Frauen schaffen Zukunft :„Ich will Mauern in den Köpfen einreißen“

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Melanie Stütz, KI-Expertin aus Berg, will zu einem neuen gesellschaftlichen Werteverständnis beitragen. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Vom Flüchtlingskind zur Pilotin, die zur KI-Vordenkerin und Botschafterin des EU-Klimapakts wurde: Melanie Stütz, die am Starnberger See lebt, schildert ihren persönlichen „Wertegang“ nun in einem Buch.

Von Katja Sebald, Berg

Melanie Stütz gehört zu den Frauen, die Zukunft schaffen: Die Unternehmerin, die am Ostufer des Starnberger Sees lebt, hat neben so prominenten Autorinnen wie der Transformationsforscherin Maja Göpel oder der Verlegerin Julia Becker einen Beitrag für das soeben erschienene Buch „Werte – Frauen schaffen Zukunft“ geschrieben. Darin schildert sie ihren persönlichen „Wertegang“ vom Flüchtlingskind zur Pilotin und schließlich zur Vordenkerin in Sachen Künstlicher Intelligenz und zur Botschafterin des EU-Klimapakts. 

Melanie Stütz, 1979 in Erfurt geboren, ist überzeugt davon, dass es sich immer lohnt, den eigenen Werten treu zu bleiben – auch wenn das einen kompletten Neustart bei null bedeutet. „Meine Eltern wussten schon vor meiner Geburt, dass sie die DDR verlassen wollen“, erzählt sie. „Ich glaube, sie haben mich lange auf unsere Flucht vorbereitet, ohne mir genau zu sagen, wann es losgehen würde.“ Als ihre Mutter im August 1989 in den Westen reisen durfte, um dort Verwandtschaft zu besuchen, stand fest, dass sie nicht wieder zurückkehren würde. Sie verabschiedete sich von ihrem Mann und ihrer Tochter und rechnete damit, dass es über einen Ausreiseantrag mindestens zwei Jahre dauern würde, bis sich die Familie im Westen wiedersehen könnte.

Aber schon wenige Wochen später überschlugen sich die Ereignisse, als Tausende DDR-Bürger in der Prager Botschaft Zuflucht suchten. Vater und Tochter ließen sich am 3. Oktober von Freunden an die tschechische Grenze bringen. Sie marschierten nachts durch den Wald, fuhren per Anhalter, Zug und Taxi nach Prag, reihten sich in die lange Schlange vor der Deutschen Botschaft ein und kamen schließlich mit einem der ersten Züge in Hof an. Am 6. Oktober 1989 druckte die Bild-Zeitung auf der jubel geschwängerten Titelseite ein Foto der zehnjährigen Melanie, in den Armen ihres Vaters in einen Rot-Kreuz-Schlafsack gehüllt. 

„Freiheit und Gerechtigkeit sind für mich die wichtigsten Werte im Leben“, schreibt sie jetzt in ihrem jüngsten Buchbeitrag. Ihre Eltern seien mit ihr aus einem Land geflohen, dessen politisches Wertesystem sie nicht akzeptieren konnten. Sie wollten ihrer Tochter eine bessere Zukunft ermöglichen, zahlten dafür aber einen hohen Preis: Der Neuanfang in der Bundesrepublik war alles andere als leicht. Aber „der Wert, den wir alle dadurch erhielten, ist unbezahlbar“ – davon ist Melanie Stütz überzeugt. Mit ihrem Mut und ihrer Treue zu sich selbst prägten ihre Eltern sie aber auch noch in ganz anderer Hinsicht: „Ich will Mauern in den Köpfen einreißen“, sagt sie heute. Mit ihrer Arbeit will sie ein Werteverständnis vermitteln, das Nachhaltigkeit, technologischen Fortschritt und wirtschaftlichen Erfolg verbindet. Das Thema „Frauenförderung“ verfolgt sie mit dem erklärten Ziel, dass es in naher Zukunft kein Thema mehr ist.

Die Welt bereisen und überall Kinder zu ihren Träumen befragen

Nach einem Studium der Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik und beruflichen Stationen bei Microsoft und Siemens, beschloss sie – zwanzig Jahre nach ihrer Flucht – zusammen mit ihrem Mann einen Kindheitstraum zu verwirklichen: Das Paar wollte mit einem „Flugauto“ wie aus der Kinderserie „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt“ oder wie James Bond in „You only live twice“ die Welt bereisen, überall Kinder zu ihren Träumen befragen und ihre Reise als internationales Medienprojekt vermarkten. Zu diesem Zeitpunkt hatten allerdings beide weder Ahnung vom Fliegen noch vom Filme machen oder Bücher schreiben. Sie lernten es – und konnten am Ende mit den Erlösen aus dem entstandenen Buch und einer TV-Serie Bildungsprojekte in jenen Ländern unterstützen, die sie bereist hatten.

Die Erfahrungen aus dem Weltreise-Projekt flossen im Jahr 2016 in die Gründung ihres eigenen Unternehmens ein: Sie entwickelten, ähnlich wie es beim Fliegen unerlässlich ist, eine Art „Vorflug-Check“ für Unternehmensgründungen. Das Paar begab sich dafür auf die Suche nach wiederkehrenden, messbaren Mustern für unternehmerischen Erfolg. Daraus entstand das Forschungsprojekt „Ideascanner“, das Geschäftsideen ebenso wie bereits bestehende Unternehmen mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) untersucht und bewertet.

Darüberhinaus ist Melanie Stütz in verschiedenen Frauennetzwerken aktiv und bringt auch hier ihre Expertise in den Bereichen KI und Digitalisierung ein, um Unternehmen zukunftsfähig zu machen. Sie will dazu beitragen, ein neues Werteverständnis mit dem Anspruch an nachhaltigen und wirtschaftlichen Mehrwert zu schaffen. Grünes Wachstum ist für Stütz dabei kein Widerspruch, sondern die Zukunft. Und wenn es nach ihr geht, werden noch mehr Frauen, die Zukunft schaffen, bald schon eine Selbstverständlichkeit sein.

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