Coronavirus in Bayern:Tage der Isolation

Coronavirus: Labortests auf Covid-19

Alle Personen, die mit den erkrankten Webasto-Mitarbeitern engen Kontakt hatten, müssen einen Abstrich machen, der im Labor untersucht wird.

(Foto: dpa)

Mehr als 100 Menschen sollen wegen eines Corona-Verdachts ihr Zuhause nicht verlassen. Das verunsichert im Würmtal viele. Nach Tagen des Bangens gibt es widersprüchliche Nachrichten: 127 Tests von Webasto-Mitarbeitern fallen negativ aus - und zwei positiv.

Von Michael Berzl und Carolin Fries

Abends ein Anruf vom Gesundheitsamt in Starnberg, später kommt der Hausarzt mit Mundschutz, um einen Abstrich zu nehmen. Seit Mitte der Woche wartet ein Familienvater aus dem Würmtal gespannt auf das Testergebnis, ob er sich mit dem Coronavirus infiziert hat oder nicht. "Ich warte, warte, warte", sagt der Mann, der offiziell als Verdachtsfall gilt und quasi eingesperrt ist - oder sich zumindest so fühlt. "Wir sitzen auf glühenden Kohlen. Das ist wie in einem luftleeren Raum."

Wie ihm geht es in diesen Tagen vielen. Er ist einer von mehr als hundert Menschen aus Stockdorf und Umgebung, die engen Kontakt mit einem der vier erkrankten Webasto-Mitarbeiter hatten, die in der Isolierstation im Schwabinger Krankenhaus ausharren. Diese Kontaktpersonen sollen auf Anweisung des Gesundheitsamtes zwei Wochen zu Hause bleiben und befinden sich somit in einer Art Quarantäne.

Am Freitag wird es ein Wechselbad der Gefühle: Am Nachmittag wird bekannt, dass erstmals ein Kind angesteckt wurde - durch den Vater, der bei Webasto arbeitet. Am Abend hat das Bangen für viele ein Ende, als das Gesundheitsministerium verkündet: "Von der Testaktion bei der Firma liegen nunmehr 122 Ergebnisse vor, alle waren negativ." Doch schon wenig später melden Webasto und die Behörden weitere Ergebnisse - darunter zwei neue Infektionen: Ein chinesischer Mitarbeiter, der zu längeren Meetings in Stockdorf war, ist in Shanghai diagnostiziert worden sowie ein Kollege aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck, der siebte Fall in Bayern. Einige Ergebnisse stehen noch aus.

Unangenehm sind die Folgen nicht nur für den Familienvater, sondern auch für seine Familie, Auswirkungen machen sich auch im Freundes- und Bekanntenkreis bemerkbar. Und Webasto-Mitarbeiter werden geschnitten - selbst wenn sie gar nichts mit den Infizierten zu tun hatten.

Um sich und seine Familie zu schützen, will der Familienvater seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Denn jetzt schon kommen häufig Nachfragen von Bekannten, ob denn nun das Testergebnis vorliegt. Bis zum Freitagnachmittag wartet der Familienvater aber auf den erlösenden Anruf vom Starnberger Gesundheitsamt.

Mehr als hundert Personen haben die Gesundheitsbehörden ermittelt, die länger als 15 Minuten engen Kontakt zu einem der ersten vier infizierten Webasto-Mitarbeiter gehabt haben sollen. Von allen wurden Abstriche genommen und auf das Virus 2019-nCoV getestet.

"Mein gesunder Menschenverstand sagt mir, dass ich nicht beunruhigt sein muss"

Ein Test dauert etwa vier bis fünf Stunden, täglich seien in den fünf bayerischen Labors bis zu 100 Diagnosen möglich, alleine im Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) in Oberschleißheim bis zu 60 am Tag. Personen, die lediglich für einen kürzeren Zeitraum Kontakt mit den Infizierten hatten, würden nicht durchgängig ermittelt und auch nicht getestet.

