Süddeutsche Zeitung

Bürgermeister klagt wegen Beleidigung:Schmerzensgeld - für einen KZ-Gedenkstein

Tutzings Bürgermeister Wanner verklagt einen 70-Jährigen, der ihn beleidigt haben soll. Das Schmerzensgeld will er für den geplanten KZ-Gedenkstein spenden - eine ungewöhnliche Art der Finanzierung.

Gerhard Summer

Ein Rentner aus Frankfurt könnte demnächst möglicherweise zu den Hauptfinanziers des Tutzinger KZ-Gedenksteins gehören - und zwar wider Willen. Denn Bürgermeister Stephan Wanner hat den Mann auf mindestens 1000 Euro Schmerzensgeld wegen Beleidigung verklagt. Der 70-Jährige aus Frankfurt hatte dem Tutzinger Politiker im Zusammenhang mit der Debatte über die braune Vergangenheit der Pianistin und Tutzinger Ehrenbürgerin Elly Ney (1882 bis 1968 ) empfohlen, sich einer nervenärtzlichen Behandlung zu unterziehen. Und hinzu gefügt, ein Neurologe könne heutzutage selbst in schweren Fällen, wahre Wunder bewirken. Der Briefschreiber hatte Wanner, weil dieser - so der Vorwurf - eine Tote "entnazifizieren" wolle.

Der Bürgermeister will das Schmerzensgeld, sollte es ihm am 1. Oktober in der Verhandlung vor dem Amtsgericht zugesprochen werden, nicht für sich behalten. Wie er mitteilt, plane er, mit dem Betrag die bisher eingegangenen Spenden in Höhe von 2890 Euro für ein rund 11.000 Euro teures Mahnmal aufzustocken. Die Gemeinde möchte mit dem Gedenkstein an das Schicksal einstiger KZ-Häftlinge erinnern. Die etwa 1500 Überlebenden des Holocaust waren am 30. April 1945 mit dem Zug in Tutzing gestrandet und dort befreit worden. 54 von ihnen starben damals an Entkräftung.

Wanner hängte im Rathaus ein Bild von Ney ab

Der Frankfurter hat bereits angekündigt, dass er nicht zu dem Verfahren in Starnberg erscheinen will. Denn er sei "gesundheitlich angeschlagen", schreibt er ans Amtsgericht. Allerdings könnte ihn auch diese Anklageerwiderung teuer zu stehen kommen. In dem Brief heißt es nämlich: "Dieser niederträchtige promovierte Jurist Wanner wollte mich mit wissentlich falscher Anschuldigung für fünf Jahre ins Gefängnis bringen. Die Worte des israelischen Schriftstellers Gilad Atzmon (,Den Holocaust habe es nicht gegeben, der sei eine Fälschung, von US-Amerikanern und Zionisten in die Welt gesetzt') legte mir der Bürgermeister in den Mund." Wanner wertet dies auch als Beleidigung und will den Rentner auch deswegen auf Schmerzensgeld verklagen.

Der erste Brief des Mannes datiert vom 7. April 2009. Rund zwei Monate zuvor hatte der Gemeinderat beschlossen, Elly Ney die Ehrenbürgerschaft nicht posthum abzuerkennen, sich aber von antisemitischen Äußerungen der Künstlerin in der Nazizeit zu distanzieren. Die Vergangenheit der ehemals weltbekannten Pianistin und Beethoven-Interpretin war in Tutzing jahrzehntelang kein Thema gewesen. Erst als der damals neue Bürgermeister Wanner (parteilos) im Mai 2008 ein Ney-Gemälde in der Rathaustenne abhängte und die CSU ihn zur Rede stellte, kam die Diskussion in Gang. Die Folge war ein erbitterter Streit, der Tutzing spaltete.

Der Rentner ist wegen der Empfehlung, Wanner solle einen Nervenarzt konsultieren, bereits vom Amtsgericht Frankfurt am Main zu einer Geldstrafe von 750 Euro verurteilt worden. Der Tutzinger Bürgermeister hatte nämlich Strafanzeige gegen den 70-Jährigen gestellt, und zwar auch deshalb, weil der Frankfurter auf einen Holocaust-Leugner verwiesen habe. Das Urteil sei inzwischen rechtskräftig, erklären Wanners Rechtsanwälte. Allerdings sei der Beklagte "nach wie vor uneinsichtig" und habe sowohl die Zahlung eines Schmerzensgeldes als auch die Abgabe einer Unterlassungserklärung abgelehnt.

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SZ vom 22.09.2010/mob
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