Süddeutsche Zeitung

Bilanz der Suchtberatung:Griff zur Flasche

Die Corona-Krise hat die Alkoholprobleme einiger Betroffener laut dem Hilfsverein Condrobs verschärft. Im vergangenen Jahr wandten sich 704 Menschen an die Beratungsstelle in Starnberg.

Von David Costanzo

Alkohol bleibt für viele im Landkreis ein großes Problem. 704 Menschen haben sich im vergangenen Jahr an die Beratungsstelle des Vereins Condrobs in Starnberg gewandt. Die Pädagogen, Psychologen und Sozialarbeiter führten 5519 Gespräche. Die Zahlen bedeuten zwar einen leichten Rückgang im Vergleich zum Vorjahr. Doch der ist darauf zurückzuführen, dass weniger Anfragen von Angehörigen kamen und weniger Cannabis-Abhängige Rat suchten, wie aus der Bilanz hervorgeht. Beim Alkohol bleibt die Zahl der Hilfesuchenden konstant - manche Sucht hat sich laut Abteilungsleiter Stefan Wenger in der Corona-Krise sogar verschärft.

Manche Betroffenen hätten sich eine Zeit lang schlicht nicht vor die Tür getraut, sagt Wenger. Denn viele gehörten einer Risikogruppe an, sei es durch Erkrankungen, die mit der Sucht zu tun haben, sei es durch das Alter. Für die Beraterinnen und Berater galt es dann zunächst einmal, den Einkauf und die Ernährung zu organisieren. Der Rückzug in die eigenen vier Wände, keine Kontakte, nicht einmal ein anderes Gesicht beim Einkauf, habe manche Betroffene "destabilisiert", sagt Wenger. In solchen Notfällen hätten die Berater die Menschen auch während der Ausgangsbeschränkungen besucht und persönlich beraten, während andere Angebote hätten abgesagt werden müssen.

Nähe ist wichtig. Zwar habe Condrobs technisch aufgerüstet, Kamera und Headsets angeschafft, um auf Videoberatung umstellen zu können. "Es gibt aber die klare Rückmeldung, dass der persönliche Kontakt gefehlt hat", sagt Wenger von der Suchtberatungsstelle. "Die Menschen geben sehr tiefe Einblicke ins eigene Leben. Sie brauchen einen vertrauten Ort und die Sicherheit, dass alles in diesen vier Wänden bleibt." Auch die Begegnungsstätte in Gauting, die der Verein neben einer Nachsorge-WG in Stockdorf anbietet, sei "ins Mark getroffen" worden. Die Berater versuchten, Gespräche während Spaziergängen zu führen.

Von den 704 Hilfesuchenden im vergangenen Jahr wollten 79 anonym bleiben, was Condrobs akzeptiert. Die verbleibenden 625 teilen sich auf in 157 Angehörige und 468 Abhängige. Die mit großem Abstand meisten, nämlich 326 oder zwei Drittel, kommen wegen eines "schädlichen Alkoholkonsums" oder Abhängigkeit, so lauten die Diagnosen, Tendenz gleichbleibend. Etwa ein Viertel oder 139 gelten als süchtig nach Cannabis. Auch wenn 20 Menschen weniger Hilfe benötigten, stellen die Berater fest: "Cannabis erfreut sich im Landkreis vor allem bei jungen Menschen noch immer großer Beliebtheit." Die Zahl der Opiatabhängigen in der Beratung sank von 35 auf 29. Zwei Menschen kamen aber auch wegen exzessiven Medienkonsums, einer wegen Glücksspiels.

Sucht ist männlich. Zwei Drittel der Betroffenen sind Männer, ein Drittel Frauen. Und Ältere sind stärker betroffen als Jugendliche. Allein 25 Prozent aller Beratenen sind zwischen 45 und 54 Jahren alt, die größte Altersgruppe. Weitere 16 Prozent sind 55 bis 64 Jahre alt, und noch einmal fünf Prozent älter als 65.

Gleichwohl kümmern sich die Berater auch um junge "Komasäufer", auch wenn Wenger selbst diesen Begriff nicht verwendet. 2019 wurden 35 Jugendliche nach einer Alkoholvergiftung noch in der Klinik besucht und 52 Eltern beraten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4988229
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 04.08.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.