Gesellschaft:Starnbergs Querdenker-Uni

Strandbad Undosa  Starnberger See Luftbild

Starnberg liegt idyllisch am See - hier soll es nun eine Querdenker-Uni geben.

(Foto: Jörg Bodenbender/oh)

An der "Hannah-Arendt-Akademie" sollen online Abiturienten unterrichtet werden, viele Dozierende stehen laut Experten Verschwörungsideologen nahe. Ist eine pseudowissenschaftliche Denkschule das Ziel?

Von Nina Böckmann und Jessica Schober

Christian Klammer war einmal Schuhhändler in Starnberg, seinen Laden nannte er "Schuhtingstar". Dass ihm schon bei der Namensgebung kaum etwas zu krude ist, zeigt sich jetzt abermals. Klammer hat eine Einrichtung gegründet, die er "Hannah-Arendt-Akademie" nennt. Ausgerechnet Arendt. Jene jüdische Intellektuelle und Freidenkerin, ohne die das 20. Jahrhundert kaum zu verstehen wäre, hat Klammer als Namenspatronin für sein Online-Weiterbildungs-Angebot gewählt, das sich dem "Hygieneregime" widersetzen will - so heißt es auf der Webseite der Akademie. Angegeben ist dort auch eine Kontaktadresse in Starnberg.

Die sogenannte Akademie will Abiturienten ein Studium Generale anbieten, einen virtuellen Ort, an dem "unabhängig vom Impfstatus und politischer Einstellung wirklich frei studiert werden kann", für alle, "die sich nicht länger dem System unterwerfen wollen". Mit diesen Worten wird die Einrichtung in einer Telegram-Gruppe beworben. Auch die Dozierenden, die die Akademie auf ihrer Seite auflistet, weisen nach Einschätzungen von Experten eine große Nähe zu Verschwörungsideologien auf. Eine Art Querdenker-Uni soll mitten in Starnberg entstanden sein. Was ist da dran?

"Studieren ohne Impfen, ohne Gendern und unsinniger political Correctness"

Die Internetseite der Akademie ist derzeit nicht aufrufbar, sie ist nach Angaben des Netzwerkes Anonymus Germany gehackt worden. Man muss in Web-Archiven suchen, um eine Version des Online-Auftritts aus dem Oktober 2021 zu finden. Unter einer Schwarz-Weiß-Fotografie der namensgebenden Philosophin steht der Hinweis, dass das Orientierungs-Semester an der Hannah-Arendt-Akademie 150 Euro kosten soll. Als Kontakt wird Christian Klammer genannt, der in Youtube-Videos die Akademie als eingetragenen Verein vorstellt. In einer Selbstbeschreibung vom Oktober heißt es: "Die Generation Corona steht vor einer ungewissen Zukunft - zumal, wenn der Besuch einer Hochschule durch die Hürden des Hygieneregimes erschwert wird. Das Corona-Narrativ mit all seinen Einschränkungen Land auf Land ab, macht auch vor den deutschen Universitäten nicht halt." In ähnlichem Ton geht es weiter - nicht explizit Corona leugnend, aber deutlich tendenziös. Auch die Kreise, in denen das Projekt angepriesen wird, lassen auf ein Milieu schließen, das sich abgrenzen will vom gesellschaftlichen Konsens.

Etwa bei Rowena J. Die Frau aus dem Allgäu betreibt einen Telegram-Kanal, ist Aktivistin der querdenkernahen Bewegung "Eltern stehen auf" und versuchte jüngst, eine "freie naturnahe Schule" zu gründen. Sie bewirbt die Starnberger Akademie mit den Worten: "Studieren ohne Impfen, ohne Gendern und unsinniger political Correctness".

Die Sozialpsychologin Pia Lamberty ist Geschäftsführerin beim Center für Monitoring, Analyse und Strategie und forscht seit Jahren dazu, warum Menschen an Verschwörungen glauben. Auch sie hat sich die Seiten der Starnberger Akademie angeschaut und sagt: "Ob Aidsleugnung, Coronaverharmlosung oder Verbreitung von 9/11-Verschwörungserzählungen - viele der vorgestellten Dozierenden sind bereits in der Vergangenheit mindestens dadurch aufgefallen, verschwörungsideologisches Geraune verbreitet zu haben oder rechtspopulistischen Strömungen nahe zu stehen. Blickt man also auf die Personen, die dort lehren werden, zeigt sich ziemlich schnell, was hier mit Wissenschaftsfreiheit gemeint ist." Lamberty ordnet es als problematisch ein, dass auf der Webseite Wissenschaftsfreiheit instrumentalisiert und verkürzt dargestellt werde.

Akademiegründer Christian Klammer antwortet auf telefonische und schriftliche Anfragen nicht. Dabei ist er sonst auskunftsfreudig, was seine Akademie angeht. In einem Video vom Oktober spricht er mit Andreas Popp, der redet vom "Great Reset", einem Kampfbegriff von Verschwörungsideologen, und einer notwendigen "Bildungsrevolution". Klammer nickt und sagt: "Schön, dass du das ansprichst." Mehr Medienkompetenz und politische Bildung wolle er mit seinem Studium Generale vermitteln, er wolle Scheuklappen "wegsprengen". Er erzählt in dem Video, dass er als Vater von zwei Töchtern im Alter von 18 und 19 Jahren, die jetzt im Corona-Jahr ihr Abitur absolviert hätten, "unmittelbar betroffen sei". Was er meint: An Münchner Universitäten gilt die 3-G-Regelung für Studierende. Aus diesem Grund habe er ein Alternativangebot geschaffen.

Die Zeitschrift für politisches Denken, die auf der Webseite mit dem Namen von Hannah Arendt publiziert, verurteilt Klammers Initiative: "Wir raten allen angesprochenen jungen Menschen davon ab, ihre intellektuelle Energie, ihre Wissbegier, ihre Zeit und nicht zuletzt ihr Geld in diese Falle zu stecken. Wir sind entsetzt über die Instrumentalisierung des Arendtschen Denkens." Der Pool der Dozierenden sei dem neu-rechten Milieu zuzuordnen, darunter seien einige bekannte AfD-Unterstützer und Verschwörungstheoretiker, die mit ihren Doktor- und Professorentiteln hausieren gingen, heißt es in der Stellungnahme.

Der Starnberger Landrat Stefan Frey (CSU), der vor Kurzem einen Runden Tisch zu "Reichsbürgern" initiierte, gibt zu, von der "Hannah-Arendt-Akademie" in Starnberg noch nie etwas gehört zu haben. "Es gab bisher keine Hinweise der Polizei oder vom Verfassungsschutz an mich, dass wir uns hier mit dem Thema genauer befassen müssen." Frey glaubt: "Wir haben hier keine verfestigte Querdenker-Szene im Landkreis, zumindest ist das mein Eindruck." Wenn er sich impfkritische Diskussionen in sozialen Medien anschaue, falle ihm auf, "dass es immer die üblichen Leute" seien, die Stimmung machten, die fänden jedoch wenig Widerhall. Der Bayerische Verfassungsschutz schätzt die Querdenker- und Corona-Leugner-Szene nicht als Beobachtungsfall ein. Zu dem Fall in Starnberg lägen daher keine offiziellen Erkenntnisse vor. Dennoch habe man die Entwicklungen im Blick, so die Behörde, denn bei anderen Lehrprojekten seien jüngst auch immer wieder Personen aus der Reichsbürgerszene beteiligt gewesen.

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