Bernried:Theater vor Berglandschaft

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Einer steht, einer liegt: Andreas Wolf (links) und Robert Lansing vom "Fastfood Theater" München bei ihrer Improvisation zu Ernst Ludwig Kirchners Ölgemälde "Berglandschaft" aus dem Jahr 1920. (Foto: Georgine Treybal)

Andreas Wolf, der Gründer des Fastfood-Ensembles, und sein Schauspielkollege Robert Lansing improvisieren im Buchheim Museum Geschichten zu Bildern von Kirchner, Heckel und Beckmann

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Bernried

Marcella wollte raus aus dem Dorf, wollte ein Star sein oder wenigstens Model werden. Eines Tages kam ein Mann vorbei und sagte: "Du riechst so gut." Es war der Barbesitzer aus dem Ort. Er nahm sie mit und verpflichtete sie als Tänzerin für sein Nachtlokal. Sie tanzte an der Stange und wurde quasi zum "Stangenstar". Dafür hat sie ihren Mann verlassen. Später ging Marcellas Traum in Erfüllung, als jemand vorbeikam, sie an der Stange sah und für einen Film castete. Jetzt ist Marcella ein erfolgreicher Filmstar. Ihr Mann aber ist daran zerbrochen und kann nicht mehr arbeiten. Tagein, tagaus sitzt er auf seinem Stuhl und hadert mit seinem Schicksal.

Den Stoff für diese Geschichte liefern die Bilder im Expressionisten-Saal im Buchheim Museum in Bernried. Dort gastierten der Leiter des "Fastfood Theaters", Andreas Wolf, und sein Schauspielkollege Robert Lansing. Musikalisch begleitet von dem Pianisten Michael Armann erfanden sie spontan eine Geschichte zu Ernst Ludwig Kirchners Werk "Artistin-Marcella" sowie "Der schlafende Pechstein" von Erich Heckel.

So wie dieses Sommerbild von dem schlafenden Expressionisten-Maler Max Pechstein lümmelt auch Robert Lansing in der Rolle des verlassenen Ehemanns auf einem Stuhl. Ebenso wie auf dem Bild hat er die Arme hinter seinem Kopf verschränkt. Nur schläft er nicht, sondern jammert, weil ihn seine Frau verlassen hat. Andreas Wolf steht unter dem Bild "Artistin Marcella", die lasziv auf einem Sessel lümmelt und träumerisch in die Ferne blickt. Nur kurz sieht sich Wolf das Bild an, nimmt diesen Rückzug Marcellas in ihre eigene Welt auf und entwickelt daraus eine Szene.

Vor mehr als 20 Jahren hat Wolf zusammen mit Karin Krug das "Fastfood Theater" gegründet, und erstmals spielt er eine Frauenrolle. Normalerweise werden Frauenrollen auch bei diesem Ensemble von den weiblichen Mitgliedern der Truppe besetzt. Im Buchheim Museum aber gibt es mit Robert Lansing nur einen Partner, der Wolf außerdem um Längen überragt. Doch der versierte Schauspieler meistert die Rolle mit Bravour, sie macht ihm sichtlich Spaß. Als sie die Geschichte weiterentwickeln und der Ehemann seine Marcella über die Schwelle seines Häuschens trägt, ernten die beiden Lacher und begeisterten Applaus.

Wenn die Spieler des Theaters an seinem Standort im Münchner Schlachthof auftreten, reagieren sie auf die Zurufe der Zuschauer und entwickeln dem Stegreif kurze Szene nach den Vorschlägen des Publikums. Und als der Leiter des Buchheim Museums, Daniel J. Schreiber, auf sie zukam und sie zu einem Auftritt in den Museumsräumen verpflichtete, nahmen sie die Herausforderung an. Sie haben sich zwar den Expressionisten-Saal angesehen, die Bilder jedoch nicht.

"Wir haben keine Ahnung, was wir jetzt gleich tun werden", sagt Wolf zu Beginn des Abends. Dann fordert er das Publikum auf, dazwischen zu reden und zu rufen, also alles zu tun, was normalerweise unhöflich im Theater ist. Das Publikum tut ihm den Gefallen nicht. Es bleibt ruhig in den voll besetzten Zuschauerreihen. Aber die spontanen Szenen, die zu den weltbekannten Werken wie Ernst Ludwig Kirchners "Große Berglandschaft" oder dem weiblichen Akt von Max Beckmann entwickelt werden, kommen beim Publikum an. Es sieht alles so leicht und locker aus. Doch das spontane Zusammenspiel, das vorher wirklich nicht einstudiert worden ist, erfordert höchste Professionalität sowie intensives Zuhören und ein bedingungsloses Aufeinandereingehen.

Damit Szenen aus dem Stegreif umgesetzt werden können, ist natürlich auch viel Phantasie gefragt. Und was gibt es Besseres, als im Museum der Phantasie fantastische Szenen zu spielen?

© SZ vom 31.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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