Bahnhof in Starnberg:Der Traum vom Zugang zum See

Starnberg  Postkarten

Wie eine alte Postkarte beweist: Für die Bahn wurde ein Damm aufgeschüttet.

(Foto: Georgine Treybal)
  • Der 73-jährige Diplom-Ingenieur Lutz J. Janssen hat einen überaus ernst zu nehmenden Entwurf für einen Seebahnhof auf den Weg gebracht.
  • Bisher trennen Schienen die Stadt Starberg vom See.

Von Peter Haacke, Starnberg

Die Idee ist wahrlich nicht neu, aber über all die Jahre hat sie sich außerordentlichen Charme bewahrt: Wenn die Bahngleise in Starnberg die Stadt so störend vom See trennen, warum verlegt man das Ganze nicht einfach nach unten? Schon Ende des 19. Jahrhunderts gab es Vorschläge zur Verlegung des Starnberger Seebahnhofs; 1933 folgte die konkrete Idee zum Bau eines Bahntunnels (siehe Kasten). Doch bis zum heutigen Tag blieb die Eisenbahn dort, wo sie schon seit 1854 ist - und wirkte wie eine störende Barriere mitten im Herzen der Stadt.

Geht es nach Lutz J. Janssen, wäre ein Bahntunnel in kostengünstiger Bauweise die einzig nachhaltige Lösung für Starnberg. Der 73-jährige Diplom-Ingenieur hat einen überaus ernst zu nehmenden Entwurf auf den Weg gebracht: Ein gutes Jahr lang hat er getüftelt, geplant, gerechnet, geprüft und geschrieben. Er verbrachte Zeit in Archiven, hortete historisches Material ebenso wie aktuelle Pläne bestehender Bahntunnel, sammelte alte Postkarten mit Ansichten des Starnberger Seebahnhofs, fand alle möglichen Unterlagen, sprach mit Experten. Am Ende reifte die Erkenntnis, dass es durchaus möglich sein könnte, durch innovative Bahntechnologie nach Regeln der Technik die Trennwirkung der Gleise bezahlbar aufzuheben - die Lösung eines hoch komplexen Problems, dass unter dem Begriff "Seeanbindung" jedoch politische Brisanz birgt.

Kernproblem ist die Trennung von Stadt und See

Die Zeit drängt: 2017 läuft ein 1987 zwischen Stadt Starnberg und Deutscher Bahn geschlossener Vertrag aus. Zwar hat der überfraktionelle "Arbeitskreis Seeanbindung" in den Jahren 2012 bis 2014 konkrete Empfehlungen für den oberirdischen Umbau des Areals vom Undosa bis zur Ludwigstraße erarbeitet. Das Ergebnis ist eine deutliche Verbesserung der heutigen Situation, löst aber nicht das Kernproblem: Die Trennung von Stadt und See.

Starnberg Lutz J.Janssen

Hier zeigt Lutz Janssen seine Entwürfe.

(Foto: Georgine Treybal)

Weit sind die Planungen gediehen. Doch die aktuelle Mehrheit im Stadtrat - BMS, WPS, BLS und FDP - meint, dass dieser Vertrag nicht erfüllt werden sollte. Insbesondere die von der Bahn geforderte Gleisverlegung und ein Wendegleis vorm Undosa - beides müsste die Stadt bezahlen - gelten als Knackpunkte. Der aktuelle Entwurf ist mit rund 63 Millionen Euro Kosten kalkuliert. Völlig ungewiss dagegen ist, welche rechtlichen und finanziellen Folgen ein Nichterfüllen des Vertrags hätte. Nicht auszuschließen wären unter städtebaulichen Aspekten im schlechtesten Fall katastrophale Folgen für die Stadt.

"Freier Seezugang ohne Gleise"

Das weiß auch Janssen, der sich tief in die vielschichtige Materie hineingearbeitet hat, sich bei Experten schlau machte und vergleichbare Projekte als Referenzen aufführt. Bahngleise, Deckenstromschienen, feste Fahrbahnen, Bahnsteigtüren, Rampen, Parkplätze, Zufahrten und gestalterische Aspekte - der Entwurf birgt verschiedenste Überlegungen, die allesamt eine Diskussion wert sind. Allen im Stadtrat vertretenen Fraktionen stellte er seine 60-seitige Kurzfassung zur Verfügung, Bürgermeisterin Eva John ließ sich das Projekt im Mai erklären: "Freier Seezugang ohne Gleise" steht auf dem Deckblatt, und "Kostengünstiger Kompakt-Bahntunnel anstelle der oberirdischen Gleisverlegung mit vier Unterführungen".

Doch abgesehen von CSU und Grünen gab es bislang keine Reaktionen: Insbesondere die WPS und der Verein "Schöner zum See" halten es für wichtiger, den Bahnvertrag auslaufen zu lassen. Ernst zu nehmende Alternativen und konkrete Planungen gibt es nicht. Stattdessen wächst nach Janssens Ansicht die Gefahr, dass dann die Bahn die Bahnhöfe zwar barrierefrei ausbaut, ansonsten aber nichts mehr passiert. Dabei ist Janssen überzeugt: "Selbst die kleinste und billigste Variante meines Kompakttunnels ist tausend Mal besser als die bisherige oberirdische Lösung mit oder ohne Gleisverlegung."

