Covid-19:"Das Ende der Pandemie liegt nicht in Kinderhand"

Covid-19: Heiko Stern hat seit 23 Jahren eine Praxis in Gauting. Der Pädiater und Kinderkardiologe sieht eine "soziale Indikation" für die Impfung der Kleinsten. Druck auf Eltern und Kinder dürfe man aber nicht machen.

Heiko Stern hat seit 23 Jahren eine Praxis in Gauting. Der Pädiater und Kinderkardiologe sieht eine "soziale Indikation" für die Impfung der Kleinsten. Druck auf Eltern und Kinder dürfe man aber nicht machen.

(Foto: Arlet Ulfers)

Nächste Woche startet die Impfkampagne bei den über Fünfjährigen. Der Gautinger Kinderarzt Heiko Stern hat bereits eine volle Warteliste. Im Kampf gegen die Corona-Seuche sei die Immunisierung von Minderjährigen letztlich aber nur ein weiterer Baustein, sagt er.

Interview: Carolin Fries

Die Kinder- und Jugendärzte im Landkreis stehen in den Startlöchern: Anfang kommender Woche erwarten sie die ersten Impfstofflieferungen für Fünf- bis Elfjährige. Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat am Donnerstag eine Empfehlung für vorerkrankte Patienten in dieser Altersgruppe ausgesprochen sowie für all diejenigen, die Kontakt zu Risikopatienten haben. Aber auch gesunde Kinder sollen bei individuellem Wunsch geimpft werden können, hieß es. Den Kinder- und Jugendarzt Heiko Stern freut das. Der 66-Jährige will in seiner Praxis am kommenden Mittwoch die ersten Kinder impfen.

SZ: Haben Sie schon eine Warteliste von Fünf- bis Elfjährigen, die sich für die Covid-19-Impfung angemeldet haben?

Heiko Stern: Tatsächlich gibt es die, etwa 140 Namen stehen da aktuell drauf. Organisatorisch werden wir die in Zehnerblöcke zusammenfassen, denn pro Fläschchen gehen zehn Spritzen raus. Während der Erwachsenen-Impfstoff geöffnet sechs Stunden haltbar ist, haben wir bei den Kindern pro Flasche zwölf Stunden Zeit. Dennoch muss das organisatorisch gut geplant sein, wir wollen schließlich nichts wegwerfen. Den ersten Block haben wir für kommenden Mittwoch geplant, den nächsten für den Samstag darauf. Die Termine sind schon namentlich reserviert.

Wer kommt denn zuerst dran?

Faktisch gibt es keine Priorisierung bei den Kindern, dennoch machen wir es so, dass gefährdete Kinder zuerst geimpft werden. Also jene mit Trisomie 21, schweren Herzfehlern, mit einer schweren Lungenkrankheit. Aber auch, wenn Kinder in naher Umgebung zu gefährdeten Erwachsenen leben, zum Beispiel bei Krebspatienten mit einer Chemotherapie oder wenn die Kinder in einer Gemeinschaftsunterkunft leben, dann ziehe ich die vor.

Wie viele Dosen haben Sie denn bestellt? Wird es zu Engpässen kommen?

Wir haben für den Start die 140 Dosen bestellt, für die Anmeldungen vorliegen. Es hat ja auch die Aufforderung von der kassenärztlichen Vereinigung gegeben, man solle nicht bunkern. Ich denke, dass es kein Gerangel geben muss und jeder früher oder später an die Reihe kommt.

Der Impfstoff für die Fünf- bis Elfjährigen ist zwar zugelassen, die Stiko hat für diese Altersgruppe aber nun eine Empfehlung mit Einschränkungen ausgesprochen. Sie wollten nicht warten - warum?

Ich begrüße eine Stiko-Empfehlung, erwarte mir davon aber keine zusätzlichen Informationen. Die Stiko steckt in einem Dilemma, weil die klassische Impfempfehlung dazu führt, eine schwere Krankheit durch Schutzimpfungen einzudämmen. Kinder haben in der Regel aber einen harmlosen Krankheitsverlauf. Stattdessen gibt es eine soziale Indikation. Es gibt Stress in Schulen, Kitas oder Vereinen, wenn ständig neue Fälle auftauchen. Das ist ein Spiel ohne Ende. Um das zu beenden, ist die Impfung wichtig.

