Kaum ist das Porträtfoto geschossen, will Berndt Welz wissen, mit welcher Brennweite er abgelichtet wurde. Die Frage ist nachvollziehbar: Der 59-Jährige ist Dokumentarfilmer. Der mehrfach ausgezeichnete Regisseur ist für seine Arbeit um den Globus gereist, zuletzt hat er für 3sat über die Kautschuk-Produktion in Asien recherchiert. Zu Hause ist er in Eching am Ammersee. Auch hier, vor der eigenen Haustür im bayerischen Alpenvorland, findet Welz Menschen und Tiere, auf die er seine Kamera richten möchte: Im Herbst stehen die Dreharbeiten zum Kinoprojekt „The Power of Horses“ über die Mensch-Pferd-Beziehung an. Als Protagonistin hat Welz Martina Doll ausgesucht, mit der er befreundet ist und die Pferdecoaching anbietet. Sie wird auch Co-Regie führen.
SZ: Herr Welz, warum sind Pferde so gute Lehrmeister für uns Menschen?
Berndt Welz: Das Pferd kann dabei helfen, eine Transformation zu initiieren und durch sie durchzugehen, herunterzufahren oder dem Menschen Gelassenheit beizubringen. Andere würden meditieren, in die Kirche oder zum Yoga gehen. (lacht) Aber jetzt zur Erklärung: Studien belegen, dass unsere menschliche Kommunikation zu 90 Prozent nonverbal stattfindet und nur zu zehn Prozent verbal. Viele unserer Gedanken strahlen wir nonverbal aus. Darüber sind wir uns oft nicht bewusst und fokussieren uns nur auf unsere Sprache. Es lohnt, sich mit den 90 Prozent Nonverbalem zu beschäftigen und das als Schlüssel zum Selbstbewusstsein und authentischen Auftreten zu nutzen. Pferde sind hierin Meister.
Inwiefern?
Sie können mit ihren Sinnen die kleinsten Veränderungen auf der körperlichen und emotionalen Ebene bei ihrem Gegenüber wahrnehmen, weil sie als Fluchttiere nur überleben können, wenn sie ihre Umwelt lesen und schnell darauf reagieren können. Pferde sind für uns wie Spiegel oder, anders ausgedrückt, Bio-Feedback-Geber, die uns helfen, über das, was wir mit unserem Körper unbewusst ausdrücken, Aufschluss zu bekommen.
Welche Menschen kommen zu Martina Doll und ihren Pferden? Gestresste Manager und Unternehmer?
Grundsätzlich sind alle Menschen betroffen, die auf der Suche nach Sinn sind, die vor einem Wendepunkt in ihrem Leben stehen. Martina arbeitet viel mit Menschen, die anspruchsvolle Jobs in Unternehmen haben. Sie sind ihr Leben lang proaktiv, oft rennen sie wie in einem Hamsterrad und sind nicht gewohnt, mal innezuhalten. Mit den Pferden wird das möglich.
Wie wurden Sie auf diese Arbeit, die Frau Doll am Chiemsee leistet, aufmerksam?
Das Ganze hat einen persönlichen Grund: Ich selbst hatte im Jahr 2011 ein Burn-out. Zu der Zeit arbeiteten Martina und ich für einen anderen Film zusammen. Ich hatte viele Zweifel. Martina hatte das mitbekommen und mir das Coaching angeboten.
Wie genau spielten sich Ihre Coaching-Stunden ab? Was hat das Pferd Ihnen persönlich „beigebracht“?
Ich hatte plötzlich das Gefühl, mein Leben zu ändern, privat und beruflich. Man lernt auch, demütig zu sein. Wenn du bereit bist, dich darauf einzulassen, dann passiert etwas, was magisch sein kann. Ich träume seitdem sogar von den Begegnungen.
Hat man vor diesem großen Tier, dem Pferd, keine Angst? Sie haben die Menschen, die das Coaching annehmen, nicht wie solche beschrieben, die schon viel Kontakt zur Natur und Pferden gehabt hätten.
Zu Martina kommen vor allem Menschen, die bislang kaum oder gar keinen Kontakt zu Pferden hatten. Darum geht es auch nicht. Sie müssen offen sein für eine neue, ganz besondere Erfahrung. Vielen fällt das zunächst schwer, klar ist das Gefühl des Respekts am Anfang groß. Martina führt die Menschen aber behutsam an die Pferde heran, sodass eine gute Verbindung und Vertrauen entstehen. Bei den meisten Menschen passiert in dieser Begegnung etwas, das ich als „ausbrechen“ beschreibe: Sie weinen, sind gerührt oder haben im Stillen eine Erkenntnis. Selbst hartgesottene Manager werden weich.
