Süddeutsche Zeitung

Bernried:Griff in die Wunderkiste

Fünf Künstler stellen in der Bernrieder Galerie Marschall aus und zaubern in ihren Collagen aus Altem neue Werke

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Bernried

Die Künstlerin Marion Bembé hat eine Wunderkiste, in der sie Fetzen von zerstörten Bildern sammelt. Wenn sich die Gelegenheit bietet, arbeitet sie die Teile in ein neues Bild ein. Und ebenso wie ihre Künstlerkollegin Petra Winterkamp sammelt sie alte Briefe oder handgeschriebene Kochbücher. Beide Künstlerinnen können sich dem Reiz der schönen Sütterlinschrift, die mit Sepia-Tinte auf feinstes Papier gebracht wurde, nicht entziehen. Sie fertigen aus den Fragmenten der Aufzeichnungen oder aus Briefmarken wunderbar einfühlsame Kompositionen: "Das ganze Leben ist eine Collage", sagte die Bernrieder Galeristin Martina Marschall bei der Eröffnung der Ausstellung "Die Welt der Collage".

Künstler sammeln Dinge, widmen sie um und werten sie neu. Manche Dinge werden so in einen anderen Zusammenhang gebracht, sie werden laut Marschall "geadelt", in dem sie einen Platz in der Collage finden. "Etwas Kostbares, etwas Naturschönes oder Kunstschönes wird also vor dem Vergessen, vor dem Verfall gerettet." Alle fünf Künstler haben sich mit den Spuren der Vergangenheit auseinandergesetzt und alte Dinge in einen neuen Kontext gesetzt. Sie erzählen in ihren Werken Geschichten: manche sind unvergessen, manche Stellen verblassen in der Erinnerung und manche Stellen schmücke man sogar aus, weil man sie besonders kostbar finde, so Marschall. "All diese Maler hier sind Spurensucher und während sie ihre Collagen bauen, kleben und bemalen, hinterlassen sie selbst eine Spur. Doch so individuell, wie die einzelnen Erinnerungen sind, so unterschiedlich gehen die Künstler damit um.

Das Thema von Marion Bembé, der Schülerin von Fritz Winter, die am Ammersee lebt, ist die Natur. Oft verwendet sie daher warme Ocker-Farben und sanfte Pastelltöne. Petra Winterkamp hat die Dokumente und Briefe, die sie für ihre Collagen verwendet, bei Haushaltsauflösungen gesammelt. Sie bringt die alten Schriften zum Strahlen, indem sie sie mit Blattgold, handgefertigtem Büttenpapier oder einem sanften Rot kombiniert.

Der in Bonn geborene Künstler Manfred Gipper lebt seit 35 Jahren in Berlin. Er stellt zum ersten Mal in der Galerie Marschall aus. Er erhöht Fotos aus den 1950er und 1960er Jahren zu Kunst. Auch er hat in seinem Atelier einen riesigen Berg an Material: Insbesondere haben es ihm alte Maschinenkataloge vom Flohmarkt angetan. Das seien die Idole von Gestern, erklärt er. Und das interessiert ihn. Je nachdem, wie der Zufall die Teile beim Aufbewahren zusammenbringt, finden sie manchmal von selbst zueinander. "Die Teile erzählen mir ihre Geschichte. Ich kombiniere sie und erwecke sie zum Leben." Es sei eine neue Sehweise im neuen Kontext. Dabei ist ihm die Farbe sehr wichtig. Sie darf keinesfalls düster wirken, soll luftig und locker sein.

Jupp Linssen indes sucht Dinge, die buchstäblich auf der Straße liegen. "Ich kann mit Farbe nicht umgehen", sagt Linssen von sich. Daher werkelt er lieber mit Hammer und Nägeln. Den Teil einer Regenrinne walzt er beispielsweise aus, um ihn in seine Kunstwerke einzubauen. Für ihn entsteht dadurch eine ganz neue Materialästhetik. Ulrike Schulz aus München sucht die Spuren der Erinnerung in riesigen Fingerabdrücken oder alten Seekarten von Inseln, die sie auf Segeltörns bereist hat. Sie kombiniert sie mit Fingerabdrücken, die sie ganz profan im Foto-Shop vergrößern lässt. Im Kontext mit den Seekarten jedoch vermitteln sie dem Betrachter eine neue, fast poetische Sichtweise. Die Ausstellung "Die Welt der Collage" ist noch bis zum 13. September in der Galerie Marschall zu sehen.

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Quelle:
SZ vom 18.08.2015
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