"Alien Disko" in Berg:Die Bahn der guten Geister

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Kultur vor historischer Villa: In Berg-Kempfenhausen lockt die Ausstellung "Von A bis Z" bei der Villa de Osa Hunderte Zuschauer an. Hier ein Konzert mit der "Alien Disco". (Foto: Georgine Treybal/Starnberger SZ)

Zur 1200-Jahr-Feier von Berg findet vor der mondänen Kulisse der Villa de Osa in Kempfenhausen ein einzigartiges Festival statt. An Musikalität, Originalität und Witz ist es kaum zu übertreffen.

Von Armin Greune, Berg

Wieso diese fünfte und erste auswärtige Alien-Disko der "Notwist"-Brüder Micha und Markus Acher mit "Geisterbahn" überschrieben ist, stellt manche Besucher vor ein Rätsel. Zwar kann die Kulisse, die Villa de Osa in Kempfenhausen, in ihrer Vita mit einer grausigen Bluttat aufwarten. Doch zumindest an diesem herrlichen Sommersonntag weckt das neobarocke Palais nicht die geringste Horror-Assoziation. Der fröhlich-bunte Quilt von Stefanie Buck, der als Banner des Festivals an einem Balkon an der Westfassade hängt, erst recht nicht. Und was das im wahrsten Wortsinne wundervolle Musikprogramm betrifft: Es vermag immer wieder wohliges Schaudern oder fassungsloses Staunen hervorzurufen, aber statt Schrecken oft reine Heiterkeit.

Da wäre zunächt der in Großbritannien lebende Japaner Ichi, der als Einmannband das Publikum mit facettenreicher Musikalität und grenzenlosem Einfallsreichtum verblüfft. Der bekannte Teil seines Instrumentenuniversums reicht von der Steel Pan über Mundharmonika bis zur Trompete, doch vor Ichi ist nichts sicher: Alles mögliche wird von ihm zur Klangerzeugung eingesetzt: Sitzball, Schreibmaschine, Bücher, Stahlrohre, Wasser. Ein Arsenal an außerirdischen Tröten wird von einem - womöglich aus einer Wärmflasche - gebastelten Dudelsack oder einem provisorisch wirkenden Bass ergänzt. Zuvor hat Ichi deutsche Worte ans Publikum in japanischer Lauschrift notiert und erntet Lachstürme mit seinem "kleinen Lied uber eine große Mucke" - das schlagartig mit Klatscher endet. Viel Witz entfaltet sich auch im Badezimmer-Song, der staunen lässt, was für melodischer Schönklang entsteht, wenn ein Könner unter der Tarnung als stelzenwandelnder Zirkusclown zwei Rasierwasserfläschchen aneinanderschlägt.

Eine Klasse für sich: Der japanische Solomusiker Ichi verblüfft die Zuhörer bei der "Alien Disco" mit selbst gebastelten Instrumenten. (Foto: Armin Greune)

Im Kontrast dazu schallt deftiger Garagenpunk aus dem Nordflügel der Villa. Das Trio um G.Rag alias Andreas Staebler lässt es mit "Ein Herz aus Stahl" oder einer wahrlich außerirdischen Version des Byrds-Klassiker "Mr. Spaceman" krachen. Dann wird es wieder ganz leise: Das Duo Tenniscoats zelebriert so etwas wie fernöstliche Indie-Lagerfeuerromantik, und zu Takashi Uenos Gitarrenspiel singt Saya Uenos zarte, schöne Stimme gegen das Vogelkonzert zum Sonnenuntergang an - nur einer der nachhallenden Momente an diesem Abend, an dem sich antiquierte Architektur und moderne Kunst, Natur und Musik gegenseitig an Spektakulärem überbieten.

Bedauernswerterweise gilt dies auch für das auf vier Stunden komprimierte Programm, das viele Besucher vor manch schwere Entscheidung stellt. Parallel zu Tenniscoats spielt auf der Villa-Ostseite ein spontan zusammengewürfeltes Oktett mit Fagott, das im Wesentlichen aus der Hochzeitskapelle sowie Maximilian Pongratz und der Tubistin Theresa Loibl besteht. Sie hatte am Nachmittag den Frontmann von Kofelgeschroa begleitet, der in gleißender Sommerhitze Teile seines neuen Soloalbums "Meine Ängste" vorstellte. "Es ist so heiß, da verrutscht ma sich auf de Tasten", sagt der Sänger und Akkordeonist aus Oberammergau, der dennoch mit instrumentellen Fertigkeiten und unwiderstehlichen Grooves besticht. Und mit lakonischen, auf verschlungenen Wegen witzigen Texten, auf die Karl Valentin Einfluss genommen haben könnte. Etwa der Song von der Gans, "die den Braten gerochen hat, schließlich war sie gut beianand' und schwer". Aber nicht zu schwer, um abzuheben und den Zaun zu überfliegen, wie das Duo mit Akkordeon zum Tuba-Beat illustriert. Von Pongratz darf man aber auch poetische Tiefgründigkeit erwarten, Slowfood für den Kopf gewissermaßen, wie "D' Nacht ist müd vom nacht sei" im Lied zum Tagesanbruch.

Begeistert Zuhörer bei der "Alien Disko": Rund um die Villa de Osa ist etwas geboten. (Foto: Georgine Treybal/Georgine Treybal)

Vor Pongratz war die "Hochzeitskapelle" als Opener angetreten, um ebenfalls musikalisches Können und Kreativität im leichten, musikantischen Gewand zu präsentieren. Wer sich ihnen zuwandte, verpasste freilich den Auftritt der beiden Soundtüftler von Joasihno: Sie brachten ihr gesamtes Instrumentarium in einem Koffer mit - ein Wunderwerk zur Klangerzeugnis aus rotierenden Armen, springenden Kügelchen und mechanisch gesteuerten Klöppeln. Cico Beck und Nico Sierig bedienten im aufgeklappten Koffer diverse Tastaturen und drei Mischpulte, griffen aber auch zur analogen Korbrassel oder zum Tambourin, um magische Klangteppiche und Grooves auszubreiten. Es ließ sich nicht verhindern, manche Auftritte dieses Festivals ganz zu verpassen. Das Bedauern hält sich angesichts der miterlebten Wunder aber in Grenzen. Und auch, dass bei dieser Geisterbahn das Gruseln nicht nur etwas zu kurz kam, sondern völlig ausfiel, ist zu verschmerzen.

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