"Collegium Bratananium" in Gauting:Brillante Berg- und Talfahrt

Caecilienmesse in der Realschule

Die Zuhörer in weitem Abstand, das Orchester in Kleinst-Besetzung: Wer dabei war erlebte in der Realschule Gauting ein eindrucksvolles Konzert.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Das Ensemble beeindruckt in der Realschule mit grandioser Einfühlsamkeit unter Dirigent Johannes X. Schachtner - obwohl währenddessen die Putzleute scheppern

Von Reinhard Palmer, Gauting

Es war ein Konzert von seltener Zartheit und Einfühlsamkeit. Johannes X. Schachtner am Pult schwor am Freitag in der Gautinger Realschule die weibliche Abteilung des Collegium Bratananium sowie die beiden Solistinnen Katharina Burkhart (Sopran) und Ulrike Malotta (Alt) auf die leisesten Töne ein und gewann eine reich changierende Farbpalette im Klang. Umso reicher, da die instrumentale Kleinstbesetzung mit Lukas Rüdisser (Horn), Kai Wangler (Akkordeon) und Marlis Neumann (Harfe) in den Begleitstimmen ein erstaunlich breites Klangfarbenspektrum abdeckte. Im akustisch vorteilhaften Foyer der Schule wäre das geistliche Konzert der reinste Ohrenschmaus gewesen - hätte bloß jemand die Reinigungskraft abbestellt. "Wegen Scheißkonzert" werde er seine Arbeit nicht unerledigt lassen, gab er auf Empörung zur Auskunft. So bereicherten er und seine eifrige Begleiterin vor allem Gounods Caecilienmesse mit Klängen der subito zufallenden Türen, eines atonal quietschenden und scheppernden Servicewagens, der weiß rauschenden Müllsäcke, mezzoforte klappernden Abfalleimer und forschen Legato-Schritte. Ganz Kenner der weiten Bögen - wohl um jedwede Bildungsstätte herum. Geradezu sinnbildlich für den Stellenwert der Kultur hierzulande. Respekt vor den Künstlern, die dennoch in voller Konzentration mit Professionalität brillierten. Und es war schon ohne Störfaktor knifflig genug, was die Dramaturgie des Abends betraf.

Die reinste Berg- und Talfahrt der Empfindungen, denn hier ging es um die Auseinandersetzung mit der romantischen Auffassung bis in die Gegenwart hinein. "Figura III per fisarmonica" schrieb Matthias Pintscher (geb. 1971), derzeit einer der erfolgreichsten Dirigenten und Komponisten, im Jahr 2000. Ein Werk von schwer fassbarer Gestalt, ein tönendes Klanggebilde, das Wangler mit flirrenden Höhen, Schwebungen, Reibungen, sphärischen Effekten, an- und abschwellenden Volumina, vibrierenden Lasuren mit großer Spannung formte. Das erklang unmittelbar nach dem romantischsten aller Werke: Ave Maria von Bach und Gounod. In der Bearbeitung für Sopransolo, Frauenchor und Harfe von Franz Kreuzlinger gesetzt, erreicht das Werk eine enorme Süße, zumal wenn in einer so zart blühenden Feinheit vorgetragen. Dieser Zugriff wurde in seiner Wirkung durchs vorangehende Werk gewaltig gesteigert. Messiaens Horn-Solo "Appel interstellaire" - Nr. VI aus "Des Canyons aux Étoiles" - spielte sich zwar ebenfalls entrückt ab, zumal es Rüdisser von der rückwärtigen Galerie herunter sandte, doch anders geartet. In diesem Himmel gab es keine Engel, vielmehr beklemmende Weiten, Ungewissheit, Fremdheit.

Es war schon ein extremes Kontrastprogramm. Man hätte fast glauben können, dass der Einsatz der Reinigungskraft eine geplante, provozierende Performance war. Aber die Platzierung passte nicht ganz, denn sie konterkarierte den Kulminationspunkt der atmosphärischen Romantik der "Petite Messe en l'honneur de Sainte-Cécile". Im Original wäre die Störung wohl untergegangen, konzipierte Gounod doch die Messe für eine gewaltige Besetzung, allerdings eines ausgesprochen französisch-romantischen Orchesters, dessen besondere Färbung Schachtner mit den drei Charakterinstrumenten geschickt nachempfand. Entscheidend waren letztendlich die Balance des gesamten Klangkörpers und die harmonischen Relationen der einzelnen Bestandteile. So gelang es Schachtner trotz signifikanter Reduktion den Geist des Werkes eindrucksvoll erstehen zu lassen. Einen Kontrast flocht er mit einem eigenen Werk ein, dem "Missa est I: Glossolalie", das in Uraufführung explizit musikalisch Bezug zum romantischen Klangbild nahm. Viele Klangfolien schoben sich übereinander, überlagerten sich teils in dissonanten Reibungen, während die Begleitung immer wieder pulsierend in Erregung geriet. Allmählich wurden Muster erkennbar, versetzt minimalistisch wiederholt ergab sich schließlich eine feinmaschige Struktur, in der geringfügige Tonabweichungen Spannungen auf engstem Raum erzeugten. Dieses Kontrastmittel ließ das anschließende beschwingt rhythmisierte Benedictus der Caecilienmesse mit gelöster Glückseligkeit verzaubern. Gounods Seelenmassage in Schachtners Version und der so grandiosen Einfühlsamkeit der Ausführenden erreichte eine betörende Sinnlichkeit - und infolge eine tiefe Ergriffenheit.

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