Süddeutsche Zeitung

Bernried am Starnberger See:Vom "schändlichen Leben" zum Bilderbuchdorf

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Die nachgeholte Feier zum 900-jährigen Bestehen Bernrieds beginnt mit einer Ausstellung, die auf einem Zeitstrahl die wichtigsten Wegmarken der Seegemeinde zeigen. Sie klärt auch darüber auf, warum am Torbogen vor dem Kloster das Jahr der Französischen Revolution 1789 steht

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Bernried

Im Jahr 1120 wird das Dorf Berenriet oder Perenriet erstmals erwähnt. Der Name bedeutet Rodung eines Bero oder Pero. Dass es damals keine eindeutigen Schreibweisen gab, liegt daran, dass die meisten Menschen nicht lesen oder schreiben konnten und daher Namen nach Gehör weitergaben. Im Übrigen hätten sich die Bernrieder den Dorfnamen nicht selbst gegeben, weiß die Historikerin und Gemeindearchivarin Walburga Scherbaum. Es seien die Menschen gewesen, die von außerhalb in das Klosterdorf kamen.

Scherbaum hat zusammen mit dem Historiker Klaus Steffens, der Gemeinderätin und Verlegerin Christine Philipp sowie dem Unterwasserarchäologen Martinus Fesq-Martin die "Zeitstrahlausstellung" erarbeitet. Eineinhalb Jahre haben sie Daten, Fotos und Grafiken in ehrenamtlicher Arbeit zusammengestellt, die Julia Compagnon grafisch komponiert hat. Die Ausstellung musste laut Scherbaum selbsterklärend sein mit kurzen Texten, da sie aus Erfahrung weiß, dass lange Texte von den meisten Besuchern nicht gelesen werden. Die Ausstellung sollte bereits im vergangenen Jahr zum 900-jährigen Bestehen des Klosterdorfes gezeigt werden, war jedoch pandemiebedingt ausgefallen. Nun wird das Jubiläum nachgeholt und beginnt mit der Ausstellungseröffnung am Donnerstag, 15. Juli, um 18 Uhr, im neuen Gemeindezentrum am Rathausvorplatz in Bernried. Durch den Glaskubus ist die Schau auch von außen zu sehen.

Das Neue an der sehenswerten und interessanten Ausstellung ist, dass parallel zum Bernrieder Dorfgeschehen auf die jeweiligen Ereignisse der Weltgeschichte hingewiesen wird - etwa auf den Sturm auf die Bastille im Jahr 1789. Darüber ist ein Foto des Torbogens vor dem Kloster zu sehen, auf dem die gleiche Jahreszahl steht. Scherbaum wird regelmäßig von Touristen gefragt, was der Beginn der Französischen Revolution mit Bernried zu tun habe. Natürlich nichts, antwortet sie dann. Die beiden Jahreszahlen stimmen nur zufällig überein. Der Torbogen sei seinerzeit renoviert worden und man habe das Jahr der Fertigstellung eingraviert.

Fast 700 Jahre lang wird die Geschichte Bernrieds von den Augustinerchorherren bestimmt. Es gab ein gutes Einvernehmen, da das Kloster eine Bildungsstätte von Rang weit über das Dorf hinaus war. Schon im Jahr 1611 gab es ein Gymnasium. Doch es gab auch schlechte Zeiten. In den Jahren 1560 und 1579 berichten die Mönche von einem "schändlichen Leben" mit Schlägereien und Zechgelagen mit Frauen.

Auch unter dem Dreißigjährigen Krieg hatten die Bernrieder zu leiden. Zunächst fielen spanische Soldaten in Bernried ein, raubten, plünderten und mordeten. Dann gab es schwere Unwetter, Missernten und sogar eine Wolfsplage. "Es waren schreckliche Zeiten", urteilt Scherbaum. 1685 brannte das Dorf ab, 1720 das Kloster und 1784 wurde der Kirchturm von Sankt Martin vom Blitz zerstört. Der Turm wurde als Holzkonstruktion wieder aufgebaut - als Notlösung, die immerhin 140 Jahre hielt.

Mit der Säkularisation 1802 endete die Zeit der Chorherren und "Bernried ist in ein tiefes Loch gefallen", erklärt die Historikerin, die ihre Doktorarbeit über die Entwicklung des Stifts geschrieben hat. Die Einheimischen hätten mit den Chorherren einen wichtigen Arbeitgeber und die gesundheitliche Versorgung verloren. Die Ausstellung gibt auch Informationen über Persönlichkeiten, die Bernried geprägt haben oder mondänes Leben ins Dorf brachten, wie August Freiherr von Wendland, die Maler der Künstlerkolonie oder Wilhelmina Busch-Woods. 1924 wird Bernried das beliebteste Ausflugsziel der Münchener mit Festen und Badevergnügen. Weltoffenheit bewiesen die Bernrieder auch nach dem Zweiten Weltkrieg. Zwischen 1946 und 48 nahmen die damals 514 Einwohner immerhin 300 Flüchtlinge auf.

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SZ vom 15.07.2021
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