Ihre Aussichten, als Direktkandidaten für den Wahlkreis 223 in den Bundestag einzuziehen, sind gleich null und auch den jeweiligen Landeslisten werden allenfalls geringe Chancen eingeräumt. Was bewegt die Bewerber der Parteien und Gruppierungen, die bislang nicht im Parlament vertreten sind, sich dennoch politisch zu engagieren? Die SZ hat in Gesprächen mehr über die jeweiligen Motive und den persönlichen Werdegang der Nominierten erfahren. Die Kandidaten sind in der Reihenfolge aufgeführt, wie sie auf den unteren Rängen der Stimmzettel zu finden sind.
Freie Wähler: Rolf Jürgen Hofmann

Der 61-jährige dreifache Familienvater hat sich der Partei erst vor einem Jahr angeschlossen, Auslöser für ihn waren die Bauern-Proteste. Hofmann fand: „Man kann nicht immer nur schimpfen.“ Bei den Freien Wählern sieht er „die Mitte der Bevölkerung am besten repräsentiert“, sich selbst bezeichnet der Direktkandidat als „bürgerlich-liberal“. Er ist in Starnberg aufgewachsen und lebt nun in Eching am Ammersee.
Auf die Frage nach der Spitze seiner politischen Prioritätenliste sagt er: „Ganz wichtig ist ein echter Bürokratieabbau“ - und nennt ein ihm naheliegendes Beispiel: Nur 200 Meter von Hofmanns Haus entfernt verläuft die Lindauer Autobahn. Der Ingenieur für Maschinenbau und Fahrzeugtechnik, freiberufliche Kfz-Sachverständige und Busfahrlehrer hat den pannenreichen Autobahnausbau viele Jahre lang hautnah miterlebt. Den im Jahr 2000 fertiggestellten Echinger Tunnel habe man bald wieder saniert, „weil Deutschland europäische Sicherheitsrichtlinien auf Anraten des ADAC übererfüllt hat“, klagt Hofmann. Ihm sei vor allem „sehr wichtig, dass im Bundestag mehr Leute sitzen, „die von ihren eigenen Händen leben“. Nicht ganz so typisch für seine Gruppierung bekennt sich Hofmann dazu, „vom Herzen her absoluter Klimaschützer“ zu sein - was er auch bei der energetischen Sanierung seines Hauses umgesetzt habe. Vom Bund fordert er eine effektive Anreizpolitik, um die Umsetzung der Klimaziele anzukurbeln.
Die Basis: Manfred Helmers

Für die aus der sogenannten Querdenker-Bewegung von Impfgegnern hervorgegangene Basisdemokratische Partei Deutschland tritt ihr Landsberger Kreisvorsitzender an. Manfred Helmers lebt mit Partnerin und deren Tochter in Geltendorf. Der Basis hat er sich dort bei einer Veranstaltung gegen den Lockdown im Herbst 2021 angeschlossen, aktiv engagiert er sich aber erst seit einem Jahr. Zur Bewerbung um das Bundestagsdirektmandat habe er sich entschlossen, weil „sonst keiner dafür zur Verfügung stand“, sagt der 60-jährige Installateurmeister. Er habe sich schon immer für mehr Bürgerbeteiligung in der Politik eingesetzt, „wie etwa in der Schweiz.“
Helmers meint, „wirklich frei ist man hier nicht“. Er spricht von Steuerverschwendungen, einer Intransparenz politischer Entscheidungen und moniert die Digitalisierung des Zahlungswesens. Auf das Reizthema Migration angesprochen erklärt er, „ich würde jedem helfen, der eine Gegenleistung bringt“. Er schlägt vor, von Einreisewilligen eine Kaution von 20 000 Euro zu erheben, „als Kredit, der dann hier durch Arbeit abbezahlt werden kann“. Der aktuellen Protestwelle gegen Rechtsextremismus bringt Helmers wenig Verständnis entgegen: „Diese Demonstrationen sind ja bezahlt worden.“ Auf die Frage, woher er diese Information beziehe, nennt Helmers „Instagram und Facebook“, die er auf Nachfrage als „seriöse Medien“ einstuft.
Tierschutzpartei: Sabine Hahn

Die Veterinärmedizinerin gehört nicht der „Partei Mensch, Umwelt, Tierschutz“ an - ist aber von deren regionalen Mitgliedern angeschrieben und anschließend als Erststimmenkandidatin nominiert worden. Bis ihr dort „die internen Streitigkeiten zu viel wurden“, war Sabine Hahn bayerische Landesvorsitzende der „V-Partei³ für Veränderung, Vegetarier und Veganer“. Die 59-Jährige ist in Wörthsee aufgewachsen und vor drei Jahren wieder dorthin zurückgezogen, wo sie mit ihrem erwachsenen Sohn und zwei Hunden lebt.
Seit einem dreiviertel Jahr ist sie als Familienkoordinatorin für das Jugendamt tätig. Als Tierärztin arbeite sie schon länger nicht mehr, sagt sie, „das war mir zu sehr mit der Pharmaindustrie und massiven Tierversuchen verbandelt“. Statt durch Gesetze und Verbote will Hahn „Politik mit Mitgefühl gestalten, die Menschen zum Miteinander bewegen und das Zusammenleben in der Gesellschaft stärken“. Der Erhalt bestehender Ökosysteme sei ihr sehr wichtig, das beinhalte auch den Klimaschutz. Rein technische Lösungen wie etwa Windräder im Wald sieht sie hingegen skeptisch, „mir geht es darum, die Natur zu achten“. Im Wahlkreis habe sie mit fünf bis zehn Aktiven „leider nur ganz wenige Mitstreiter“, aber bei den Wählern viel Zustimmung gefunden: „Das Thema Tierschutz ist leicht vermittelbar, fällt aber oft hinten runter.“
Die Partei: Christoph Raab

