In Gauting, Tutzing und Gilching beherbergt man bereits Asylbewerber in großen Sammelunterkünften, verteilt Spenden und versucht, den Entkräfteten das Leben so gut wie möglich zu gestalten. Auch in Berg gibt es ein Zeltdorf. Aber hier umsorgt man nicht Flüchtlinge, man kümmert sich um Gäste. Was auf den ersten Blick aussieht wie eine sprachliche Spitzfindigkeit, beinhaltet jedoch gravierende Unterschiede. "Es klingt nicht nur netter", erklärt Iradj Teymurian, der Leiter des Helferkreises Asyl, "wir erwarten auch, dass die Leute, die hierher kommen, sich wie Gäste benehmen. Das heißt, dass sie uns und unsere Kultur respektieren." Der 69-Jährige selbst hatte die Idee zu dieser kleinen, aber feinen Änderung. Als gebürtiger Iraner weiß er, dass ein Gast in den Herkunftsländern der Flüchtlinge auch ganz bestimmte Pflichten hat. "Wer als solcher in ein fremdes Land kommt, weiß, dass er nicht leben kann wie zu Hause."
Beschwerden darüber, dass man sich mit anderen eine Küche teilen muss, oder die Unzufriedenheit über die Behelfsunterkunft haben sich schon viele Helfer anhören müssen - auch die in Berg. Ebenso die Forderung nach einer eigenen Wohnung oder gar einem Haus, so wie es Einheimische haben. Während man anderswo über derartige Ansprüche nur verständnislos den Kopf schüttelt, begegnet Teymurian den Unzufriedenen selbstbewusst: Er macht ihnen schnell klar, dass sie Gäste in Deutschland sind, die aus eigenem Willen gekommen sind, ohne Einladung. "Mehr als das können wir nicht bieten", erklärt der Berger Syrern und Pakistani gleichermaßen. "Wenn sie nicht zufrieden sind, sage ich ihnen, dass sie jederzeit ihre Koffer wieder packen und nach Hause gehen können." Er erinnert die Flüchtlinge auch daran, dass sie nichts mitgebracht haben als nur sich selbst. Der Anstand gebietet es aber, dass ein Gast ein Geschenk überreicht - überall auf der Welt. Was hart klingen mag, verfehlt seine Wirkung nicht: Kritik und Forderungen verstummen sofort.
Teymurian geht es aber nicht darum, die Leute zum Schweigen zu bringen. Er will den Leuten helfen, sich hier zurecht zu finden. "Ich selbst habe Migrationshintergrund", sagt er. Vor 52 Jahren kam er aus dem Iran nach Deutschland, um hier zu studieren. Auch wenn er nicht Asylbewerber war, kennt er die Probleme, mit denen die Flüchtlinge jetzt zu kämpfen haben: die Einsamkeit, die man empfindet, wenn man in einer fremden Umgebung ist und die Leute nicht versteht; "das Gefühl, ein Taub-Stummer zu sein", wenn Passanten miteinander reden und man nicht weiß, ob sie über einen selbst sprechen oder ob vielleicht sogar Gefahr droht; und wie es ist, weit weg zu sein von der eigenen Familie. "Das Gefühl ist unbeschreiblich", weiß Teymurian. "Wenn man es nicht erlebt hat, kann man sich das nicht vorstellen."
Dem 69-Jährigen ist natürlich auch klar, dass die Asylbewerber darüber hinaus unter dem psychischen Druck leiden, dass sie nicht wissen, was morgen ist, ob sie wieder zurück müssen oder ob sie vielleicht doch ein Bleiberecht erhalten. Dieses Problem hatte er nicht, denn als er seinerzeit vor Ayatollah Khomeini floh, war er bereits mit einer Deutschen verheiratet und hier längst kein Fremder mehr. Aus seiner ersten Erfahrung heraus ist es ihm ein Herzenswunsch, Fremden zu helfen, in der deutschen Gesellschaft Fuß zu fassen. Die Flüchtlinge müssten lernen, welche Regeln es hier gibt, wo man was findet oder wie man zum Beispiel mit Frauen umgeht, sagt Teymurian.
Denn wenn sie ihr Bleiberecht bekommen, sind sie "Bürger unter uns und dann erwarten wir plötzlich mehr von ihnen". Deshalb habe er sich lange überlegt, wie man diese Leute am besten ansprechen kann, um den nötigen Respekt entgegengebracht zu bekommen und den Willen, die hiesigen Gepflogenheiten anzunehmen, statt ständig mit unerfüllbaren Forderungen konfrontiert zu sein, erzählt Teymurian. "Ich kenne die Mentalität."
Und es hat sich bewährt, neue Wege zu gehen: Seit die Helfer die Asylbewerber als Gäste betrachten, hat sich auch ihre Einstellung gewandelt. "Wir machen, was ein Gastgeber macht. Wir erklären ihnen, dass man die Damen zuerst begrüßt, dass man anderen die Tür aufhält, dass man zu Verabredungen pünktlich kommen muss und andere Selbstverständlichkeiten." Denn wenn sie nicht wissen, wie man sich hier verhält, ecken sie immer an und sobald sie erst auf sich allein gestellt sind, korrigiert sie niemand mehr. "Also: Wenn wir es ihnen nicht beibringen, von wem sollen sie es dann erfahren?", fragt Teymurian. "Ein kurzfristiger Liebesbeweis" zum Beispiel in Form von Kleider- oder Sachspenden oder auch Chauffeurdiensten hilft ihnen nicht weiter, davon ist der Organisator des Helferkreises überzeugt.
