Wörthsee:Menschliche Abgründe

Wörthsee: Der Münchner Schauspieler Burchard Dabinnus ist in Steinebach aufgewachsen, an diesem Donnerstag liest er in Wörthsee aus dem Buch "Mich hat Auschwitz nie verlassen".

Der Münchner Schauspieler Burchard Dabinnus ist in Steinebach aufgewachsen, an diesem Donnerstag liest er in Wörthsee aus dem Buch "Mich hat Auschwitz nie verlassen".

(Foto: Robert Haas)

Schauspieler, Regisseur und Rundfunksprecher Burchard Dabinnus liest zum "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus" am 27. Januar aus einem Buch, das die Zuhörer mit unvorstellbaren Greueltaten konfrontiert.

Von Gerhard Summer

Wie soll man solche Texte nur vortragen? Berichte, in denen es um pure Zufälle oder um die paar Sekunden geht, die über Überleben oder Tod in der Gaskammer entscheiden? Um unvorstellbare Grausamkeit, eine perfide Tötungsmaschinerie und um Mörder in Uniform, die abends brave Familienväter waren. Oder sogar um die Schuldgefühle, mit denen sich viele Holocaust-Überlebende noch jahrzehntelang quälten. Warum nur hatten sie überlebt, ihre Eltern und Geschwister aber nicht?

Der Schauspieler, Regisseur und Rundfunksprecher Burchard Dabinnus, 60, der in Wörthsee aus dem Buch "Mich hat Auschwitz nie verlassen" von Susanne Beyer und Martin Doerry lesen wird, hat darauf keine aus dem Ärmel geschüttelte Antwort. Er sagt: "Diese Erlebnisse sind so ungeheuer, man schämt sich fast, wenn man das selber in die Hand nimmt und vorträgt. Es kommt einem vermessen vor, diese Stimmen zu übernehmen." Er werde deshalb versuchen, "einen Ton zu finden, um das emphatisch und trotzdem sachlich wiederzugeben". Letztlich "kann ich es nur vorlesen und dem Zuhörer übergeben." Wobei klar sei: "Alles ist nicht so weit weg, wie wir denken und hoffen."

Der Münchner mit litauischen Vorfahren ist im Wörthseer Ortsteil Steinebach aufgewachsen, sein Großvater hatte dort Anfang der Fünfzigerjahre ein Grundstück gekauft und bebaut. Abitur machte Burchard Dabinnus am Gymnasium Tutzing. In seiner alten Heimat und in Herrsching tritt er immer mal wieder auf, ob zusammen der Schauspielerin Susu Padotzke ("Hubert ohne Staller") oder mit eigenen Performances und Theaterprojekten. Dass ihn die Wörthseer Kulturbeauftragte Juliane Seeliger-von Gemmingen für die Lesung mit Cellomusik zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar engagierte, hat vielleicht auch mit einem anderen Umstand zu tun: Dabinnus blickte schon öfter in menschliche Abgründe. 2020 etwa nahm er einen BR-Podcast über eine Beziehungstat auf: "Der Mörder und meine Cousine".

Aus dem 2015 erschienenen Buch der Spiegel-Redakteure, die in Israel, den USA und Europa lebende einstige Häftlinge des Konzentrationslagers nahe der polnischen Stadt Oświęcim besuchten, hat Dabinnus fünf Texte ausgewählt. Sie stammen von Raphaël Esrail, der in der Türkei geboren wurde und in den Dreißigerjahren nach Frankreich kam, von Philomena Franz aus einer schwäbischen Sinti-Familie, der berühmten Breslauer Cellistin Anita Lasker-Wallfisch, der Polin Bronia Brandman aus einem Dorf nahe Auschwitz und Jehuda Bacon aus Tschechien. Was ihn an den Zeitzeugenprotokollen am meisten erschütterte, das sind die grauenhaften, von den Nazis erzwungenen Abschiede. Diese "blitzartigen Momente", etwa wenn sich ein mit seinen kleinen Geschwistern an der Selektionsrampe stehendes Mädchen dafür entscheidet, auf die andere Seite zu seiner zur Arbeit abkommandierten Schwester zu laufen. Und überlebt.

Die Protokolle gehen Dabinnus auch aus einem anderen Grund an die Nieren. "Auschwitz hängt in unserer Familie im Hintergrund", sagt er. Ihm zufolge führte sein Großvater von 1939 an eine arisierte Getreidemühle in Ostpreußen, "und da gibt es einige Fragen". Zwei Jahre zuvor habe ein Konsortium aus Kunden den großen Industriebetrieb übernommen, angeblich um Hab und Gut der jüdischen Eigentümer zu sichern. Die Besitzer, Hans-Joseph Meyer und dessen Ehefrau, seien in Auschwitz umgebracht worden. Sein Opa "war mit ihnen befreundet", so Dabinnus. Unklar sei nach wie vor, ob es um klassische Arisierung oder eine Art Rettungsversuch gehe. Er habe Kontakt mit dem Enkel der einstigen Mühlenbetreiber, Billy Meyer, und plane, "ein Projekt daraus zu machen, aber es gibt noch keine Finanzierung".

Wie der Schauspieler aus Steinebach sagt, wäre es für ihn durchaus auch an der Zeit, die Nazi-Vergangenheit des Wörthseer Ortsteils zu erforschen. Er erinnert sich daran, wie er Anfang der Achtzigerjahre eine Umweltschutzgruppe gegründet hatte und zum großen Aufräumen ins Schluifelder Moos gezogen war. Dort entdeckten er und seine Helfer nicht nur ausrangierte Kühlschränke und anderen versenkten Müll, sondern auch ein in der Mitte geknicktes Schild der "Adolf-Hitler-Straße". Wo es vormals stand, hat er bislang noch nicht herausgefunden.

Die Lesung an diesem Donnerstag, 27. Januar, mit Dabinnus und dem Cellisten Walther Fuchs beginnt um 19 Uhr. Der Eintritt ist frei, es gelten 2 G plus und FFP2-Maskenpflicht. Um Anmeldung unter der Adresse events@woerthsee.de wird gebeten. Die Gemeinde zeichnet den Abend auf.

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