Der neue Wirt lässt keinen Zweifel, dass für ihn der Kiosk an der Uferpromenade eine Herzensangelegenheit ist. „Herrsching würde was fehlen, wenn die Brandung nicht mehr da wäre“, sagt Volker Mergen. In den elf Jahren unter der Regie des Allround-Unterhaltungskünstlers Martin „Miene“ Gruber hat sich der Ausschank zu einem weithin bekannten Begegnungs-, Kultur- und Trinkzentrum entwickelt.
Die „Bayerische Brandung“ wird in einschlägigen analogen oder digitalen Reiseführern längst nicht mehr bloß als Geheimtipp geführt. Grubers Initiative gegen das 2018 beabsichtigte nächtliche Alkoholverbot samt Menschenkette erzeugte bundesweit Schlagzeilen. Noch vor einem Jahr bescheinigte Spiegel-Online dem Kiosk, „dass dieser Ort so magisch ist“. Was auch an der Musik liege, die dort läuft.
Je nach Witterung ist die Laufkundschaft kaum zu bewältigen. An einem schönen Wochenendtag – die Jahreszeit spielt inzwischen kaum eine Rolle mehr – flanieren wohl bis zu 10 000 Personen an der Promenade vorbei. Und doch ist die Strandbar neben dem Bootsverleih ein zentraler Treffpunkt für viele Herrschinger geblieben: Zum Weißbier, einem Spritz oder dem Haus-Longdrink „Amrei“ versammelt sich da zum Sonnenuntergang ein bunter Generationenmix von Einheimischen und Eingemeindeten.
So einer ist Volker Mergen auch, selbst wenn er als Breitbrunner bislang nur gelegentlich zur „Brandung“ geradelt ist. Denn gerade an publikumsträchtigen Tagen war er selbst genug mit Ausflüglern beschäftigt: Seit eineinhalb Jahren versorgt er die Kunden der Eismacherei Ammersee in Stegen am „Fischers am See“ mit gefrorenen Köstlichkeiten. Im Moment ist er freilich mehr am und im Herrschinger Kiosk beschäftigt, zudem ist er gerade wieder als Palliativ-Krankenpfleger unterwegs. Noch vor Weihnachten hatte Gruber die Bude ausgeräumt und dabei in den zahllosen Ecken und Nischen noch so manche unverhoffte Entdeckung gemacht. Wer das ausgeweidete Büdchen zu Augen bekommt, kann sich nur wundern, wie in diesem beschränkten Raum Küche, Bar, Theke, Personalbereich, Kühlschrank, Grill, Kaffeemaschine, Spüle, Getränke und allerlei Dekoration Platz gefunden haben.
Gleich nach Silvester hat Mergen mit der Renovierung begonnen: „Wir reißen gerade relativ viel ab, der Boden muss komplett raus“ – aber auch Teile der Wände wie etwa der Fliesenspiegel sind zu erneuern. Der genaue Umfang der Arbeiten hängt noch von der Begutachtung des Gesundheitsamtes ab. Bei der Suche nach einem neuen Pächter sind die Erbauer des Kiosks direkt auf ihn zugegangen und die Eigentümergemeinschaft des Hauses hatte keine Einwände. Nach kurzer Bedenkzeit sagte Mergen zu, obwohl alternativ die Bewirtschaftung des „Seewinkels“ zur Debatte stand: Auch die Gemeinde Herrsching hielt seinerzeit noch für ihre Strandgastronomie nach neuen Wirten Ausschau. „Ein großer Ammerseedampfer“ wäre das im Vergleich zur „Brandung“ gewesen: Die ließe sich „als leichtes E-Boot wesentlich geschmeidiger manövrieren“, scherzt Mergen.

Und so fährt sie statt im blau-weißen Rautenmuster unter mehreren bunten Fahnen, ließe sich ergänzen. Auf dem Mast über dem Kiosk wehten das Regenbogenbanner und eine Art „Jolly Roger“: Die modifizierte Piratenflagge mit Neptuns Dreizack und Schäferstab flatterte für die Umwelthilfsorganisation „Sea Shepherd“. Seitdem der Krieg in der Ukraine begann, bekundete zudem zeitweise eine blau-gelbe Fahne Solidarität mit dem überfallenen Land.
Von der kommenden Badesaison an wird der Uttinger Gruber das Strandbad seiner Heimatgemeinde übernehmen. Als er vor gut elf Jahren in die Brandung einzog, erfüllte er sich damit einen Jugendtraum – nun kehrt er zum Lieblingsplatz seiner Kindheit zurück. Zu den vielen Kuriositäten, die in Herrsching seinen kunst- und humorvoll ausgestatteten Kiosk bereicherten, gehörte auch das weltweit einzige „Honorarkonsulat des Ammersee-Westufers.“
Zumindest aber die angebaute Toilette der Lokalität müsste eigentlich unter Denkmalschutz stehen: Dort fand der Besucher neben Informativem zur Örtlichkeit und Mahnendem zum Toilettengebrauch vor allem die Einstrichzeichnungen des Pächters. Dessen Alter Ego Mario Milchbranndtweinstätter (die Schreibwiese variiert) publiziert jährlich im „Verlag akademischer Nasenbohrer“ einen Kalender mit Karikaturen. Darin gibt Gruber zu seinen Zeichnungen unter anderem Zitate wieder, die er am Kiosktresen aufgeschnappt hat.

