Süddeutsche Zeitung

Bernried:Demo gegen Abschiebung

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Im Klostergarten protestieren rund 70 Menschen gegen die Abschiebung nigerianischer Familien und kritisieren den ihrer Ansicht nach harten Kurs des zuständigen Landratsamts Weilheim-Schongau.

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Bernried

Esosa Osabuohien erhofft sich in Deutschland ein besseres Leben als in ihrem Heimatland Nigeria, nicht nur für sich, vor allem für ihre Kinder. "Ich will auf jeden Fall in Bernried bleiben", sagt sie mit Blick auf die drohende Abschiebung. Esosa ist nur geduldet in Deutschland. Da Nigeria als sicheres Herkunftsland gilt, hat sie keine Chance auf Asyl. Nach Nigeria will sie aber keinesfalls zurück. Ihre größte Angst ist, dass ihre Tochter beschnitten werden könnte. Sie könne sich nicht sicher fühlen. In Nigeria bestimme die Familie, sie selbst habe keine Rechte. Die junge Frau erzählt stockend ihre Geschichte von ihrer Flucht, nur in Teilen. Die negativen Erlebnisse verschweigt sie. Esosa kam als Kind nach Italien. Dort lebte sie 14 Jahre lang zusammen mit ihrer Mutter und bettelte, um überleben zu können. Dann habe ihr ein Mann 50 Euro in die Hand gedrückt und ihr geraten nach Deutschland zu gehen. Dort sei alles besser, habe er gesagt. Esosa vertraute darauf und machte sich auf den Weg. Bernried war die letzte Station ihrer langen und gefährlichen Flucht. Ihr Ehemann kam ebenfalls mit einem Schlepper-Boot übers Mittelmeer nach Italien und landete später "irgendwo in Deutschland".

Es habe viel Zeit und Mühe gekostet, die Familie wieder zusammen zu bringen, erklärt Elisabeth Rind-Schmid vom Bernrieder Unterstützerkreis. Die Initiative hat am Mittwochabend eine Mahnwache gegen Abschiebung im Klosterhof organisiert. Es werden Schilder hochgehalten mit Appellen wie "nach sechs Jahren ist es höchste Zeit für ein Bleiberecht", "Arbeitsverbote abschaffen" oder "Hilfe zu freiwilliger Rückkehr ist ein Angebot das Recht auf Schutz zu verkaufen". Ein Bub im Kinderwagen hat herzförmiges Schild umgehängt, auf dem steht: "Es sind meine Freunde". Den Kindern in Schule und Kindergarten ist die Hautfarbe egal. Die Bernrieder halten zusammen. Rund 70 Teilnehmer sind gekommen, um ihre Solidarität mit den Familien aus Nigeria zu demonstrieren. Roger Wasilewski, Trainer beim SV Bernried, hat die G-Jugend der Fußballabteilung mitgebracht. Dort spielen zwei Flüchtlingskinder mit und daher "wollen wir als Mannschaft ein Zeichen setzen", sagt er.

Efosa Emovon lebt mit seiner Frau Susan Job und seinen drei Kindern seit nunmehr sechs Jahren in Bernried. Sein ältester Sohn hat hier eine Nierentransplantation bekommen; er selbst hat die Niere gespendet. Im Kloster hat er eine Anstellung als Küchenhilfe gefunden, aber im Herbst wurde ihm die Arbeitserlaubnis wieder entzogen. Das versteht er nicht. "Ich habe gearbeitet und meine Familie ernährt." Er habe sich immer bemüht und alles getan, um hier bleiben zu können. "Er hat seine Arbeit gut gemacht", betont Schwester Beate Grupp von den Bernrieder Missionsbenediktinerinnen. Auch sie kann nicht nachvollziehen, warum Emovon die Arbeitserlaubnis entzogen wurde, weil die Familie das Land bis spätestens Ende Januar verlassen soll. "Das setzt sie sehr unter Druck, sie können nicht mehr schlafen. Sie haben Angst, dass sie abgeholt werden", sagt Schwester Beate. In Nigeria wüssten sie doch gar nicht wohin mit ihren Kindern. Rind-Schmidt vom Unterstützerkreis berichtet von den Anstrengungen, die die Betroffenen auf sich genommen hätten, um ihren Familien eine Zukunft zu geben und welche Angst sie jetzt hätten. Frauen hätten berichtet, wie sie zwangsprostituiert wurden, um das Geld für die Schlepper bezahlen zu können. In ihrer Heimat würden sie zur Beschneidung gezwungen, obwohl sie in Nigeria offiziell verboten ist. Laut Gaby Dorsch vom Unterstützerkreis haben 80 Prozent der nigerianischen Bevölkerung keine Chance auf Schule und Bildung. Auch eine ärztliche Versorgung gebe es nicht. "Es ist kein Platz, wo man ansatzweise eine Chance hat", ist sie überzeugt.

"Für die Kinder, in Deutschland geboren, ist Deutschland ihre Heimat. Sie kennen kein anderes Land", erklärt Rind-Schmid unter dem Beifall der Teilnehmer. Sie hofft, dass die neue Regierung in Berlin bessere Chancen für geduldete Menschen schafft, beispielsweise ein Aufenthaltsrecht auf Probe für Menschen, die schon fünf Jahre hier sind und sich integriert haben. Dann fordert sie das Landratsamt Weilheim-Schongau auf, alle Ermessensspielräume zu nutzen, damit die nigerianischen Geflüchteten in Bernried bleiben können. Rind-Schmid ist überzeugt, dass das Landratsamt Starnberg "einen menschlicheren Weg" im Umgang mit Geflüchteten gefunden hat und appelliert an Landrätin Andrea Jochner-Weiß: "Vielleicht tauschen Sie sich mit Landrat Frey aus."

Im Landratsamt Weilheim-Schongau will man aktuell nichts von Maßnahmen, wie etwa einer Abschiebung, gegen nigerianische Familien aus Bernried wissen. Die Behörde versprach aber, dem Ganzen nachzugehen.

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SZ vom 21.01.2022
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