Kunst und Kultur :Kaiserschnitte und 180-Grad-Wenden

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Im Berger Marstall ist die Jahresausstellung des örtlichen Kulturvereins zu sehen - hier ein Wek zum Nachdenken der Künstlerin Birte Pröttel. (Foto: Nila Thiel/Nila Thiel)

Die Jahresausstellung der Mitglieder des Berger Kunstvereins befasst sich mit prägenden Erlebnissen und Neuanfängen.

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Berg

Von den unzähligen grauen Pünktchen mit der blassrosa Linie dazwischen ist der Betrachter zunächst einmal irritiert: Soll er sich meditativ in die Punkte mit den sanften Farben versenken? Oder stellt das Bild einen hellen Horizont dar, der Licht am Ende des Tunnels symbolisieren soll? „Kaiserschnitt“ nennt die Künstlerin Elisabeth Güllich ihr Werk, das sie für die Jahresausstellung des Kunstvereins Berg ausgewählt hat.

Ein Kaiserschnitt ist eine lebensrettende Maßnahme für Mutter und Kind. Und Güllich weiß aus eigener Erfahrung, dass dieses Schicksal zwar viele Frauen betrifft, aber nur selten thematisiert wird. Viele Frauen sprechen erst nach Jahren über diesen Eingriff. Und Thema eines Kunstwerks ist der Kaiserschnitt laut Güllich bislang schon gar nicht.

Daher hat sie das Thema für die Mitgliederausstellung gewählt, die unter dem Motto „180 Grad“ steht. 180 Grad ist ein gestreckter Winkel – also eine Linie ohne Anfang und Ende. Für die Veranstalter der Ausstellung stehen die 180 Grad sinnbildlich für „den größtmöglichen Mut zum aktiven Richtungswechsel, den Beginn eines neuen Weges oder einer neuen Perspektive“. 

Die Geburt eines Kindes ist für die vierfache Mutter Güllich so ein Wendepunkt im Leben einer Frau. Die Kaiserschnittgeburt eines ihrer Kinder hat sich aber am intensivsten in ihr Gedächtnis eingegraben. „Diesen Wendepunkt wollte ich sichtbar machen“, sagt sie. Die Künstlerin hat festgestellt, dass Mütter zwar diese Narbe teilen, aber die unterschiedlichsten Schicksale haben und die verschiedensten Geschichten erzählen können. Die vielen kleinen Punkte sollen diese verschiedenen Facetten ihrer Lebensgeschichten darstellen.

Matthias Schilling hat das diesjährige Ausstellungsplakat der Jahresausstellung des Kunstvereins gestaltet und ist mit dem Bild „Weird“ beteiligt. (Foto: Nila Thiel/Nila Thiel)

Die Werke der Mitglieder des Berger Kunstvereins sind derzeit im Marstall zu sehen. Güllich ist zusammen mit der Künstlerin Cornelia Hesse sowie dem Grafik-Designer Matthias Schilling verantwortlich für die Organisation der Ausstellung. Schilling hat das diesjährige Ausstellungsplakat gestaltet und ist mit dem Bild „Weird“ beteiligt. Es zeigt eine fröhliche, aber seltsame Elefantenfigur, die an einen Ottifanten erinnert.

Cornelia Hesse hat eine andere Herangehensweise an das Thema Wandel. Das einzige, was ihre Installation „Levitation“ mit dem Werk ihrer Künstlerkollegin Güllich verbindet, ist der Rosé-Ton, mit der die durchscheinenden Kunststoffplatten an einem verschlungenen Drahtgebilde befestigt sind.

Transparente Kunststoffplatten an einem verschlungenen Drahtgebilde: Cornelia Hesse bereichert die Ausstellung mit ihrem Werk "Levitation". (Foto: Nila Thiel/Nila Thiel)
Erinnerungen an die eigene Kindheit hat Gerlind Stadler in ihrer Bildmontage verarbeitet. (Foto: Nila Thiel/Nila Thiel)

Mit den Kurven und Knoten möchte die promovierte Juristin Hesse den Mut zur Wende darstellen. Denn nicht selten mündet ein neu eingeschlagener Weg in verschlungene Pfade. Ebenfalls einen Rose-Orangeton hat ihr Papier-Objekt „out of shellow-sunset“. Für den flachen Sonnenuntergang am Horizont in rot-rosa Facetten hat Hesse zarte Papierstreifen mit Acrylfarben getränkt.

Ebenfalls ein beeindruckendes Papier-Objekt ist das „große Rasenstück“ von Anna Maria Bellmann. Das filigrane, kleinteilige Muster mit Gräsern und Schmetterlingen hat sie mit unendlicher Geduld in Papier geschnitten. Ebenfalls mit geschnittenem Papier beschäftigt sich Sanna Myrttinnen. Das Werk „das Gewöhnliche ist etwas Wunderbares“ ist eine Hommage an den Alltag. Das Objekt zeigt ein in zurückhaltenden Grautönen gehaltenes, verwobenes Karomuster. 

Von Weitem wirkt die Skulptur „Hannibals Elefant“ des Japaners Shigeyuki Miyagawa ebenfalls aus Papier hergestellt. Es besteht aber aus Marmor-Sand, der mithilfe von Reisstärke zu Kügelchen geformt wurde. Diese wiederum sind zu einer naturgetreuen Nachbildung eines Dickhäuters zusammengefügt.

Erinnerungen an die Jugend hinter der Tür: "Steinflipper" von Fritz Güllich. (Foto: Nila Thiel/Nila Thiel)
Auf einem Ahornstab schweben sanft hängend Grasbüschel - eine Kreation von Dazze Kammerl. (Foto: Nila Thiel/Nila Thiel)

Groß und wuchtig erscheint das Kunstobjekt „Steinflipper“ von Fritz Güllich. Vor einer alten Holztüre ist ein Diskuswerfer montiert, der einen flachen Stein über das Wasser flippen lässt. Das Gründungsmitglied des 1988 ins Leben gerufenen Berger Kunstvereins, Dazze Kammerl, hat sich mit der Gräser-Installation „oT“ beteiligt. Auf einem Ahornstab schweben sanft hängend Grasbüschel. Ebenfalls mit dem Thema unendliche Gerade und Zeit setzt sich Ulla Ott mit ihren Werken „endlos“ – „unendlich“ – „endlich“ auseinander.

Die Ausstellung, in der Werke von insgesamt 54 Mitgliedern gezeigt werden, ist noch bis zum 22. November zu sehen. Sie ist an diesem und am kommenden Wochenende, jeweils samstags und sonntags, von 11 bis 18 Uhr geöffnet.

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