Alle warten auf Guy. Seit dem frühen Morgen ist er mit seinem klapprigen Geländewagen unterwegs und sucht Wildschweinspuren. Ohne ihn kann die Jagd in Trilla, einem Ort nahe der Pyrenäen, nicht beginnen. Langsam wird es hell über den Bergen. Acht Jäger und ich stehen vor einer Baracke am Rande des kleinen Dorfes. Ich darf sie heute begleiten, denn Wildschwein ist fester Teil der hiesigen Küche, die Jagd ist Tradition im Herbst. Keiner wundert sich, dass ich hier und heute dabei bin. Keiner fragt. Ich bin einfach da.
Endlich geht es los. Guy hat Spuren neben der Straße entdeckt. Die Jäger begeben sich an ihre Posten. Der Rabatteur, der Treiber, lässt die Hunde frei. Ich darf Guy begleiten, ein freundlicher älterer Herr, Mitte 70, der Rücken gebeugt von jahrzehntelanger Arbeit in den Weinbergen. Zur Welt kam er im Nachbardorf. Sein Leben hat er in Trilla verbracht.
Guy deutet auf aufgewühlte Erde neben der Straße. „Da waren sie in der Nacht“, sagt er. „Und jetzt?“, will ich wissen. „Keine Ahnung. Tagsüber legen die sich irgendwo zum Schlafen hin“, sagt Guy. Deshalb die Hunde. Die sollen sie aufscheuchen und im besten Fall zu den Jägern treiben.
Die Sonne geht über den Bergen auf, es ist windstill, kein Geräusch ist zu hören. Guy schiebt zwei Patronen in sein Gewehr und wir gehen ein paar Schritte, bis wir einen guten Blick über die Umgebung haben. In etwa 150 Metern Entfernung sehen wir den nächsten Jäger, wie alle in knallorangener Kleidung. Soll ihn ja keiner mit einem Wildschwein verwechseln.
Mit einem Mal bricht das Bellen der Hunde durch die Stille. „Jetzt geht’s los“, sagt Guy. Wir hören die Tiere mal hier, mal dort. Guy lauscht. „Sie jagen ein Reh“, sagt er. Plötzlich sehen wir die Hunde. Auf dem nächsten Hügel hetzen sie durch einen aufgegebenen Weinberg. Da kommt Spannung in den gebeugten Körper von Guy. Er nimmt das Gewehr in die Hand, lauscht. Und schüttelt den Kopf. Kein Wildschwein, weit und breit.
Nicht mehr viele Köche bereiten Wildschweine nach traditioneller Art zu
Die Stunden vergehen. Guy erzählt von seiner Kindheit, als hier niemand ein Auto besaß, nur manch einer ein Pferd. Dass sich jeder selbst versorgte, weil es keine Supermärkte gab. Um kurz vor zwölf ist Schluss. Dann gibt es zu Hause Mittagessen. „So ist das“, sagt Guy, als er die Patronen wieder aus seiner Waffe nimmt. „Das ist Natur, das sind Tiere.“
Auch in der Küche müssen wir die Wildschweine suchen. Denn nicht mehr viele Köche bereiten sie nach traditionellem Rezept zu. Unterhalb der Katharerburg Peyrepertuse werden wir fündig. In der Auberge du Moulin, einer alten Ölmühle im Dorf Duilhac. Koch und Patron Cyril schmort Keulen und Schulter stundenlang in Rotwein mit Unmengen Rosmarin, wie schon seine Großmutter. Dazu serviert er Saubohnen mit Speck. Beides braucht viel Zeit, die hat heute keiner mehr.
Außer Guy, der will das ganze Wochenende weiter jagen.
Kantinenessen, Hortpampe, Alltagsbrei – Familie Hemminger aus Bernried hat es satt und bricht auf. Das Ziel: Das beste Essen in Europa finden. Was sie dabei erlebt, erzählt die Familie an dieser Stelle in der wöchentlichen Kolumne „Ham Ham Hemminger“. Mehr Informationen gibt es im Blog www.travelandtaste.world und im Podcast „Bock auf Regional – Reise durch Europa“. Alle weiteren Folgen der Kolumne gibt es hier.