Ronny Walter ist dreifacher Vater und Anwalt. Dass seine beiden älteren Töchter im Unterricht an der Kraillinger Grundschule durchgängig Mundschutz tragen müssen, fand der 44-Jährige juristisch strittig. Er hat einen Eilantrag gegen die Maskenpflicht im bayerischen Schulunterricht gestellt. Formell ist er damit abgeblitzt, doch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) wies in der Urteilsbegründung darauf hin, dass Grundschüler auch mal eine Verschnaufpause brauchen. Kultusminister Michael Piazolo hat am Freitag darauf reagiert: Maskenpausen seien in den bayerischen Schulen erlaubt.
SZ: Wann tragen Sie selbst Mundschutz?
Walter: Ich bin kein Coronaleugner, ich trage einen Mundschutz, wo er vorgeschrieben ist, also beim Einkaufen und in der Kanzlei, auf allen Verkehrs- und Gemeinschaftsflächen. Ich nehme die Maskenpflicht ernst, ich will auch selbst nicht krank werden und meine Familie schützen. Aber ich finde es unverhältnismäßig, dass meine kleinen Töchter den Mundschutz in der Grundschule Krailling pausenlos tragen müssen und nicht mal am Sitzplatz abnehmen dürfen.
In welchem Moment haben Sie sich entschieden, vor Gericht zu ziehen?
Seit dem 18. Oktober müssen Grundschüler in Bayern auch am Sitzplatz Maske tragen. Ausnahmeregelungen in einigen Landkreisen wie München und Ebersberg wurden wieder gekippt. Meine sechsjährige Tochter ist während der Corona-Pandemie eingeschult worden und besucht den Ganztageszug der Schule. Das bedeutet, sie muss von acht bis teilweise 16 Uhr eine Maske tragen - ununterbrochen, weil die Rechtsverordnung keine Ausnahmen vorsieht. Da war der Punkt für mich erreicht, an dem ich etwas tun wollte. Ich bin kein Prozesshansel oder Berufskläger. Als Anwalt berate ich normalerweise im Steuer- und Unternehmensrecht. Die Gerichtskosten von rund 1000 Euro werde ich selber zahlen - das war es mir wert.
Coronavirus:Starnberger Landratsamt lockert Maskenpflicht für Schüler
Kinder dürfen den Schutz etwa in kleinen Gruppen und beim Sport im Freien ablegen, wenn sie Abstand halten. Der Landrat reagiert damit auch auf Proteste der Eltern.
Wieso haben Sie Ihre sechs- und achtjährigen Töchter mit zu den juristischen Antragstellerinnen gemacht?
Weil sie die Betroffenen sind. Als meine Kinder erzählten, wie doof sie manchmal die Maske im Unterricht finden, haben wir das im Familienrat besprochen. Meine Frau ist selbst Richterin an einem Münchner Zivilgericht. Auf die Frage "Soll der Papa mal versuchen, da etwas zu unternehmen?" kam ein Ja. Die Töchter fragten dann bloß: "Kann Mama das nicht gleich entscheiden, die ist doch Richterin?"
Wie bewerten Sie das Urteil des VGH (Az. 20 NE 20.2349)?
Mir ist wichtig zu sagen: Wir haben uns nicht gegen die Maskenpflicht als solche gewendet, sondern gegen die Maskenpflicht für Grundschüler im Unterricht. Diesem Antrag ist das Gericht nicht gefolgt. Man muss aber dazu sagen, dass es ein Eilverfahren war. Einem Landesgesetz müsste die Rechtswidrigkeit schon auf der Stirn geschrieben stehen, damit es im Eilverfahren gekippt werden kann. Ich hätte mir natürlich ein anderes Ergebnis gewünscht, aber es ist ein wichtiger Schritt, dass den Kindern jetzt immerhin Mundschutz-Pausen gewährt werden müssen.
Warum brauchen Kinder Tragepausen?
Die bayerische Maskenpflicht sieht bisher nicht vor, dass Kinder den Mundschutz auch mal zwischendurch abnehmen dürfen während eines langen Schultages von sechs bis acht Stunden. Hinzu kommt ja noch die Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln, die viele Kinder für den Schulweg benutzen. Kinder verbringen derzeit ihren wesentlichen Alltag mit Mundschutz. Ein Vergleich zum Arbeitsrecht: Ein Arbeitgeber müsste aufgrund seiner Fürsorgepflicht seinen Angestellten, die Masken tragen müssen, die Möglichkeit zu Tragepausen gewähren. Für die Schule hat das bis jetzt gefehlt. Jetzt müssen die Schulen und Behörden nachjustieren mit entsprechenden Regelungen für Pausenzeiten.
Wie stehen Sie dazu, dass Elterninitiativen derzeit im Landkreis bei Laternenumzügen ohne Mundschutz demonstrieren?