Gegner der Kinderimpfung kritisieren, sie diene insbesondere dem Schutz der Erwachsenen. Kinder würden als potenzielle Überträger ausgeschaltet.

Damit tun sich natürlich alle schwer. Aber in einer Pandemie muss man nicht nur sich selbst, sondern auch die anderen schützen. Damit tut sich unsere Gesellschaft leider sehr schwer. Ein Beispiel: Ich hatte eine kranke 20 Jahre alte Patientin und dachte: "Sie darf es nicht bekommen." Doch sie erkrankte, der Verlauf war nicht tragisch. Allerdings hat sich ihr 60 Jahre alter Vater angesteckt und ist an Covid gestorben.

Wie schwer waren die Krankheitsverläufe von Kindern in ihrer Praxis? Mussten sie Patienten ins Krankenhaus schicken?

Alle nicht schlimm. Wir haben noch kein Kind stationär einweisen müssen.

Sie haben fünf Kinder, wenn auch alle schon älter als elf. Würden Sie diese impfen lassen.

Ich würde es wahrscheinlich tun, ja.

Was spricht gegen eine Impfung?

Ich verstehe es, wenn Eltern sagen, sie wollen das nicht. Das Risiko, dass ihre Kinder schwer erkranken, ist gering. Das sind deswegen auch keine Impfgegner. Die Lage ist schlicht eine andere, als etwa bei der Masernimpfung, mit der man unter anderem einer Gehirnentzündung vorbeugen will. Diese Haltung ist berechtigt.

Wie schätzen Sie die Lage im Landkreis ein: eher pro - oder doch contra Kinderimpfung?

Ich denke, wir liegen da mitten drin im Schnitt. Von den Zwölf- bis 17-Jährigen sind jetzt etwa 44 Prozent gegen Covid geimpft, angesichts der Omikron-Variante und den hohen Infektionszahlen ist die Tendenz steigend. In der jüngeren Zielgruppe wird die Impfbereitschaft vermutlich ähnlich hoch liegen. Grundsätzlich machen die Null- bis Zwölfjährigen in Deutschland ja nur sieben Prozent der Gesamtbevölkerung aus, das Ende der Pandemie liegt also wahrlich nicht in der Hand der Kinder. Vielmehr sind sie einer von vielen Bausteinen.

Ärzte-Kollegen von Ihnen raten, noch abzuwarten mit den Fünf- bis Elfjährigen, bis Studienergebnisse zu den Nebenwirkungen vorliegen.

Das kann man so sehen. In der Tat wurden die Zulassungsdaten, die Informationen zu den Nebenwirkungen umfassen, noch nicht publiziert. Ich erwarte mir allerdings nichts anderes als in der Altersgruppe der Zwölf bis 17-Jährigen. Faktisch haben wir einfach keine Zeit, lange abzuwarten. Druck aber sollte man keinesfalls auf Eltern und Kinder ausüben.

Unter den beiden Lockdowns und den Kontaktbeschränkungen haben vor allem die Kinder gelitten. Können Sie das bestätigen?

Die Zahl der psychischen Erkrankungen bei Kindern wie Zwangsstörungen, Magersucht und Depressionen ist enorm gestiegen. Das erleben wir auch bei uns in der Praxis. Ein geordneter Schul- und Vorschulbetrieb muss deshalb hoch bewertet werden. Inzwischen hat das die Politik erkannt.

Was glauben Sie als Mediziner, wann und wie hört diese Pandemie auf?

Wenn man sich alle großen Pandemien der Vergangenheit anschaut, haben sie nicht lange gedauert. Sars-I zum Beispiel endete, weil das Virus derart mutiert ist, dass es sich nicht mehr verbreiten konnte. Ähnliches wurde in Japan jetzt bei der Delta-Variante des Coronavirus beobachtet. Es wird jedenfalls sehr spannend und auch überaus erfreulich sein, das Ende miterleben zu können.

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