Klar, die Berger Helfer geben ihren Gästen, was nötig ist. Aber - und darauf legt Teymurian großen Wert - die Gäste müssen etwas dafür leisten. Um Fahrräder zu bekommen, mussten die Bewohner des Zeltdorfs einen Platz anlegen, auf dem die Räder abgestellt werden können. Als sie große Töpfe wollten, damit sie zu sechst oder siebt kochen können, verlangte Teymurian, dass sie ihren Wunsch auf Deutsch aussprechen. Und wenn sie Kleider oder Schuhe brauchen, zeigen ihnen die Gastgeber, wo ein Sozialkaufhaus ist oder wo man günstig einkaufen kann. "Sie müssen lernen, hier zu leben und auf ihr Geld aufzupassen. Sie bekommen ausreichend Geld, zum Teil sogar mehr als ich", weiß der Rentner. "Sie brauchen keine Geschenke. Welcher Arbeitslose bekommt das?" Er hat sogar schon mitbekommen, dass einige Flüchtlinge gespendete Kleider einfach weggeschmissen haben, anstatt sie zu waschen, weil sie wussten, dass sie neue bekommen würden, wenn sie danach fragen. So etwas will Teymurian in Berg nicht erleben. "Was nichts kostet, ist nichts wert", sagt der gebürtige Iraner, deshalb verlangt er eine Gegenleistung.
"Die vielen Spenden verderben die Leute, sodass sie nie mehr auf eigenen Füßen stehen können", davon ist er überzeugt. Die Flüchtlinge haben zwar viele Entbehrungen erdulden müssen und Leid, aber wegen der Schlepper sind sie mit der Vorstellung nach Deutschland gekommen, dass hier das Geld auf der Straße liege. Die meisten sind einfache Tagelöhner, die die Geschichten der Schlepper glaubten und nun meinen, man brauche sich nicht einmal zu bücken, um das Geld aufzuheben, ein Windstoß weht es einem geradewegs in die Arme, sagt Teymurian. Deshalb stellen viele auch so unverschämt hohe Forderungen. Der 69-Jährige fürchtet, dass das schiefe Bild von Deutschland bestätigt wird, wenn die Spenden im Überfluss an die Asylbewerber verteilt werden. Deshalb steht er dieser Form der Willkommenskultur sehr kritisch gegenüber. Er hält sie schlicht für übertrieben.
Teymurian ist auch dagegen, dass die Helfer die Gäste mit dem Auto zum Arzt oder zur Behörde bringen. Sie sollen lernen, wo und wann der Bus abfährt und diesen benutzen. "Sie sollen sich selbst organisieren lernen, damit sie ihre Wege allein finden."
Etwa 120 Helfer gibt es inzwischen in Berg, also praktisch für jeden Gast einen. Teymurian ist begeistert, dass sich so viele engagieren, vor allem sehr viele jüngere Leute. Aber der Organisator ist auch wählerisch: Nicht jeder, der den Wunsch äußert, darf mitmachen. Ihm ist wichtig, dass alle an einem Strang ziehen, alle dasselbe Ziel verfolgen - nämlich Integration. Deshalb nimmt sich der Berger für jeden Interessenten Zeit, um in einem zweistündigen Gespräch herauszufinden, ob der Helfer mit seiner Einstellung ins Team passt. Einige hat er auch schon weggeschickt. Es muss sichergestellt sein, dass die Asylbewerber die Helfer nicht gegeneinander ausspielen, wenn sich mehrere um einen Gast kümmern, mit ihm Deutsch lernen oder den Weg in die Selbständigkeit weisen. "Wer am Helfersyndrom leidet, soll nicht die Arbeit der anderen kaputt machen können."
Teymurian selbst ist momentan fast zehn Stunden pro Tag mit der Organisation beschäftigt. "Es ist wichtig, dass sich die anderen auf einen verlassen können, der ständig erreichbar ist", sagt er. Das gilt nicht nur für Helfer, sondern auch für die Gäste. Jeden Tag geht er ins Zelt, kümmert sich um Neuankömmlinge, weist diejenigen zurecht, die viel zu spät oder gar nicht beim Deutschunterricht erschienen sind und versucht ihnen klarzumachen, dass die Sprache oberste Priorität hat. Er versucht, Kinder und Jugendliche in Kindergärten und Schulen unterzubringen, was nicht immer leicht ist, denn viele Flüchtlinge sind Analphabeten und können ab zwölf Jahren kaum ins deutsche Schulsystem integriert werden. Momentan hat Teymurian elf derartige Jugendliche, für die er einen Platz suchen muss. Er kümmert sich auch um Berufsausbildungen und organisiert Treffen mit Anwohnern, damit alle Ressentiments sofort im Keim erstickt werden. "Die Atmosphäre ändert sich schnell, wenn die Leute merken, dass unsere Gäste viel mehr Angst haben", sagt er.
Nicht selten entstehen erste Sympathien, oft auch der Wunsch eine Patenschaft zu übernehmen. Die Leitung des Helferkreises ist für Teymurian derzeit mehr als ein Full-Time-Job, aber er macht ihn trotz aller Anstrengung gern. "Ich sehe den Erfolg", sagt er und freut sich.