Wenn die S-Bahn in den Weßlinger Bahnhof einfährt, steht Maximilian Hildebrandt am Fenster seiner neuen Bahnhofsgastronomie und beobachtet die aussteigenden Fahrgäste. Erspäht er einen Stammgast, beginnt ein stummer Dialog. Finger recken sich in die Höhe, Arme winken, Köpfe nicken oder werden geschüttelt. Wenn der Fahrgast dann aus der Unterführung kommt und die Türe zum „Ciao Mausi“ öffnet, steht seine Bestellung bereits auf dem Tisch.
Elf Jahre lang fristete der Wartesaal im historischen Bahnhofsgebäude ein tristes Dasein. Die Gemeinde hatte es gekauft, aber die Entwidmung der Flächen von der Bahn hat Zeit gebraucht. Heruntergekommen und wenig einladend war das Ambiente, der frühere Kiosk war längst geschlossen. Hildebrandt, der wie sein Geschäftspartner Raphael Tscheliesnig und Koch Maximilian Guttenthaler aus Weßling stammt, kennt das Gebäude seit seiner Kindheit. Er erinnert sich gut an das beklemmende Gefühl, das er als Kind hatte.„ Ich bin ungern in die Wartehalle gegangen, es war gruselig – kein schöner Ort.“
Hildebrandts Mutter hatte ihren Sohn über die Suche der Gemeinde nach einem Pächter für die Bahnhofswartehalle informiert. Seine Freunde musste er nicht lange überreden. Ein Konzept wurde erstellt, der Gemeinderat gab seinen Zuschlag. Dann musste die Halle renoviert werden. „Ohne die Hilfe vieler Freunde hätten wir es nicht geschafft“, sagt Hildebrandt. Gemeinsam haben sie den kahlen Wartesaal in ein gemütliches Wohnzimmer verwandelt. Allerdings in ein ungewöhnliches. Auf dem Boden liegen Teppiche, bunte Gemälde dienen als Akustikpaneel an der Decke, und in der Mitte des Raums steht der große Gemeinschaftstisch – eine Idee von Hildebrandt. Die Tischplatte aus Eichenholz ruht auf drei massiven Weinfässern und stammt von einem Weßlinger Baum. Ein getrocknetes Stück Rebstockwurzel erinnert an Hildebrandts Zeit in den toskanischen Weinbergen. Rundherum stehen kleine Einzeltische.
An einer Wand hängen schwarz-weiß-Fotos aus dem Gemeindearchiv, gestiftet von Ortshistoriker Erich Rüba. Sie erinnern an die Entstehung des Bahnhofs. „Damit die Leute begreifen, dass man solche Orte nicht aufgeben darf“, sagt Hildebrandt. An einem der drei verglasten Rundbögen hängt ein hölzernes Karussellpferd. „Das war unser erster Kauf für das Lokal“, so Hildebrandt. An den alten Kiosk erinnert das Regal hinter der Theke. Darin stehen die Behälter mit den Gummischlangen, weißen Mäusen und anderen Süßigkeiten für die „Überraschungstüten“, die bei den Schulkindern wegen des taschengeldfreundlichen Preises von einem Euro beliebt sind. Fahrkarten gibt es keine – auf dem Bahnsteig gibt es einen Automaten. Dafür sind die Toiletten tagsüber öffentlich zugänglich, eine Bedingung der Gemeinde Weßling an den neuen Pächter.


Gerichte oder Kaffee zum Mitnehmen gibt es nicht. „Wir wollen kein schnell-schnell“, betont Hildebrandt. Das Lokal soll ein ungezwungener Treffpunkt sein, wo man seinen Espresso genießt und nette Leute trifft. „Es ist ein Begegnungsort, wo man hingehen kann und Ansprache findet“, sagt der Wirt, und ein Ort, an dem man kulinarische Überraschungen erlebt. Wo gibt es das schon, dass ein Koch wie Guttenthaler, der im Münchner Edelrestaurant „Tantris“ gearbeitet hat, zur Bahnhofsgastronomie wechselt? Dabei haben die neuen Wirte, die früher im Tantris zusammenarbeiten, keine Vollkonzession. Erlaubt sind Gerichte aus dem Ofen. Es gibt nämlich keinen Dunstabzug und Fettabscheider. Trotzdem dauerte es ein halbes Jahr, bis die Konzession durch war, erinnert sich Hildebrandt.
Guttenthalers Kreativität leidet nicht unter diesen Einschränkungen. Statt Currywurst und Pommes stehen Pizzastücke und belegte Focaccias auf der Speisetafel. Keine Tiefkühlware – der selbstgemachte Teig ruht 48 Stunden. Daneben gibt es saisonale vegetarische Tagesgerichte. Etwa 60 bis 80 unterschiedliche Gerichte hat er bereits kreiert. „Ich habe noch nichts wiederholt“, erklärt er stolz. Bei seinen Gerichten legt er Wert auf den puren Geschmack seiner Zutaten. Meist verwendet er nicht mehr als drei Zutaten, und oft reicht ihm Salz zum Würzen.

„Ich mag unterschiedliche Geschmackserlebnisse im Gaumen“, erklärt er, etwa durch Kalt-Warm-Kontraste. Derzeit inspirieren den Koch Wintergemüse. So serviert er warmen geschmorten Radicchio mit kalten Salatblättern, Rohkost und Ricotta oder Feldsalat mit gefüllten Pilzen. An diesem Tag bietet er „Winterspargel“ an, Schwarzwurzeln mit Brot-Hollandaise. Der fein-säuerliche Geschmack, der durch die Vinaigrette betont wird, verleiht den Stangen Raffinesse. Einen besonderen Geschmack bekommt sein Gemüse durch Einlegen und Fermentieren.
Viele Stammgäste tasten sich über die Pizzen und kalten Platten mit Parmaschinken, Mortadella und Salami langsam an die Tagesgerichte heran, da müsse er manchmal Überzeugungsarbeit leisten, sagt Guttenthaler. Wer aber einmal probiert habe, werde zum „Wiederholungstäter“. Neben den Kochkreationen ist die Weinkarte untypisch für eine Bahnhofsgastronomie. Hildebrandt ist Sommelier und arbeitete vier Jahre auf einem Weingut in der Toskana. Von Italien brachte er nicht nur die südländische Lebensart, sondern auch seine Expertise mit. Den Wein bezieht er von Weingütern, die er selbst besucht. Auf der Karte stehen neben guten Hausweinen auch hochpreisige edle Tropfen.
Nach einem halben Jahr ziehen die drei ein positives Fazit. „Wir haben unseren Schritt keine Sekunde bereut“, versichern sie. Auch die Gäste wollen das „Ciao Mausi“ nicht mehr missen. Mittlerweile herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. An einem Tisch sitzen vier Frauen, an einem anderen genehmigen sich zwei Gäste einen schnellen Espresso, eine Frau bringt „einfach so“ ein Brettspiel vorbei. Zwei Ausflügler mit Rucksack trinken etwas. Abends kommen viele junge Leute, die bis Mitternacht bleiben können. „Bei uns ist immer etwas los“, betont Hildebrandt. Dann fährt wieder eine S-Bahn ein, und Hildebrandt eilt zu seinem Aussichtsfenster, um die Bestellungen vom Bahnsteig aus per Handzeichen entgegenzunehmen.
Das „Ciao Mausi“ in der Bahnhofsstraße 11 a in Weßling hat dienstags bis samstags von 12 bis 24 Uhr geöffnet.