Süddeutsche Zeitung

Wildtiere mitten im Ort:Wenn der Fuchs ins Wohnzimmer spaziert

In Bernried kommt eine Wildtierfamilie mit fünf Welpen den Menschen ungewöhnlich nahe. Der Bürgermeister warnt vor dem Fuchsbandwurm - und die Anwohner sind zerrissen zwischen Tierliebe und Sorge um ihre Kinder.

Von Sylvia Böhm-Haimerl

Im Frühjahr hat eine Füchsin unter einer Garage in Bernried fünf flauschige Welpen zur Welt gebracht. Dann zog die Tierfamilie um und fand eine neue Bleibe ein paar Häuser weiter unter der Terrasse eines Nachbarn. Seither halten die Jungfüchse und ihre Eltern die Anwohner im Bereich Kapellenwiese/Am Weidenbach in Atem. Bei einem Bernrieder sind sie durch die offene Terrassentüre ins Wohnzimmer marschiert, bei der Tierärztin Christine Michel haben sie durch die Küchentüre geschaut. Die einen finden Knochenreste im Garten, die anderen Fuchslosung. So groß die Tierliebe der Bernrieder auch ist - dem süßen Nachwuchs darf nichts passieren -, so unwohl ist ihnen auch mit dieser plötzlichen Nähe zu Wildtieren.

"Die haben jegliche Scheu verloren", sagt der Jagdvorsteher und frühere Bürgermeister Josef Steigenberger. Die kleinen Fuchsbabys seien zwar schön, doch auch gefährlich. Daher hat Steigenberger zusammen mit seinem Nachfolger, Bürgermeister Georg Malterer, ein Rundschreiben an alle Bernrieder verfasst. Unter dem Motto "Schau nicht um, der Fuchs geht rum" warnen sie vor den Gefahren durch den Fuchsbandwurm. Laut einer Studie des Bayerischen Jagdverbands sind 27 Prozent der Füchse in Oberbayern mit dem Wurmparasiten befallen. Das sei mehr als ein unangenehmes Gefühl, wenn man an die in den Gärten spielenden Kinder denke, heißt es in dem Schreiben.

"Bandwurmeier sind sehr resistent, das heißt, sie können unabhängig vom Wetter wochenlang im Gras oder an den Sträuchern überleben." Wie das Kinderlied "Fuchs, du hast die Gans gestohlen" zeige, sei der Fuchs schon immer auf Beutezug durch die Dörfer gezogen. Damals jedoch habe das Tier seinen Bau im Wald gehabt, schreiben die Verfasser. Durch Unachtsamkeit oder falsch verstandene Tierliebe folge der Fuchs inzwischen dem Menschen; denn nirgends sei der Tisch für das Tier reichhaltiger gedeckt, etwa durch Hunde- oder Katzenfutter auf der Terrasse.

Als Christine Michel an den Weihnachtsfeiertagen einen Fuchs beobachtete, wie er den Braten eines Nachbarn klaute, der im Garten zum Abkühlen stand, dachte sie sich noch nichts. Dann kamen einzelne Schuhe abhanden und tauchten bei Nachbarn wieder auf. Erst als die Fuchsfamilie ihren Bau so nahe bei den Menschen errichtete und auch tagsüber durch die Gärten streifte, zeigte sich Michel besorgt. Zwar wisse jeder, dass man Füchse im Wohngebiet nicht jagen dürfe, sagt die Mutter von drei Kindern zwischen einem und fünf Jahren. Aber so lange sie Fuchslosung finde, lasse sie ihre Kinder nicht mehr im Garten spielen. "Es ist zu gefährlich. Die Nachbarn mit kleinen Kindern sind in Aufruhr", sagt sie. Erst im vergangenen August hat ein Fuchs in Frieding zwei Kinder angegriffen, die im Garten in einem Zelt übernachten.

Michel hat sich informiert und weiß, dass man Füchse durchaus vergrämen kann, beispielsweise durch Hundegebell. Auch in der jüngsten Sitzung des Gemeinderats warnte Bürgermeister Malterer vor der Gefahr, die vom Fuchsbandwurm ausgeht. Wie er berichtete, haben die Füchse den Bau unter der Terrasse zwar wieder verlassen, werden aber noch immer regelmäßig im Ort gesehen. Wie bereits im Rundschreiben rief Malterer die Anwohner erneut dazu auf, sich umgehend im Rathaus zu melden, sobald sich Füchse im Garten niederlassen. Mit dem Füttern von Wildtieren erweise man der Natur und ganz besonders den Kindern einen Bärendienst, warnte er. Keinesfalls sollten Tierfutter- oder Fleischreste im Garten liegen gelassen werden. Zudem sollten die Bernrieder alles vermeiden, was Mäuse und Ratten anlocke. Laut Malterer hat ein Jäger aus Bernried angeboten, regelmäßig mit seinem Dackel durch das Wohngebiet zu gehen, um die Füchse zu vertreiben.

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SZ vom 13.07.2020
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