Süddeutsche Zeitung

Berg:Die Nonnen verlassen ausnahmsweise die Klostermauern

Normalerweise schotten sich die Aufkirchener Karmelitinnen streng von der Außenwelt ab, doch zur Feier des 125-jährigen Bestehens machen sie eine Ausnahme. Über ein Leben in kargen Verhältnissen und stiller Frömmigkeit.

Von Sabine Bader

Wenn Englein feiern, lacht die Sonne: Bei strahlendem Frühherbstwetter haben am Samstag die Karmelitinnen von Sankt Josef das 125-jährige Bestehen ihres Klosters in Aufkirchen mit einem feierlichen Gottesdienst unter freiem Himmel begangen. Im festlich arrangierten Vorgarten des Klosters fanden sich etwa 130 Gäste und Honoratioren ein, um mit ihnen zu feiern und mehr über die Gründung des Karmels zu erfahren.

Ja, so eine Klostergründung ist kein Pappenstiel. Im Gegenteil: Wer eines plant, der braucht einen langen Atem, muss bürokratische Hindernisse überwinden und wie im Fall von Aufkirchen auch noch vielerlei Entbehrungen verkraften. Warum, das verraten drei Schwestern, die in der Chronik des Hauses geforscht haben, den geladenen Gästen und drehen die Zeit bis zum Jahre 1860 zurück, als eine Schwester namens Maria Euphrasia im Alter von 22 Jahren in ein Grazer Karmelitinnen-Kloster eintrat.

Sie muss eine tatkräftige Frau gewesen sein. Zumindest setzte sie sich in den Kopf, fünf Klöster zu gründen. 1879 entstand der Karmel - ein Name für die Klöster der Karmelitinnen - Baumgarten bei Wien, zehn Jahre später folgte auf Wunsch von Kaiser Franz Joseph I. der Karmel Mayring und im selben Jahr zwei Klöster in Ungarn und Slowenien. Der fünfte Karmel sollte in Bayern entstehen.

Und mit diesem Wunsch wuchsen auch die Mühen. Zum einen untersagte zu jener Zeit ein Gesetz die Gründung eines Klosters, dessen Ursprung außerhalb Bayerns liegt. Zum anderen war die Regierung ohnehin der Auffassung, es brauche keine neuen Klöster, und stattdessen lieber Leute, die nicht beten, sondern anpacken und arbeiten. Doch Maria Euphrasia ließ nicht locker. Sie suchte trotzdem weiter nach einem passenden Ort und stieß auf das alte, 1688 erbaute ehemalige Augustinerkloster in Aufkirchen.

Die Umgebung war schön, das Gebäude jedoch völlig baufällig. Trotz aller Widrigkeiten unterzeichnete man schließlich im Juli 1896 den Kaufvertrag. Zwei Monate später erhielten die Schwestern auch die Erlaubnis zur Übersiedelung nach Bayern.

Am 18. September, fast auf den Tag genau vor 125 Jahren, trafen Maria Euphrasia, sie war inzwischen Priorin geworden, mit den ersten sieben Schwestern aus Wien und Mayring in Aufkirchen ein. "Als sie aus dem Wäldchen unterhalb Bergs herauskamen, sahen sie Aufkirchen vor sich liegen. Die hohe, freie Lage, der wolkenlose blaue Himmel und die milde Herbstsonne machten den besten Eindruck - aber die roten Ziegelsteine, die ihnen aus dem defekten Verputz der Nordseite entgegen schauten, ließen sie gleich erahnen, dass es weit fehlte", heißt es in der Klosterchronik.

Es fehlte nicht nur weit, es fehlte noch viel weiter: Das Dach war nach ihren Angaben so schadhaft, dass die Bewohnerinnen bei Regenwetter nachts Schirme aufspannen mussten. Die Fenster waren morsch und schlossen schlecht, alles knarrte und der Putz bröckelte. Als die Schwestern ankamen, war das Gebäude so gut wie leer. Einzig einen alten Küchenkasten, in paar Strohsäcke und einige kleine Säcke mit Lebensmitteln sollen sie vorgefunden haben.

Das Schlimmste aber war die Kälte. Die Ordensfrauen froren jämmerlich. Es gab zu wenige Decken, nicht selten konnten sie darum nicht einschlafen, wickelten sich in Teppiche und Mäntel. Als Kapelle diente ein Zimmer im ersten Stock in dem "der liebe Heiland in einem armseligen Tabernakel so mitten unter ihnen wohnte".

Durch die großzügige Hilfe der Klöster Beuerberg und Dietramszell, sowie zahlreicher Wohltäter habe man schließlich die erste Not überwinden können. Bereits ein Jahr nach der Gründung empfing die erste Novizin in Aufkirchen ihr Ordenskleid. Der Karmel hat sich laut Chronik schnell gefüllt. Die Höchstzahl der Schwestern von 21 war bald erreicht. "Heute leben 17 Karmelitinnen im Alter von 25 bis 88 in Aufkirchen", berichtet Priorin Schwester Veronika, die dem Kloster seit 2012 vorsteht.

