Süddeutsche Zeitung

Corona-Auszeit: Der Entwickler:Flugtaxi im Home-Office

Tagsüber ist Ingenieurs- und Entwicklungsarbeit am heimischen Schreibtisch gefragt, am Abend gibt's Online-Quizzes und Möglichkeiten für virtuellen Sozialkontakt. Ein Gespräch mit Firmensprecher Oliver Walker-Jones.

Interview von Jessica Schober

Der Brite Oliver Walker-Jones hat zuvor bei Rolls Royce gearbeitet und in London und im Peak District gelebt. Seit der 34-Jährige beim Flugtaxi-Start-up Lilium auf dem Sonderflughafen Oberpfaffenhofen die neue Stelle als Head of Communications angetreten hat, ist er nach München gezogen. Seit einem Jahr lernt er Deutsch, die Fragen beantwortete er auf Englisch.

SZ: Wie geht es Ihnen, Herr Walker-Jones?

Oliver Walker-Jones: Eigentlich ganz gut. Ich versuche mir gerade einen Bart wachsen zu lassen. Man muss doch die Gelegenheit nutzen, wenn man seinen Kollegen schon ein paar Wochen nicht begegnet. Wir haben eine recht lockere Unternehmenskultur, bei uns trägt kaum einer Anzug. Aber: Ein guter Bart braucht eben seine Zeit.

Wie sieht es bei Lilium in Oberpfaffenhofen gerade aus?

Bei uns arbeiten fast alle 400 Mitarbeiter von Zuhause. Übrigens kann ich berichten: Home-Office mit Kindern daheim ist gar nicht so einfach, mein Nachwuchs guckt gerade Fernsehen, während wir dieses Interview führen. Aber bei Lilium haben wir Glück, dass wir gerade nicht in der Produktionsphase sind und versuchen, Hunderte Flugzeuge herzustellen. Im Moment geht es vor allem um Ingenieurs- und Entwicklungsarbeit, und die kann man auch prima vom Schreibtisch daheim machen. Wir können also weitermachen, das ist wichtig. Auf dem Sonderflughafen Oberpfaffenhofen schauen weniger als zehn Mitarbeiter nach der Sicherheit unseres Prototypen. Wir bauen gerade einen zweiten Prototypen, mit dem wir dann im Laufe des Jahres erste Flüge absolvieren wollen.

Der erste Prototyp ist ja jüngst in Flammen aufgegangen. . .Wie kommt Lilium durch die Krise, wenn doch gerade überall der Flugverkehr zum Erliegen gekommen ist?

Wir haben gerade 240 Millionen Dollar (etwa 221 Millionen Euro) an Investorengeldern eingesammelt. Das gibt uns mehr finanzielle Sicherheit, als wir je hatten. Das Timing ist natürlich für uns ein Glücksfall. Wir waren schon lange vor der Corona-Krise mit unserem chinesischen Investor Tencent im Gespräch, ob sie nicht noch mehr investieren wollen. Und ausgerechnet in dieser Zeit, in der so viele Start-ups eine schwere Zeit durchmachen, können wir jetzt die Zusage verkünden. Da sind wir sehr froh darüber.

Ein chinesischer Investor gibt ausgerechnet jetzt mehr Geld für ein europäisches Flugtaxi-Start-up?

Das Timing hat jetzt nichts mit dem Corona-Shutdown zu tun. Es dauert Monate, bis man bei solchen Gesprächen zu einem Ergebnis kommt. Und wir bauen ja auch nicht heute ein Flugzeug, das wir morgen verkaufen könnten. So ein Investment zeugt ja eher davon, dass jemand ein Potenzial für die Zukunft für diese Art von emissionsfreiem Transport sieht. Und wir wollen mit unserem Lilium-Jet ja später mal Orte und Städte miteinander verbinden - nicht Kontinente.

Und wie verbinden Sie derzeit die Mitarbeiter miteinander?

Als Start-up haben wir eh immer schon viel in Technologien investiert, die unsere Mitarbeiter miteinander verbinden. Deshalb ist es für uns ganz normal Zoom, Microsoft Teams oder andere Konferenzsysteme zu nutzen. Wir hatten jetzt auch schon zwei Online-Meetings, bei denen alle 400 Mitarbeiter des Unternehmens online waren. Das ist gut fürs Team, wenn sich alle mal treffen. Man kann zwar immer nur 40 Kollegen auf einmal im Bildschirm sehen, aber man kann sich dann ja durchscrollen.

Fehlt Ihnen nicht der Kontakt zu den Kollegen?

Am Abend bieten wir Online-Quizzes an und Möglichkeiten für virtuellen Sozialkontakt an. Ich finde, man lernt manche Kollegen noch mal von einer anderen Seite kennen. Bei Zoom kann man sich zum Beispiel einen Hintergrund aussuchen, und darüber lernt man auch manchmal eine Menge über die Interessen der Kollegen, je nachdem, was sie sich da aussuchen. Manche nehmen ein Bild vom Lilium-Flugzeug, andere einen Videospiel-Hintergrund, und wieder andere nehmen irgendein nerdiges Deep-Data-Tech-Zeugs. Unsere Chefs wählen meist einen Urlaubshintergrund, um ein bisschen die Stimmung zu heben.

Worauf freuen Sie sich, wenn wieder bessere Zeiten kommen und die ganzen Beschränkungen gelockert werden?

Wir haben gerade einen eigenen Bus-Shuttle-Service aufgebaut, um unsere Mitarbeiter von der S-Bahn-Station Neugilching zum Werksgelände auf dem Sonderflughafen Oberpfaffenhofen zu bringen. Bisher fuhr nur ein kleiner Minibus, jetzt haben wir einen richtigen Linienbus, der sechs, sieben Mal am Morgen und am Abend fährt. Im Moment fährt der Bus natürlich nicht. Aber prinzipiell ist es uns ein Anliegen, unsere Mitarbeiter weg vom Auto hin zu emissionsfreien Fortbewegungsmöglichkeiten zu bringen. Und ich freue mich wieder auf dieses "Schulbus-Gefühl", wenn ich morgens wieder mit den Kollegen zusammen zur Arbeit fahren kann.

Vielen Dank und bleiben Sie gesund!

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4872324
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
sz.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.