Vorgänger und Nachfolger haben sich erst bei den Verhandlungen zur Übergabe näher kennengelernt. In Herrsching ist Mergen freilich gut bekannt: den Jüngeren vielleicht als Jugendleiter der Sportfreunde Breitbrunn – den Älteren als Pfleger eines örtlichen Kranken- und Seniorendienstes. Dass er 2008 einmal auf einem hinteren Listenplatz der Grünen für den Herrschinger Gemeinderat kandidiert hat, ist selbst bei ihm in Vergessenheit geraten: „Weiß ich gar nicht mehr“, sagt Mergen, eigentlich sei er „kommunalpolitisch eigentlich nicht besonders engagiert“. Mit seiner Frau Susanne hat der 51-Jährige zwei Kinder im Alter von 19 und 23 Jahren.
Mit dem drei Jahre älteren „Miene“ Gruber hat Mergen gemeinsam, dass er auf einer kurvenreichen Berufslaufbahn nicht bloß einschlägige gastronomische Erfahrungen gesammelt hat. Nach dem Aufwachsen in Trier schlug er dort eine Buchbinderlehre ein, dazu kam die pflegerische Ausbildung. Als um die Jahrtausendwende „Zugroaster“ eröffnete er gemeinsam mit seinem Landsmann, dem Bühnenregisseur Alexander May, 2011 die Cafébar „Schiefer“ in Münchens Maxvorstadt. Unter dem Motto „Köstlichkeiten und Kultur“ fanden dort Lesungen, Ausstellungen und Weinproben statt. Die beiden Wirte kochten und backten dort alles selbst, darüber hinaus boten sie Produkte und Spezialitäten aus der pfälzischen Heimat an, wie etwa Ofenkäse mit Quittengelee und Kartoffelmarmelade oder Baguettes mit Wildsalami und Nusskäse.

Auch an der Brandung dürfen künftige Gäste mit einer handverlesenen Auswahl pfälzischer Weine rechnen: Mergen wird von einem befreundeten Winzer beliefert, mit dem er gemeinsam in der Fußballjugendmannschaft gespielt hat. Er wolle eventuell das Essens-Angebot im Kiosk erweitern, was allerdings von der Genehmigung des Gesundheitsamts abhängt. Wenn möglich, sollen auch wieder Konzerte an der Brandung stattfinden. Dem Ex-Profimusiker Gruber (Die Schweißer, Gruba) gelang es immer wieder, bekannte Kollegen wie die Hochzeitskapelle für Ständchen an der Uferpromenade zu gewinnen – und Mergen konnte im „Schiefer“ Erfahrungen mit Kulturveranstaltungen sammeln.
Geht es nach dem Wunsch des neuen Pächters, soll der Kioskbetrieb ab März losgehen. Mergen will „erst mal einen Schritt nach dem anderen machen“, sein Konzept beruhe im Moment noch „ein bisschen auf dem Prinzip Try and Error“. Dass ihn vom späten Frühjahr an in der Brandung ein Ganztagjob erwartet, ist ihm klar. Zu Spitzenzeiten an den Wochenenden wird er zudem Hilfskräfte benötigen, dafür habe er „schon ein paar Interessenten an der Hand.“ Dass sich Mergen anstelle des Seewinkels für den winzigen Kiosk zwischen Seestraße und -ufer entschieden hat, hat auch sentimentale Gründe: „Dieser Ort ist einfach sehr besonders“. Er will sich dafür einsetzen, dass der Charakter des Kult-Kiosks erhalten bleibt, wo sich laut Deutschlandfunk Kultur „Landfreaks und Stadtflüchter treffen“. Die Brandung dürfe nicht zum Anziehungspunkt der „Fünfseenland-Schickeria“ und deren Münchner Spezln werden, denn Mergen ist „in erster Linie wichtig, dass es im Geiste von Miene weitergeht“.