein zweites Büro zu eröffnen. Der Raum, der sich hinter dem Café im Dießener Bahnhof befindet, stehe seit langer Zeit leer und sei "prädestiniert für einen Coworking Space", so Sander. Die Gemeindeimmobilie zwischen Seeufer und Ortskern habe eine geeignete Größe und wäre sowohl mit dem Auto als auch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln sehr gut zu erreichen. Zu Sanders Bedauern sei die Sinnhaftigkeit der Umnutzung dieses Raums zum Coworking Space von der lokalen Politik aber noch nicht erkannt worden.

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Quelle:
SZ vom 06.08.2019
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