„Schubladenwerke“ in Bernried:Luftschlösser und Fuchszähne

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Die 14 "Schubladenwerke" bringen so manches Licht ins Dunkel. (Foto: Nila Thiel)

Was Künstler und Kreative in ihren Kabinetten lange verborgen hielten, kommt nun im Buchheim-Museum ans Licht. Darunter findet sich auch ein gescheitertes Museumsprojekt von Reinhold Messner – und ein Aquarell des Hausherrn.

Von Armin Greune, Bernried

Nie realisierte Projekte vom Museum bis zum Einkaufszentrum, künstlerische Fingerübungen vom Skizzenbuch bis zum Tanz: Hinter dem Titel „Schubladenwerke“ der kommenden Ausstellung im Buchheim-Museum verbirgt sich Amüsantes, Erstaunliches – und eine kleine Sensation.

14 Kreativschaffende haben ihre Depots gesichtet, um den Initiatoren und Kuratoren dieser Multimediashow bislang Verborgenes zu überlassen oder neue Werke zum Thema beizusteuern. Erstmals werden im Bernrieder Museum der Phantasie zu den Exponaten großformatige Video-Interviews und 3D-Projektionen präsentiert.

Unter den Protagonisten finden sich mehr oder weniger bekannte Menschen wie der Songwriter Christian Altwickler, der Hairstylist Ali Kaya oder der Künstler Nik Naidenow. Am berühmtesten dürfte wohl der Extrembergsteiger, Autor und Museumsgründer Reinhold Messner sein – oder der Hausherr des Buchheim-Museums selbst.

Die Schubladenwerke blühen ein wenig im Schatten der großen Säle: Sie sind im Grafikkabinett des Untergeschosses unweit vom Labor der Fantasie untergebracht. Der 100 Quadratmeter große, fensterlose Raum im Souterrain passt freilich perfekt zu den drei Fragen, die der Schau vorangestellt werden: „Versteckt, verborgen, vergessen?“

Drei Jahre intensive Arbeit stecken hinter dem Projekt, das ein sechsköpfiges, generationenübergreifendes Team namens „Kulturdokumentation“ ersonnen, konzipiert und umgesetzt hat. Die Starnberger Künstlerin Katharina Kreye, 58, ist auch als Kuratorin („Nah – fern“) und Verlegerin bekannt, vor allem aber als Fotografin. Ihr Sohn, der Kommunikationsdesigner Johannes Kreye, 30, interessiert sich vor allem für Orte und ihre Geschichte(n).

Johannes Kreye, Simon Jokel und Katharina Kreye (von links) zählen zu den Organisatoren des Projekts. (Foto: Nila Thiel)

Dessen ehemaliger Lehrer Christian Helfricht, 53, unterrichtet in Kempfenhausen Deutsch, arbeitet aber auch als Medienpädagoge und Filmlehrer. Simon Jokel, 22, studiert Geschichte und Informatik, er befasst sich intensiv mit Kunst im digitalen Raum. Mitgewirkt haben zudem der Bühnentechniker und Industriedesign-Student Nicolas Prinz und die Rundfunkjournalistin Daniela Arnu.

Zu jedem der 14 Fundstücke gehören Kamerainterviews mit den Eigentümern oder Schöpfern, die Dokumentarfilmer reisten unter anderem nach Berlin, Wien und Südtirol. Spätestens mit der Eröffnung der Ausstellung am kommenden Samstag sind alle Gespräche in viertel- bis halbstündiger Länge auf der Homepage www.schubladenwerke.de abzurufen.

Im Grafikkabinett werden jeweils zwei Minuten lange Ausschnitte mit angemessenen Pausen aneinandergereiht. Das insgesamt 40 Minuten lange Video erscheint an der Längsseite des Raums. Daneben sind dreidimensionale Projektionen oder hologramähnliche Punktwolken mit Bezug auf Person oder Werk zu sehen – auch aus Perspektiven, die dem menschlichen Blick entzogen sind.

„So hat man das auch nicht oft gesehen“, sagt Simon Jokel. „Wir wollen mit einem immersiven Erlebnis die Besucher fesseln.“ So erscheinen an einer frei aufgehängten Gaze plastisch die verfremdeten Bewegungen der Tänzerin Bianca Bauer, die ihre ganz private, nie öffentlich gezeigte Übungschoreografie als Schubladenwerk beisteuert.

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Bevor er sich anderen Projekten widmete, plante Reinhold Messner die Sanierung einer Burgruine im Vinschgau – und scheiterte an der Finanzierung.

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Das – auch in Hinsicht auf das Publikumsinteresse – monumentalste Opus hat Reinhold Messner zur Verfügung gestellt. Es handelt sich um ein handgeschriebenes und -gezeichnetes Skizzenalbum zu einem nie realisierten und gänzlich vergessenen Museumsprojekt (siehe Kasten).