Nicht einkaufen gehen, kein Sporttraining, keine Chauffeurdienste für die Kinder - stattdessen abwarten und dem Gesundheitsamt Auskunft über den aktuellen Gesundheitszustand geben. Der tägliche Anruf der Behörde sei die einzige Kontrolle, ob die häusliche Isolation auch eingehalten werde, sagt ein Ministeriumssprecher. Darüber hinaus appelliere man an die Vernunft der Betroffenen. Deren Angehörigen seien von der Isolation grundsätzlich nicht betroffen. "Das entscheidet das Gesundheitsamt nach Situation vor Ort."

Selbst als möglicher Infizierter nicht vor die Haustüre zu dürfen, während die Ehepartner in die Arbeit und die Kinder in Schulen und Kitas gehen? Sie verstehe die Logik nicht ganz, kommentiert eine Frau im Internet, ein Mann schreibt, dass dies wie hilfloser Aktionismus klinge. Auch der Familienvater aus dem Würmtal hat zwischenzeitlich Sorge, seine Angehörigen angesteckt zu haben, ähnlich wie im Fall der fünften und sechsten Corona-Fälle im Landkreis Traunstein, die am Donnerstag und Freitag bekannt wurden. Ein Webasto-Mitarbeiter aus Siegsdorf hatte Kontakt mit einem seiner Arbeitskollegen, der nachweislich infiziert ist und hat seinen eigenen Sohn angesteckt, womöglich auch seine ganze Familie.

Die Verunsicherung im Würmtal ist groß in dieser Woche. Sporttrainings in Gauting wurden abgesagt, Kitas melden einen "krankheitsbedingt verminderten Betrieb". Eltern fragen sich, ob es noch sicher ist, das eigene Kind in die Klasse zu Kindern von Kontaktpersonen zu schicken, die ihre Situation öffentlich bekannt gemacht haben. Andere lassen den Nachwuchs vorsichtshalber zu Hause. "Mein gesunder Menschenverstand sagt mir, dass ich nicht beunruhigt sein muss", sagt eine Mutter. Doch die Emotionen würden das rationale Denken mitunter überlagern.

Einige Webasto-Mitarbeiter werden ausgegrenzt

"Weniger Emotionen, mehr Sachlichkeit", wünscht sich auch eine Webasto-Sprecherin. Sie berichtet von blinder Ausgrenzung von Kollegen im Landkreis - unabhängig davon, ob diese überhaupt einen Bezug geschweige denn Kontakt zu den Erkrankten hatten. "Uns erreichen vermehrt Meldungen von Mitarbeitern, die nicht zur Risikogruppe gehören, dass sie und ihre Familien von Institutionen, Firmen oder Geschäften abgewiesen werden, wenn bekannt wird, dass sie bei Webasto arbeiten", sagte der Vorstandsvorsitzende Holger Engelmann am Freitag.

Einer Sprecherin zufolge haben Mitarbeiter unter anderem davon berichtet, dass ihre Eltern oder Ehepartner von deren Arbeitgebern nach Hause geschickt worden seien. Kinder seien von Kindergärten nicht mehr angenommen worden. In einem Fall habe es zudem eine Autowerkstatt mit Verweis auf das Virus abgelehnt, das Auto eines Mitarbeiters für eine Reparatur anzunehmen.

"Wir verstehen, dass die aktuelle Situation Menschen verunsichert und auch ängstigt, aber das ist eine enorme Belastung für die Familien unserer Mitarbeiter", sagte Engelmann. Die Schließung der Zentrale in Stockdorf wird nun noch um einen Tag verlängert, bis Montag. Die mehr als 1000 Mitarbeiter arbeiten seit Mittwoch im Homeoffice. Ein grober Einschnitt, auch wirtschaftlich. "Doch uns sind die Menschen wichtig", wie die Sprecherin betont.

Die Lage im Würmtal treibt auch skurrile Blüten: Eine Gruppe hat sich bei einer nächtlichen Fotosession vor der Webasto-Zentrale in Stockdorf abgelichtet und auf soziale Medien gepostet - mit Corona-Bier und lachenden Gesichtern. Das Feedback ist widersprüchlich. Während viele die Ironie feiern, sagt die Webasto-Sprecherin: Im Konzern "kann man darüber nicht lachen".

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