Ich sehe mich da in der Mitte des Meinungsspektrums. Ich bin kein Hardliner, aber ich hatte bei einigen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung juristische Bauchschmerzen, wie zum Beispiel bei Sperrstunden und Beherbergungsverboten. Aber die Corona-Pandemie muss in jedem Falle ernst genommen werden. Viele Diskussionen werden heutzutage sehr emotional geführt - da kann vielleicht eine Entscheidung wie die des VGHs zu einer Versachlichung der Debatte beitragen.

Starnberg:Eltern demonstrieren gegen die Maskenpflicht
Etwa 50 Erwachsene und 20 Kinder ziehen durch die Kreisstadt. Eine Teilnehmerin verliest eine Rede, die von Lichtbringern handelt. Passanten schütteln den Kopf über die Kundgebung.
Warum sind Schulpflicht und Maskenpflicht für Sie momentan unvereinbar?
Hier wird in das Recht auf Bildung und auf körperliche Unversehrtheit eingegriffen. Kinder haben ein Grundrecht auf Bildung, deshalb gilt die Schulpflicht. Wenn an den Schulen pausenlos Maskenpflicht herrscht, dann haben die Kleinsten keine Möglichkeit zu einer Pause. Für ältere Schüler und Lehrkräfte ist das vielleicht weniger schlimm, die können das Gelände auch mal verlassen. Grundschüler nicht. Es ist außerdem wichtig für kleine Kinder, dass sie die Lehrer und andere Kinder sehen können, um sich mitzuteilen und um beispielsweise zu verstehen, wie Umlaute gebildet werden. Man muss erst mal ein A sprechen können, um ein A vom O unterscheiden zu können. Auch die Emotionswahrnehmung über die Mimik ist wichtig in dem Alter - deshalb hat man die kleinen Kinder ja bisher im Unterricht von der Maskenpflicht verschont. Das Gericht hat erkannt, dass es europaweit nirgendwo eine so strenge Maskenpflicht im Unterricht für junge Schüler gibt wie in Bayern.
Warum wurde Ihr Antrag abgelehnt?
Das Gericht argumentiert damit, dass eine Ansteckung von jüngeren Kindern nicht auszuschließen ist. Ich fände es überzeugender, wenn die Evidenz eine größere Rolle gespielt hätte: Wie häufig kommt es denn tatsächlich vor, dass jüngere Kinder sich in der Schule anstecken? Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter sagte kürzlich, dass selbst zu den aktuellen Hochzeiten der Pandemie nur sehr wenige Grundschüler Corona-positiv seien. Und sogar in der Corona-Kita-Studie des Robert-Koch-Instituts steht, dass die kleinen Kinder am Pandemiegeschehen kaum teilnehmen. Wenn die Jüngsten das Virus offensichtlich kaum verbreiten, warum müssen sie dann länger Maske tragen als die meisten Erwachsenen?
Der Arzt und Pandemiebeauftragte Thomas Weiler sagt, das Wohl der Kinder sei durch den Mundschutz nicht gefährdet.
Im Urteil steht, dass "aus kinder- und jugendmedizinischer Sicht eine Maskenpflicht in der Schule ausdrücklich nur eingeschränkt und mit Tragepausen empfohlen wird". So fordert es auch die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. Klar kann man sagen: Die Kinder gewöhnen sich an alles. Und es ist auch wirklich bemerkenswert, wie tapfer unsere Kleinen Masken tragen. Aber es muss einen anderen Weg geben, als sich individuell ein Attest vom Arzt zu holen, damit die Kinder auch mal Luft holen können.
Wie reagiert die Schule auf das Urteil?
Unsere Erstklässlerin darf die Maske bislang nur beim Essen abnehmen, die Zweitklässlerin darf sie beim Stoßlüften im Klassenzimmer auf dem Sitzplatz abnehmen. Aber es ist in Krailling nach wie vor so, dass draußen an der frischen Luft während der Hofpause alle Kinder durchgängig Maske tragen müssen. Das soll sich jetzt ändern. Das Gericht hat darauf hingewiesen, dass das Absetzten der Maske nur möglich ist unter Wahrung des Mindestabstandes. Ich könnte mir vorstellen, dass man auf dem Pausenhof einen Bereich markiert, in dem nicht getobt wird, aber in dem man sich mal in Ruhe ohne Maske mit Abstand auf eine Bank setzen kann. Einfach mal Durchschnaufen zu können, ist ein Grundbedürfnis. So wie es Raucherinseln gibt, muss es jetzt eben Durchschnaufinseln geben.
Wie haben Sie Ihren Kindern das Urteil erklärt?
Ich habe Ihnen gesagt, dass ich nicht dafür sorgen konnte, dass die Maske im Unterricht wieder abgenommen werden kann - aber dass das Gericht entschieden hat, dass die Maske immer mal abgesetzt werden darf in bestimmten Situationen, wenn die Schule das zulässt. Darüber haben sich die Kinder gefreut.