Die Zeit des Zweiten Weltkriegs ging auch am Kloster nicht spurlos vorbei. Insgesamt sieben Mal sollen die Nationalsozialisten gekommen sein, um das Kloster für ihre Zwecke zu nutzen. Doch stets seien sie zu dem Schluss gelangt, es sei viel zu ärmlich für sie. Armut als Schutz.

Als in der Nacht vom 19. auf den 20. September 1942 drei Bomben auf Aufkirchen fielen, blieben das Kloster und die Wallfahrtskirche nebenan verschont. In dem leeren Glockenturm brachten die Schwestern die Statue des Heiligen Josefs unter, zum Schutz vor weiteren Angriffen. Trotz weiterer Bomben und Leuchtkugeln im Umkreis machte der Schutzpatron eine Arbeit vortrefflich. Aufkirchen blieb fortan verschont. Nach Kriegsende holten die Schwestern die festlich geschmückte Statue wieder zurück in den Chor.

Beten & Arbeiten

Die Aufkirchener Karmelitinnen leben in strenger Klausur. Der Alltag lässt sich auf die Formel "Beten und Arbeiten" reduzieren. "Wir pflegen keinen Müßiggang", sagt Schwester Veronika, die Priorin des Klosters. Gesprochen wird bei der täglichen Arbeit möglichst wenig. Wer in den Karmel eintreten will, hat Zeit, um sich den Entschluss gründlich zu überlegen: Im ersten Jahr leben Postulantinnen dort noch in ihrer zivilen Kleidung, danach erst erhalten sie einen weißen Schleier. Nach zwei weiteren Jahren legen sie das Gelübde erst einmal für drei Jahre ab. Erst nach sechs Jahren folgt die ewige Profess. Obwohl sich ihre Welt ausschließlich im Kloster abspielt: Weltfremd sind die Schwestern in Aufkirchen nicht. Aus Zeitungen erfahren sie alles, was draußen vor sich geht, über welche politische Themen gestritten und diskutiert wird. Das Surfen im Internet ist aber ebenso tabu wie Handys und Fernsehen. bad

In den Sechzigerjahren machte man sich im Kloster wieder ans Renovieren - mit tatkräftiger Hilfe der Kirchenoberen: Allen voran hielt Weihbischof Johannes Neuhäusler, der als kirchlicher Widerstandskämpfer im Dritten Reich im Konzentrationslager Dachau interniert war, seine schützende Hand über die Aufkirchener Schwestern. Ihm lag es am Herzen, die Lebensverhältnisse im Kloster zu verbessen. Und Kardinal Julius Döpfner gewährte den Ordensfrauen ein zinsloses Darlehen. In dieser Zeit schafften diese sich auch eine Heißmangel an, so dass sie ihren Lebensunterhalt fortan selbst bestreiten konnten. Heute unterhalten die Aufkirchener Karmelitinnen einen gut frequentierten Mangelbetrieb. Körbeweise liefern Privatleute Wäsche an der Klosterpforte an. Von einem Großmarkt erhalten sie regelmäßig vor Kurzem abgelaufene Lebensmittel und von wohlwollenden Menschen Nahrungsmittel und Spenden, frisches Obst gibt es aus dem heimischen Klostergarten.

Es ist ein Leben in Abgeschiedenheit und stiller Einkehr, das die Schwestern in Aufkirchen führen. Sie verlassen das Klostergelände nicht, weder zum Einkaufen noch zum Spazierengehen. Wer sie besucht, der kann nur durch ein hölzernes Gitter vom Nachbarzimmer aus mit ihnen sprechen. Dieses ist für sie der Garant, dass die Welt nur zu einem kleinen, gewollten Teil ins Innere des Klosters dringen kann. So hat es Schwester Viktoria einmal im Gespräch mit der SZ beschrieben.

Gerade deshalb erstaunt es, dass sie an diesem Samstag so viele Besucher in ihren Vorgarten einlassen. Unter ihnen Erzbischof Nikola Eterović, Nuntius von Papst Franziskus aus Berlin, der die Festmesse gemeinsam mit zwölf geistlichen Würdenträgern zelebriert - darunter Raoul Kiyangi, Provinzial der Karmeliten in Deutschland, und Abt Barnabas Bögle von Kloster Ettal. Zu den weltlichen Ehrengästen zählen Franz Herzog von Bayern und Ursula Prinzessin von Bayern sowie Bergs Bürgermeister Rupert Steigenberger und Altbürgermeister Rupert Monn mit ihren Ehefrauen sowie der CSU-Politiker Peter Gauweiler. Die Lüßbachtaler Blasmusik und die Berger Musikerfamilie Schad umrahmen die Festlichkeiten musikalisch. Nach dem zweistündigen Gottesdienst ziehen die geistlichen Würdenträger in Richtung Wallfahrtskirche aus, während sich die Karmelitinnen in ihre Klosteranlage zurückziehen, um dort unter sich das Jubiläum zu feiern.

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Quelle:
SZ vom 20.09.2021
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