Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Was Webasto aus der Krise gelernt hat

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Durch die Infektionen bei dem Stockdorfer Unternehmen hat Deutschland von Corona erfahren. Nun teilt die Firma ihr Wissen über den Umgang mit Infizierten mit der Konkurrenz und spendet Schutzmaterial.

Von Jessica Schober, Stockdorf

Zu Beginn dieser Krise verband jeder das Wort "Corona" noch mit dem Namen Webasto. Der Stockdorfer Autozulieferer, der im Januar den deutschlandweit ersten Corona-Fall in der Belegschaft meldete, schuf einen Präzedenzfall für den Umgang mit Infizierten der neuartigen Lungenkrankheit. Inzwischen sind weltweit so viele Menschen am Coronavirus erkrankt, dass sich kaum einer noch an die ersten Fälle aus Stockdorf erinnert. Doch auch Webasto versucht derzeit, sich als Unternehmen durch die wirtschaftliche Krise zu manövrieren. Der globale Nachfrageeinbruch erreicht die Firma nun mit voller Wucht. In Stockdorf arbeiten etwa 1200 Mitarbeiter, davon sind laut Webasto im April 960 in Kurzarbeit. An vielen Produktionsstandorten stehen die Bänder still. "Wir sind weltweit von den Werksschließungen bei unseren Kunden betroffen", sagt Pressesprecherin Nadine Schian. Wie schlimm die Krise das familiengeführte Unternehmen noch treffen wird, kann Schian nicht genau beziffern. Was die Firma in der Zwischenzeit aber tun kann, ist: Schutzkleidung spenden.

5500 Handschuhe, 25 300 Masken unterschiedlicher Art, 10 100 Schutzbrillen und 375 Schutzanzüge hat Webasto ausgeliefert. "Wir haben die Schutzmaterialien nicht extra wegen des Coronavirus angeschafft, sondern hatten die als produzierendes Gewerbe zum Arbeitnehmerschutz eh vor Ort", erklärt Schian. Zum Beispiel würden bei Webasto normalerweise Schutzbrillen gebraucht, damit Mitarbeitern beim Löten keine Partikel in die Augen geraten. Die Materialien hat Webasto querbeet an unterschiedliche Institutionen gespendet. "Wir sind auf regionale Krankenhäuser und Pflegestationen zugegangen und haben unsere Mitarbeiter in ganz Deutschland gefragt, wo sie von Ärzten wissen, die dringenden Bedarf haben", sagt Schian. Ans Klinikum Starnberg gingen allein 10 000 Handschuhe, 2560 Masken und 100 Schutzanzüge.

Die Reaktionen auf die Spenden waren sehr emotional. "Als wir dem Schwabinger Krankenhaus 2000 Schutzbrillen geliefert haben, hatten die Mitarbeiter vor Ort Tränen in den Augen vor Freude." Die Verteilung der Hilfsgüter ließe sich dabei durchaus noch optimieren. "Durch unsere früh erkrankten Mitarbeiter hatten wir bereits Kontakt zu Krankenhäusern. Aber wir wissen natürlich nicht, wer es am allernötigsten hat", sagt Schian, "Es wäre ganz hilfreich, wenn es eine zentrale Stelle gäbe, die gespendetes Schutzmaterial nach Bedarf verteilt."

Seit dem ersten Ausbruch der Lungenkrankheit hierzulande hat sich bei Webasto einiges geändert. Schon seit Januar gab es besondere Hygienevorschriften. Das Unternehmen lernte vor allen anderen, was wichtig ist, um Infektionsketten zu durchbrechen. So gehörte das regelmäßige Händewaschen und Abstandhalten sehr viel früher als anderswo zur Unternehmenskultur, Schichtarbeiter begegneten den Kollegen aus anderen Schichten nicht mehr, und die Kantine besuchten viele Teams nur noch zeitversetzt. Wer nicht in der Produktion arbeitete, ging ins Home-Office, das ohnehin schon an zwei Tagen pro Woche erlaubt war. "Wir haben einiges dazu gelernt", sagt Pressesprecherin Nadine Schian. Das gesammelte Wissen über den Umgang mit Corona-Infektionen im Betrieb fasste die Firmenleitung in einem Handbuch zusammen und stellte das auch Mitbewerbern zu Verfügung.

Über den Verband Deutscher Automobilzulieferer wurde das Dokument bereits in den ersten Februartagen hundertfach abgerufen. Für den VDA sei dieser Wissenstransfer sehr hilfreich gewesen, wie Pressesprecher Eckehardt Rotter mitteilt. So hätten andere Unternehmen des Verbandes sich frühzeitig darauf vorbereiten können, wie man mit Infizierten in der Belegschaft umgeht.

Die Ausgrenzung, die Webasto-Mitarbeiter noch im Januar erfuhren - ein Auto wurde in der Werkstatt nicht angenommen, Kinder nicht mehr im Kindergarten betreut - hätte die Belegschaft im Rückblick eher zusammengeschweißt, glaubt Schian. "Wir hatten das Gefühl, wir sitzen alle im selben Boot", erzählt sie. Seinen Stockdorfer Standort schloss Webasto in Eigenverantwortung frühzeitig und ohne behördliche Anweisung. "Wir haben später viel positive Rückmeldung bekommen, von der Belegschaft bis zum Landesgesundheitsamt, wie wir mit den ersten Infektionen umgegangen sind."

So habe die Firmenleitung auch intern - nach Absprache mit den Betroffenen - stets die Namen der Neuinfizierten kommuniziert, um deren weitere Kontakte herausfinden zu können. Die chinesische Mitarbeiterin, die damals das Virus zu Webasto brachte, bat beim Chef persönlich um Entschuldigung. Sie trug Sars-CoV-2 schon in sich, als sie im Januar nach Stockdorf kam, um eine Schulung zu halten. Erst bei ihrer Rückkehr zeigten sich Symptome, sie hatte sich wohl bei ihren Eltern aus dem chinesischen Wuhan angesteckt. In der Zwischenzeit hatte sie längst Kollegen in Deutschland infiziert. "Sie hat einen Brief geschrieben und sich entschuldigt dafür, dass sie die Misere nach Deutschland getragen habe, aber wir haben sie natürlich beruhigt und ihr gesagt, dass sie sich nach Bekanntwerden der Infektion sehr vorbildlich verhalten habe", erzählt Schian. Allen bislang Erkrankten gehe es inzwischen wieder gut.

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SZ vom 20.04.2020
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