Man hätte sich nicht gewundert, wenn sie irgendwann tatsächlich aufgetaucht wäre an diesem Nachmittag im Grafikkabinett des Buchheim-Museums. Und wenn sie, ganz wie früher, die Besucher nach ihrer Meinung zur soeben eröffneten Ausstellung befragt hätte. Freundlich zwar, aber mit einem streng rollenden "r", bei dem man sofort an pommerschen Landadel denkt. "Vergessen Sie meinen Geburtstag!", hätte sie bestimmt gesagt, und dabei das "r" zweimal ganz besonders streng gerollt. Dieses und viele andere Zitate von Diethild Buchheim kann man jetzt ringsum an den Wänden der Ausstellung sehen, die das Museum in Bernried ihr zum 100. Geburtstag widmet.
Diethild Wickboldt wurde am 19. Juli 1922 als Tochter eines Molkereidirektors in Mecklenburg geboren. Sie absolvierte ab 1946 eine Buchhändlerlehre in Leipzig. 1950 lernte sie Lothar-Günther Buchheim kennen. Nach ihrer Übersiedelung in den Westen Deutschlands arbeitete sie zunächst in seiner Frankfurter Galerie. 1955 heirateten die beiden und bauten gemeinsam den Buchheim Verlag in Feldafing auf. Legendär ist "Dittis" schwarze Schreibmaschine, auf der sie die Manuskripte ihres Mannes ins Reine schrieb, unter vielem anderem auch seinen Roman "Das Boot", der nach seiner Verfilmung Weltruhm erlangte. Mit Buchheim teilte sie auch die Sammelleidenschaft. Sie pflegte von alten Zeiten zu schwärmen, in denen man eine "Beckmann-Radierung für dreißig Mark kaufen konnte". Neben expressionistischer Kunst erstreckte sich ihre Leidenschaft aber auch auf Nebenschauplätze wie Schildkrötenfiguren, Schnupftabakdosen und Kinderbücher aus aller Welt. Vor allem aber brachte "Ditti" Buchheim von Spaziergängen Gräser, Blüten und Blätter mit nach Hause, aus denen ihre berühmten Blätterbilder entstanden, die 2001 bei der Eröffnung des "Museums der Phantasie", begleitet von einem liebevollen Text von Lothar-Günther Buchheim, einen prominenten Platz bekamen.
Nicht nur die wundersamen geklebten Tierbilder und die von Ditti Buchheim angefertigten Assemblagen aus Naturfundstücken sind nun noch einmal versammelt, sondern auch dieser Begleittext: Die Blätterbilder "werden hier vorgeführt, damit andere sich ermutigt fühlen, auch Bilder zu machen, obwohl sie glauben, nicht malen oder zeichnen zu können", schrieb Lothar-Günther Buchheim einst und schilderte dann, wie seine Frau ihre Schätze auf dem Boden ausbreitete und sie zu einem "Springinsfeld", einer "groß gehörnten mondsüchtigen Luxuslanguste" oder einem "gespornten Stolziervogel aus Tamarinde" werden ließ . Zu sehen sind auch Fotos aus verschiedenen Lebensphasen von Diethild Buchheim, außerdem eine kleine Mappe mit Blätterbildern, die sie ihrem Mann zum Geburtstag schenkte, sowie einige Möbel und Sammelstücke aus dem mittlerweile abgerissenen Wohnhaus der Buchheims in Feldafing.
"Bevor ich abkratze, muss ich Ihnen das noch zeigen."
Vor allem aber schildert die kleine Ausstellung sehr lebendig jene sieben Jahre, die Diethild Buchheim ihren Mann überlebte: Von 2007 bis zu ihrem Tod im Jahr 2014 lenkte sie das Stiftungsimperium und stellte die Weichen für die Zukunft. "Bevor ich abkratze, muss ich Ihnen das noch zeigen", sagte sie zu Museumsdirektor Daniel J. Schreiber, wenn es um wichtige Dinge ging. Sie kommunizierte bevorzugt per Fax, auch mit den Mitarbeitern des Museums. Manchmal schrieb sie in freudigem Ton, dass es draußen kalt und deshalb "Museumswetter" sei, man könne also mit vielen Besuchern rechnen. Und manchmal teilte sie energisch mit: "Bitte immer mal Einladungslisten durchforsten, Tote raus!"
Zur Ausstellungseröffnung waren zahlreiche Weggefährten von Diethild Buchheim gekommen. Sie habe stets ihrem Mann das Feld bereitet, er habe darauf tiefe Furchen gezogen und sie habe dann alles wieder geglättet, berichtete der Museumsdirektor: "Ohne ihre Diplomatie und Tatkraft wäre vieles nicht gelungen." Bei seinem Amtsantritt habe sie ihm empfohlen, in seiner ersten Ausstellung Bilder von Chagall zu zeigen: "Und ich habe gut daran getan, ihrem Rat zu folgen", resümierte Schreiber. Natürlich gab es dann auch "Jubelbrause", wie Ditti Buchheim stets den obligatorischen Sekt nannte. Und am Ende war doch noch ihre unverkennbare tiefe Stimme mit dem rollenden "r" zu hören: "Herzlich willkommen im Zirkus Buchheim", sagte sie - wenn auch nur vom Band.
Die Ausstellung "Frischauf - Ditti Buchheim zum 100. Geburtstag" ist noch bis zum 3. Oktober 2022 zu sehen.