Einzelhandel:Diese beiden Dießener wagen es, einen Buchladen zu eröffnen

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Ulrike Kreutzer und Anton Gruber erfüllen sich mit ihrem "CoLibri" einen Wunsch. Die Quereinsteiger wollen das Sortiment im Austausch mit den Kunden erweitern.

Von Armin Greune, Dießen

"Ganz schön mutig": Den Kommentar hat Ulrike Kreutzer in den vergangene Wochen oft gehört, während sich im Laden allmählich die Regale füllten. In der Branche wurde lange Weltuntergangsstimmung verbreitet, angesichts von Amazon und anderer Online-Händler schien der Beruf des Buchhändlers zum Aussterben verurteilt. Doch daran glaubt die 40-Jährige nicht. Sonst hätte sie sich als Quereinsteigerin nicht auf das Wagnis eingelassen, mit ihrem Lebenspartner Anton Gruber "CoLibri" zu gründen. An diesem Samstag wird das Geschäft gegenüber vom Dießener Bahnhof offiziell eingeweiht.

Zur "großen Eröffnungsfeierei" wird von 12 Uhr an die Wortspiel-Kapelle Café Unterzucker erwartet. Im "Institut für ungesüßte Kinderkultur und unversäuerten Erwachsenenschmarrn" um Richard Oehmann, Intendant von "Doctor Döblingers geschmackvollem Kasperltheater" und Nockherberg-Derblecker, gehört Gruber als "Chorleiter" zur Stammbesetzung.

Davon abgesehen ist die Combo für "humorbegabte Familien" auch aus anderen Gründen die Idealbesetzung, um zielgruppengenau Publikum ins CoLibri zu locken: Kreutzer und Gruber wollen sowohl Kinder und Jugendliche wie Erwachsene bedienen. Und beide sind bestens vernetzt in der Kulturszene am Ammersee: Gruber ist in Utting aufgewachsen und seit der Kindheit etwa mit den Unterzucker-Gründern Oehmann und Tobias Weber befreundet. Kreutzer wiederum führte mit Nina Munke in Dießen die OnOff-Kulturwerkstatt für Medienpädagogik, die für den Heimatverein das Kinder- und Jugendfilmfestival "Flimmerfisch" organisiert hat.

Mit dem "CoLibri" - Untertitel "Buch, Kultur und Co." - hat sich die studierte Kulturmanagerin und Filmproduzentin einen lang gehegten Wunsch erfüllt: "Ich wollte schon immer einen eigenen Kulturraum", sagt Kreutzer. Für die kommenden Tage steht das Programm schon: Am Dienstag, 22. Januar, lesen abends die Schauspielerinnen Victoria Mayer und Rosalie Thomass (Deutscher Schauspielpreis 2018) aus "Deine Briefe lege ich unter die Matratze", dem Briefwechsel von Astrid Lindgren und Sara Ljungcrantz. Am 28. Januar, kommen Katja Huber und ihr Vater Sebastian Goy in die Buchhandlung: Die Dießener Schriftsteller lesen aus eigenen Werken.

Ihren neuen Beruf verdankt Kreutzer einem "ziemlichen Schnellschuss und mehreren Initialzündungen". Die Liebe zu Geschichten und Erzählungen war schon immer da: Schon in der Studienzeit hatte sie in Buchhandlungen gejobbt. Die Mutter von zwei grundschulpflichtigen Kindern suchte nach einer Ergänzung für Ihre Jobs in der Filmbranche. Als dann der Laden an der Bahnhofstraße, der zuvor als Asylintegrationsberatungsbüro der AWO Dießen diente, Mitte Oktober frei wurde, griff sie mehr oder weniger spontan zu: "Jetzt war ich soweit".