Unter den kleineren Gruppierungen im Wahlkreis kann nur und ausgerechnet die vom Satiriker Martin Sonneborn gegründete „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“ mit einem Mandatsträger als Direktkandidat aufwarten. Als Christoph Raab 2019 auf der örtlichen Einheitsliste in den Kinsauer Gemeinderat nachrückte, war er der erste gewählte Vertreter der Satirepartei in Bayern; inzwischen hat er reichlich politische Erfahrungen gesammelt: Vor fünf Jahren zog er in den Landsberger Kreistag ein.
Der 48-Jährige ist alleinstehend, in Berlin aufgewachsen und hat als Theater- und Filmregisseur sowie als Brillenmacher gearbeitet - was ihn vor 15 Jahren auch nach Kinsau führte, wo er sich unter anderem als Spielleiter der Dorfbühnen engagiert. Auf kommunalpolitischer Ebene könne er „nicht nur satirisch agieren, da ist ja kaum politische, sondern eher sachorientierte Arbeit zu leisten“. Seine humoristische Ader lebt er auf seiner Homepage „House of Kreistag“ aus, wo er etwa die Pläne für ein neues, 120 Millionen Euro teures Landratsamt in Landsberg durch den Kakao zieht. „Ein Bundestagsabgeordneter ist für die aus der Politikverdrossenheit entstandene Partei per se ein Fehltritt“, sagt Raab. Statt Entscheidungen mitzutragen, sei es dessen vorrangige Aufgabe, „Transparenz zwischen dem Wähler und der Politik zu schaffen und mit satirischer Schärfe Denkanstöße und Diskussionen anzuregen“ - wie Sonneborn seit elf Jahren im Europaparlament.
Bayernpartei: Markus Wagner

Der 44-jährige Oberstudienrat stammt ursprünglich aus Gilching und ist mit seiner Frau und den zwei Söhnen 2013 nach Apfeldorf am Lech gezogen. Seit vier Jahren ist Wagner Mitglied der Bayernpartei und hat dort bereits den Bezirks- und den Kreisvorstand Weilheim-Schongau übernommen; außerdem ist er Vorsitzender des Apfeldorfer Soldaten-, Veteranen- und Kameradschaftsvereins.
Ausschlaggebend für sein Engagement sei, dass „die bayerischen Interessen im Bundestag zu kurz kommen“. Dort herrschten „Respektlosigkeit, Polemik und Umgangsformen, die oft peinlich oder lächerlich sind“; der Lehrer an der Fachoberschule Weilheim würde etwa ein Handyverbot im Parlament verhängen. Er fordert, „mehr Rechte, Pflichten und Verantwortung in Bayern zu belassen und die sozialen Probleme hier zu lösen - wir können nicht die ganze Welt retten.“
Wagner kritisiert, „dass sich Migranten in der sozialen Hängematte ausruhen und unser Wertesystem untergraben“ und befürwortet, „dass die Brandmauer zur AfD fällt, damit sie tatsächlich Verantwortung übernehmen und sich dann als Blender erweisen, wie wir alle annehmen“. Besonders wichtig sei ihm, finanzierbaren Wohnraum zu schaffen und die Krankenhäuser in ländlichen Regionen zu erhalten.
Volt: Titus Muschik

Der gelernte Kranken- und Altenpfleger ist erst im vergangenen Jahr zu Volt gestoßen: „Ich war schon immer ein Fan von Europa und mich hat fasziniert, dass diese junge Partei in 31 Ländern vertreten ist.“ Muschik ist in der DDR aufgewachsen, Ende der 1980er-Jahre war er vorübergehend bei der Grün-Alternativen Liste in Hannover aktiv. Seit 1998 lebt er mit seiner Frau und den 18 und 21 Jahre alten Söhnen in Germering. Als freigestellter Personalrat vertritt er die Interessen von rund 11 000 Beschäftigten der Ludwig-Maximilians-Universität.
Er bedauert, dass sich bei der Nominierung des Volt-Direktkandidaten kein jüngerer Bewerber gefunden habe, nun wolle er „als 59-Jähriger seine Erfahrung in eine Partei einbringen, deren Mitglieder im Durchschnitt 36 Jahre alt sind“. Er tritt für ein aktives Wahlrecht ab 16 ein und regt an, „ein Jugendparlament zu schaffen, das im Bundestag einmal jährlich Vorschläge einreichen kann“. Er findet, „im Grundgesetz sollte das Recht auf bezahlbaren Wohnraum verankert werden“, Muschik tritt für die humanitäre und militärische Unterstützung der Ukraine ein. Seit 1991 ist er im Landesbund für Vogelschutz engagiert, Umwelt- Natur- und Klimaschutz haben für ihn sehr hohen Stellenwert, insbesondere „die Umstellung auf eine nachhaltige Landwirtschaft, der Schutz des Wassers und das Insektensterben zu stoppen.“