Wie dieses Luftschloss scheiterte auch Hannes Ringlstetters Spielfilmprojekt letztlich an fehlenden Finanzen. Zwei Jahre Vorbereitung steckte der Autor, Komiker, Musiker und TV-Moderator in „Birnbaum so blau“; Besetzung, Drehorte und Regisseur Harald Sicheritz („Tatort“, „Vorstadtweiber“) standen schon fest, das Drehbuch war fertig. Aber der Film war 2003 wohl seiner Zeit voraus: Erst nach Marcus Rosenmüllers „Wer früher stirbt ist länger tot“ lagen bayerische Komödien 2006 plötzlich im Trend. Als Schubladenwerk steuert Ringlstetter eins der drei Original-Drehbücher bei. Heute wertet er das Projekt als seine „größte Niederlage als kreativer Mensch“ – aber auch als „Lehrstück“, das ihn erwachsen und freier werden ließ.

Besonders anrührende und poetische Exponate liefert die Schatulle der Künstlerin Katrin Bittl. Dort bewahrt sie Kindheitserinnerungen auf: gefundene Schätze wie Fuchszähne oder die Puppe einer Bienenkönigin. Eine vom Vater geschnitzte Holzscheibe mit Mond und Stern sollte ihr helfen, eine Hexe zu werden. Neben den eigenen Milchzähnen liegt ein gutes Dutzend Metallklammern. Damit war einst ihr Rücken fixiert, die 30-Jährige leidet an Muskelschwund. Ihr filigran gestaltetes, eng beschriebenes Tage- und Skizzenbuch steckt voller Wunder: Bauer mag im Rollstuhl sitzen – aber ihre Fantasie und Kreativität lässt sich nicht einengen.

So verschieden die Schubladenwerke sind, lassen sich darin doch gemeinsame Botschaften erkennen

Man muss an sich halten, um nicht zu viele der Entdeckungen zu verraten, die auf die Besucher dieser extrem facettenreichen Schau warten. Unter den witzigen Überraschungen findet sich ein ebenso geo- wie fotografisches Projekt der Starnberger Künstlerin Elena Carr aus Studienzeiten. Der berühmte Bildhauer Erwin Wurm hat eine recht plastische Meinungsäußerung aus seinem niederösterreichischen Schloss entsandt. Und der Karikaturist Rudi Hurzlmeier dürfte unter allen Teilnehmenden über den größten Vorrat an humoristisch-toxischen Werken verfügen, die besser nicht aus der Lade ans Licht der Öffentlichkeit geraten sollten.

„Für mich ist es große Bereicherung gewesen, die mir viel Spaß gebracht hat“, sagt Katharina Kreye. Es ist erklärter Wille des Teams, mit der Auswahl der Aussteller nicht bloß an Promi-Geheimnisse zu gelangen, sondern auch ein Gesellschaftsbild wiederzugeben. So verschieden die Schubladenwerke sind, lassen sich darin doch gemeinsame Botschaften erkennen: Sie verweisen oft auf Unsicherheiten; offenbaren die Zweifel, wann ein Werk fertig ist oder ob es die eigenen Ansprüche erfüllt. Welche Fehler sind tolerierbar, welche gar essenziell wichtig für ein Werkstück? Und was haben Fehler zur veränderten Selbstwahrnehmung, zur persönlichen Entwicklung beigetragen?

Der Schriftsteller Tilman Spengler wollte sich lieber nicht in die Karten schauen lassen. Damit seine Lade „ihr Geheimnis bewahren“ konnte, hat er eigens einen Text zum Thema geschaffen. Lothar-Günther Buchheim war das nicht mehr möglich. Und so hängt ohne sein Einverständnis ein bislang nie gezeigtes Aquarell aus seiner Hand in seinem Museum.

Obwohl der Autor, Sammler und Maler 2007 gestorben ist, musste das Team Kulturdokumentation auf das Video zum Schubladenwerk nicht verzichten: Zum Gespräch vor der Kamera fand sich Waldemar Rejmer ein, der im Laufe von 19 Jahren vom Hausmeister und Chauffeur bis zum beratenden Assistenten avancierte, den das Paar Ditti und Lothar-Günther als Familienmitglied betrachtete. Was Rejmer da von den Buchheims zu erzählen weiß, kann hier zum Glück gar nicht erst gespoilert werden: Das Interview ist noch nicht online.

Die Ausstellung ist vom 6. Juli bis 3. Oktober täglich außer montags geöffnet. Vernissage ist am Freitag, 5. Juli, um 18 Uhr.

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