Süddeutsche Zeitung

Chöre im Landkreis Starnberg:Und sie singen wieder

Einige Vokalensembles haben die Probenarbeit nach dem langen Lockdown wieder aufgenommen. Großprojekte wie das Brahms-Requiem in Herrsching sind aber abgesagt oder verschoben.

Von Reinhard Palmer

"Wir waren gestern alle sehr froh, dass wir wieder singen durften, das ist einfach Wellness für die Seele", sagt Friederike Eickelschulte, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit bei Musica Starnberg, nach der ersten Probe seit dem Corona-Shutdown. Ähnliches ist derzeit überall dort zu hören, wo unter entsprechenden Auflagen die Chorproben wieder beginnen. Norbert Groh gehört zu den Pionieren: Er wagte es, zumindest 20 Mitglieder seiner Pöckinger Chorgemeinschaft wieder zu versammeln. Zweimal schon trafen sich die Sänger auf der grünen Wiese, bevor sie nun mit Groh den Gang in den angestammten Pfarrsaal von St. Pius taten.

Um sich die vorgeschriebenen Lüftungspausen zu ersparen, setzten sich die Choristen gleich in den Durchzug beidseitig geöffneter Fenster. Zugig, aber sicher. Und irgendwie passend zu "El Grillo" des franko-flämischen Renaissancekomponisten Josquin des Préz. "El grillo e buon cantore" (Die Grille ist eine gute Sängerin), heißt es zu Beginn des pfiffigen, teilweise lautmalerischen Liedes mit knifflig umschlagender Rhythmik. Für die Pöckinger kein Problem, sich in die Rhythmusbrechungen der Renaissance einzufühlen, um einen schönen Kontrast zwischen altmusikalischem Rap und fließender Melodik hinzubekommen.

Die Choristen erschienen gut vorbereitet, sodass Groh in die Detailarbeit einsteigen konnte. Unter anderem ging es um die Atemstütze, die langer Übung bedarf. Doch der Zugewinn an Klangsubstanz war im Pöckinger Pfarrsaal deutlich zu vernehmen. Das ebenfalls geprobte, anspruchsvollere Gloria von Vivaldi hätte schon am 1. Juni in St. Pius erklingen sollen, doch dann kam alles anders. Wann es im Konzert zu hören sein wird, ist offen.

Einen konkreten Konzerttermin hat Helene von Rechenberg in Tutzing ebenfalls noch nicht ins Auge gefasst. Die ursprünglich für November angesetzte Aufführung des Mozart-Requiems kann nicht realisiert werden, da zu wenig Zeit für die Proben verbleibt. Entweder zur Passionszeit oder im Herbst kommenden Jahres soll nun das Werk erklingen. Auch von Rechenberg machte bei der ersten Probe die Bekanntschaft mit Mücken auf der grünen Wiese. Nun geht es daher in der Kirche weiter. Rund ein Drittel der Choristen möchte allerdings kein Risiko eingehen und vertröstet von Rechenberg auf September. Bis dahin werden nur Kirchenlieder geprobt, um die Gottesdienste zu bereichern. In kleinen Gruppen wagte das der Chor von St. Joseph schon im Mai, damals als Ersatz für den Gemeindegesang und noch maskiert. Einen Probelauf gab es inzwischen auch mit einem kleinen Instrumentalkonzert. Daraus soll eine Reihe werden, die den Orgelherbst ersetzt.

Der St.-Nikolaus-Chor in Herrsching pausiert derzeit. Man halte sich an die Vorgabe der Diözese Augsburg, erst im September mit den Proben zu beginnen, sagt Chorleiter Ludwig Anton Pfell. "Ich finde es nicht gut, wenn die Sänger so weit auseinander sitzen", betont er zudem. Der musikalische Aspekt sei beim Abstand halten erschwert. Pfell selbst zog sich für eine Weile zurück, um für sich an der Orgel und am Klavier zu arbeiten. In den nächsten Wochen werde er im Duo mit Geigenstar Arabella Steinbacher zwei "musikalische Meditationen" in Herrsching spielen. Den Plan, mit dem Chor das Brahms-Requiem aufzuführen, habe er aufgeben müssen. Angedacht sei nun "Oratorio de Noël" von Saint-Saëns, aber noch ohne Aufführungstermin. In kleinen Ensembles kamen seine Chorsolisten bereits zum Einsatz, etwa am Pfingstsonntag. Kommenden Sonntag werde ein Oktett doppelchörige Werke von Schütz, Mendelssohn und Rheinberger im Gottesdienst vortragen.

Musica Starnberg peilt den 22. November als Konzerttermin in St. Maria an, um zu präsentieren, was aktuell einstudiert wird. Im 14-tägigen Turnus, denn dazwischen probt das Orchester. Die Aula des Starnberger Gymnasiums ist zwar groß, doch Social Distancing sprengt sogar diesen Rahmen. Im Herbstkonzert werde es daher kein Chorwerk mit Orchesterpart auf der Bühne geben, sagt Eickelschulte.

Doppelt schwer traf es Sul Bi Yi. Nach dem Aus in Andechs kam die Kirchenmusikerin in Germering unter und erhielt einen Lehrauftrag an der Münchner Musikhochschule. Das dritte Standbein ist die Leitung des Vokalensembles Fünfseenland. Nachdem Andreas Schlegel die Assistenz des künstlerischen Direktors der internationalen Gluck-Opern-Festspiele annahm und nach Nürnberg zog, muss Sul Bi Yi ohne Übergabe neu durchstarten. Knapp die Hälfte der Choristen will mit ihr weitermachen. Bevor große Pläne geschmiedet werden, beginnt sie mit A-cappella-Stücken und Liedern. Das ursprünglich für den vergangenen April angesetzte Fauré-Requiem fiel Corona zum Opfer. Jetzt heißt es: klein, aber fein. Die ersten Proben sollen bald stattfinden.

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SZ vom 11.07.2020
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