Hat diese Art des Coachings auch etwas Spirituelles oder Religiöses?
Diese Frage habe ich befürchtet. (lacht) Nennen Sie es, wie Sie wollen.Martina hilft mit ihren Pferden Menschen, achtsamer zu werden. Man kann nur in Verbindung mit dem Pferd gehen, wenn man in Verbindung mit sich selbst ist. Martina beschreibt das als „in Resonanz gehen“ – mit sich selbst, mit dem Pferd, letztlich mit der Natur.
Und darauf möchten Sie nun die Kamera richten.
Ich möchte mit dem Film einen Impuls setzen, zu einer Begegnung auf Augenhöhe mit dem Pferd anregen. Wir haben nicht vor, eine wissenschaftlich fundierte Tierdoku zu drehen. Ich bin kein Biologe. Wäre ich übrigens gern geworden, aber meine Abiturnote hat für das Bio-Studium nicht gereicht. Ich kenne mich also schon aus mit den Pferden, bin aber kein Experte und möchte auch nicht, dass der Film so wirkt.
Sie sprechen ausführlich über die berührende und persönliche Verbindung, die zwischen Mensch und Pferd entstehen kann. Stört die Kamera dabei, wenn ein solch privater Moment entsteht?
Noch haben die Dreharbeiten nicht begonnen. Doch es gibt einen ersten Trailer, eine Webseite und auch auf Instagram sind wir schon aktiv. Ob unser Plan aufgeht, kommt unter anderem auf den richtigen Kameramann oder die -frau an. Unser Team besteht aus drei Kameraleuten, alle preisgekrönt. Wir wollen uns mit der Kamera zurückhalten, das Pferd wird diese gar nicht zur Kenntnis nehmen. Martina als Co-Regisseurin ist eine große Unterstützung. Es gibt keinen Zeitdruck, weil die Kamera einfach das einfangen möchte, was passiert, und zwar in durchaus poetischer Weise. Letztendlich ist der Film auch eine Hommage an die Pferde und ihre Schönheit.
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Und wenn länger nichts passiert? Sie haben schließlich nur eine begrenzte Anzahl an Drehtagen und ein gewisses Budget...
...das in diesem Fall aber völlig unabhängig von TV-Sendern oder externen Produzenten ist. Wir finanzieren uns komplett aus eigener Tasche, mit privaten Spendern und auch Venture-Capital. Ich weiß aus meiner Erfahrung in diesem Business, dass viele Sender bestimmt skeptisch einem solchen Projekt gegenüber sind. (lacht) Aber natürlich stimmt es, dass die Kamera nicht tagelang laufen kann, ohne dass es im Skript vorangeht.
Es gibt ein Drehbuch?
Keines, das Wort für Wort vorgibt, was sich abspielt, es ist ja kein Spielfilm. Aber natürlich wollen wir dem Film eine grobe Richtung, einen Rahmen geben: Einfühlsame, spannende Geschichten von Menschen, die Höhen und Tiefen erleben. Wir drehen in traumhaften Gegenden: Nicht nur am Chiemsee, wir begleiten außerdem Menschen in Arizona, in Portugal, Südspanien, Rom.
Wenn Sie schon die „grobe Richtung“ ansprechen: Soll der Film eine Botschaft transportieren?
Er soll auf keinen Fall belehren! Wir haben keine Erzählerstimme geplant, die den Zuschauern beibringt, was sie nun empfinden und verstehen sollen. Dass Pferde wunderbare Wesen sind, dass sie, genau wie wir, Teil der Natur sind und diese schützenswert ist - das wird der Zuschauer verstehen, ohne dass wir es ihm ausbuchstabieren. Und vor allem, dass Pferde uns helfen können, uns auf uns selbst zurückbringen, zu uns zu kommen.
Was erhoffen Sie sich längerfristig für „The Power of Horses“?
Der Film soll in die Kinos kommen. Wir haben jetzt schon ein wunderbares Team, die alle zunächst ohne Bezahlung arbeiten, weil sie von dem Film überzeugt sind. Jetzt wird erstmal gedreht. Ich freue mich sehr, es ist ein großes Herzensprojekt.