Corona-Pandemie:"Eine Durchseuchung ist unvermeidbar"

Corona-Pandemie: Starnbergs Pandemie-Koordinator Bernhard Junge-Hülsing hat sich mit der Omikron-Variante des Coronavirus infiziert.

Starnbergs Pandemie-Koordinator Bernhard Junge-Hülsing hat sich mit der Omikron-Variante des Coronavirus infiziert.

(Foto: Arlet Ulfers)

Starnbergs Pandemie-Koordinator Bernhard Junge-Hülsing erklärt die hohe Sieben-Tage-Inzidenz - und warum diese auch Vorteile haben kann. Lockerungen hält er dennoch für verfrüht.

Interview von Carolin Fries

Er klingt ein wenig verschnupft am Telefon und verrät auch gleich warum: "Mich hat's erwischt. Omikron." Also arbeitet Starnbergs Pandemie-Koordinator Bernhard Junge-Hülsing von zu Hause aus, "es geht mir ja gut". Frühestens Mitte der Woche werde er wieder in der Praxis für seine Patienten da sein können, so der 57 Jahre alte Mediziner. Wo er sich angesteckt hat, das könne er nicht sagen. Bei den aktuell hohen Infektionszahlen im Landkreis theoretisch überall.

SZ: Ende Januar ist die Zahl der Infizierten im Landkreis stark gestiegen, seither gehört Starnberg bundesweit zu den Hotspots, zwischenzeitlich gab es nirgends mehr Infizierte pro 100 000 Einwohner binnen einer Woche als im Fünfseenland. Wie lässt sich das erklären?

Bernhard Junge-Hülsing: Grundsätzlich ist die Sieben-Tage-Inzidenz in Bayern hoch - und die Lage in den Nachbarlandkreisen Dachau und Fürstenfeldbruck nicht viel anders. Das mag auch daran liegen, dass es hier verglichen mit anderen Regionen relativ leicht ist, einen Test zu bekommen. Ein weiterer Grund ist sicher die hohe Mobilität. Die Leute - und zwar wirklich viele - fahren zum Skifahren, treffen Freunde und gehen in Restaurants. Das ist offenbar sehr ansteckend. Erschwerend hinzu kommt: Die Übervorsicht ist längst einer selbstbewussten Sorglosigkeit gewichen.

Eine Inzidenz von mehr als 2800 wie zuletzt klingt aber schon irgendwie beängstigend. Ist Sorglosigkeit da denn angemessen?

Die Zahlen sind nicht beängstigend, aber durchaus ein Grund zur Sorge. Weil sie zeigen, wie das Virus die Impfungen umgeht. So hohe Werte, das wird womöglich immer wieder passieren. Andererseits zeigt sich - und das erlebe ich selbst gerade -, dass eine Infektion in der Regel glimpflich verläuft, wenn man doppelt geimpft und geboostert ist. Es ist also wirklich wichtig, dass die Leute sich die Auffrischungsspritze geben lassen, auch jene, bei denen die Erkrankung länger als ein halbes Jahr zurückliegt. Ich konnte beobachten, dass der Schutz Genesener mit dem Booster deutlich steigt.

Werden wir uns über kurz oder lang nicht ohnehin alle anstecken?

Eine Durchseuchung ist unvermeidbar. Das ist nicht das Ziel, sondern ein biologisches Prinzip. Mir gefällt das Wort Herdenimmunität besser. In Portugal lässt sich das aktuell gut beobachten: Dort waren viele Menschen schwer krank, weshalb sich sehr viele haben impfen lassen. Jetzt steigt dort die Zahl der Infizierten wieder, die Verläufe sind aber glimpflich, Covid-19 ist kein Problem.

Warum dann weiterhin die ganzen Anstrengungen, um Infektionen zu vermeiden? So niedrig liegt die Impfquote im Landkreis auch nicht, immerhin 78 Prozent sind komplett geimpft und 57 Prozent geboostert.

Wir wissen einfach nicht, welche Langzeitfolgen die Infektion hat. Es gibt Hinweise darauf, dass das Virus langfristig im Körper bleiben kann. In einer gerade bei Nature, der wichtigsten wissenschaftlichen Publikation der Welt, eingereichten Arbeit haben amerikanische Wissenschaftler bei 44 im Jahr nach der Infektion verstorbenen Patienten lebende Viren in allen lebenswichtigen Organen von der Niere bis zum Gehirn nachweisen können - bis zu 230 Tage nach dem Tod. Die Langzeitfolgen sind daher einfach noch nicht bekannt. Ich persönlich hätte jedenfalls meine Infektion gern vermieden.

Also sollte man doch weiterhin vorsichtig sein?

Unbedingt. Ich weiß, der Mensch möchte gerne planen. Doch das können wir nicht. Weil auch der schlaueste Wissenschaftler nicht sagen kann, wie es weitergeht. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass Pandemien zwischen fünf und zehn Jahre andauern. Sollte es diesmal schneller gehen, umso besser. Noch nie gab es weltweit so große Forschungsanstrengungen in eine Richtung.

Was halten Sie von den bestehenden Regeln? Die Sperrfrist ist jetzt gekippt. Aber hilft es wirklich im Kampf gegen die Pandemie, wenn die Restaurants um 22 Uhr schließen müssen?

Wir brauchen noch Beschränkungen, denn es macht keinen Unterschied, ob von 100 Infizierten 30 ins Krankenhaus müssen oder von 2000. Die Gefahr für das Gesundheitssystem, dem nicht standhalten zu können, existiert. Auch, weil das Personal in einem Maße erschöpft ist, das wir uns kaum vorstellen können. Mich erreichen zahlreiche Hilferufe von Ärzten, die sich mit Kündigungen ihrer Fachkräfte konfrontiert sehen. Die Sperrstunde in der Gastronomie war hier vielleicht nicht sonderlich sinnvoll, die großen Partys, vollen Stadien und Clubs und Indoor-Veranstaltungen aber können wir uns derzeit nicht erlauben.

Also keine Lockerungen deutlich vor Ostern, wie sie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach angekündigt hat?

Die Aussagen des Gesundheitsministers sind und waren zumeist eher politisch denn wissenschaftlich begründet. Ich gehe davon aus, dass die Inzidenz im Landkreis in zwei bis vier Wochen deutlich sinken wird. Dann wird es andere Regionen erwischen, das liegt in der Natur des Virus, dass es sich räumlich verlagert. Erst im Sommer wird es landesweit deutlich besser werden, so viel wissen wir bereits. Wenn wir dann dafür sorgen, dass sich spätestens mit Ende der Sommerferien alle mit einem an das Virus angepassten Wirkstoff ein viertes oder fünftes Mal impfen lassen, wird es im nächsten Winter wahrscheinlich besser.

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