Auch Gruber brauchte nicht viel Bedenkzeit und stieg mit ins Boot: "Ich bin erstaunt, wie schnell alles Realität geworden ist", sagt der 49-Jährige: "Es gab und gibt ja auch wahnsinnig viel zu planen". Vom Praktischen ganz zu schweigen: Die Innenausstattung ist hundertprozentig selbst gezimmert. Da kam Gruber zu Gute, dass er weiß, wie man Säge und Hammer anfasst: Sein verschlungener Berufsweg, der gerade mit Musik und Gastronomie noch zwei offene Enden hat, begann mit einer Steinmetzlehre und einer Ausbildung als Restaurator. Zusammen mit dem befreundeten Dießener Bildhauer Peter Bayer, "unserer Allzweckwaffe", verlegte er den Boden und konstruierte die Holzregale, die besser nicht an der Wand befestigt werden sollten - "sonst ist man gleich nebenan im Barfußschuhladen". Das Mobiliar haben die Inhaber ausschließlich aus eigenen Beständen zusammengestellt: Ein Kleiderschrank, der einst in Grubers Berliner Wohnung stand, gehört ebenso dazu wie der selbstgebaute Tresen und die dunklen Holzpaneele in den Fensterlaibungen, die aus der Gründerzeitvilla in der Dießener Buzallee stammen, wo Kreutzer mit ihrer Großmutter gelebt hat. Noch während der Bauarbeiten kam Mitte Dezember die Kasse als "Herzkammer" in den Laden. Freunde und Kunden trudelten ein, sodass die ersten Bestellungen noch vor Weihnachten ausgeliefert werden konnten. Gleichzeitig bereitete sich das Paar mit einem Eintagesseminar und zwei Tagespraktika in der Herrschinger "Bücherinsel" vor.

Im CoLibri ist inzwischen eine geradezu klischeehafte Wohnzimmeratmosphäre entstanden. "Uns war das Ambiente sehr wichtig: Wir wollen, dass die Leute gerne hier bleiben", sagt Kreutzer: "Man muss gar nicht immer etwas kaufen." Dabei sei man an kein Konzept gebunden; Mobiliar, Einrichtung und Sortiment bleiben offen für Kundenanregungen und Veränderungen, ergänzt Gruber: "Nach einer Woche sollen die Leute schon wieder etwas Neues sehen." Für Kinder und Jugendliche ist eine Ecke im Laden reserviert, wo sie "ohne pädagogischen Überbau" auf Entdeckungsreise durch die Welt der Bücher gehen können. Geplant ist, dass künftig samstags Kinder Lesungen für Kinder gestalten, junge Leser können Rezensionen ihrer Lieblingslektüre im Lokalblatt "Ammerseekurier" veröffentlichen.

Als kürzlich ihre beiden 12 und 14 Jahre alten Nichten aus dem Schwarzwald zu Besuch waren, haben sie mit ihren Freundinnen eine fünfseitige Bücherliste voller Leseempfehlungen mitgebracht, die sie nach Interviews mit Freunden und Mitschülern zusammengestellt hatten, erzählt Kreutzer. Die Schwarzwaldmädels gestalteten auch gleich ein Schaufenster, das mit einem Bild des Dießener Marienmünster glänzt. Im CoLibri sind aber auch arrivierte Dießener Maler vertreten: So stammt das Geschenkpapier von Annunciata Foresti, Oswald Müller und Martin Gensbaur steuern Kunstpostkarten bei.

Auch wenn die zwei Ladeninhaber die Leidenschaft für Literatur verbindet - ihr individueller Geschmack ist doch recht unterschiedlich: Gruber mag Krimis, historische und utopische Romane, in denen gleich ganze Zivilisationen dargestellt oder entworfen werden. Kreutzer wiederum ist eher an Einzelschicksalen, "Figuren und was sie bewegt" interessiert. Auf zwei aktuelle gemeinsame Empfehlungen können sich dennoch einigen: "Königskinder" von Alex Capus für erfahrene Leser und Marc Uwe Klings "Der Tag, an dem die Oma das Internet kaputt gemacht hat" für die ganze Familie. "Das ist saumäßig lustig", sagt Kreutzer. Genauso soll auch die Eröffnung mit Café Unterzucker werden.

© SZ vom 19.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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