Den "Kompakttunnel" wurde in zwei Tiefenlagen untersucht

Insgesamt vier Variantengruppen hat Janssen erarbeitet: Mit Überhol- oder Durchfahrgleis, mit drei oder vier Gleisen, Regionalzughaltepunkt und Wendegleis am Bahnhof Nord oder See. Den "Kompakttunnel" wurde in zwei Tiefenlagen untersucht: 1,42 Meter über der Seepromenade und 62 Zentimeter über der Straße oder komplett unter der Seepromenade. Grundsätzlich gilt: Je tiefer, umso teurer. "Billig wäre aber nicht die beste Lösung", weiß Janssen. Sein persönlicher Favorit ist die Variante J5-C2: Vier Gleise, zwei Außenbahnsteige.

Die Oberkante des Tunnels wäre gut einen halben Meter unter dem Niveau der Seepromenade, die Gleise führen über steile Rampen mit 40 Promille nach unten, Regionalzughaltepunkt und Wendegleis am Bahnhof Nord. Entscheidender Vorteil: Wartende auf dem Bahnsteig wären durch Regionalzüge oder ICE, die mit 80 km/h am Bahnhof See durchrauschen, ungefährdet, denn die Züge wären getrennt von den Bahnsteigen in der Mitte des Tunnels. Doch auch die übrigen Varianten haben Vor- und Nachteile. Gleichwohl gibt sich Janssen zurückhaltend bei den Kostenberechnungen - aus gutem Grund: Zwar wäre die Gleisverlegung in den Untergrund nach grober Schätzung der Baukosten wohl teurer. Doch könnte die Stadt höhere Erlöse aus Grundstücksverkäufen erzielen. "Ich bin sicher, dass wir dadurch für die Stadt kostengünstiger werden als die oberirdische Lösung", sagt Janssen.

Keine "Ramsch-Lösung"

Vorgeschlagen wird auch eine neue Strategie im Hinblick auf Verhandlungen mit der Bahn: Janssen empfiehlt, wie derzeit bei der Bahn üblich, auf Basis des bestehenden Vertrags eine Vereinbarung auszuhandeln, bei der die Stadt lediglich die tunnelbedingten Mehrkosten trägt. Zudem sollten Fördermittel ausgeschöpft werden. An Starnbergs prominentesten Fleck soll keine "Ramsch-Lösung" entstehen, sondern ein Bauwerk, das künftigen Anforderungen gewachsen ist. "Wichtig ist, mit der Bahn und der Bayerischen Eisenbahngesellschaft als Besteller der Bahnleistung wieder ein vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen. Dann käme es "zu einer tragfähigen Lösung für beide Seiten", glaubt Janssen - und verweist auf den S-Bahntunnel Unterföhring oder den Citytunnel Leipzig.

Fraglich ist, ob Stadtrat oder "Projektausschuss Bahnhof See" bereit sind, über den Vorschlag nachzudenken - mithin eine von taktischem Geplänkel geprägte politische Frage. So hat etwa die FDP jahrelang eine unterirdische Lösung verlangt, zögert jetzt aber. Noch unverständlicher die Haltung von "Schöner zum See": Die Vorläufer-Organisation "Initiative Seepark Starnberg" warb einst mit dem Slogan: "Schicken Sie die Bahn unter die Erde". Heute scheint man davon nichts mehr wissen zu wollen. Stattdessen ersann man einen rund 20 Millionen Euro teuren Entwurf ("Bauen und Bewahren"), der aber das Kernproblem der Trennwirkung auch nicht löst und bestenfalls als Zwischenlösung taugt - sofern eine planfestgestellte Oberflächengestaltung existiert.

Was nach 2017 geschehen soll, ist unklar

Janssen hat dem Verein sein Konzept in einer frühen Projektphase vorgestellt, doch die Begeisterung hielt sich in Grenzen. Der Kurs deutet eher darauf hin, Starnberg in eine Situation zu manövrieren, die einzig das Ende der Bahnverträge zeitigen soll. Was nach 2017 geschehen soll, ist unklar. Kritiker fürchten, dass die Bahn als Verhandlungspartner mauern und nicht benötigte Grundstücke dann zu marktüblichen Preisen auf dem freien Markt anbieten könnte. Schlimmstenfalls wäre die Seeanbindung im wahrsten Sinne des Wortes "verplant".

Die Beschäftigung mit Janssens Plänen, die freilich noch "durchgeprüft" werden müssten, vereitelte jüngst eine Mehrheit im neuen "Projektausschuss Bahnhof See": Erst will man wissen, wie teuer die oberirdische Lösung mit oder ohne Gleisverlegung werden könnte. Kritische Beobachter interpretieren das als ABM-Maßnahme für die Verwaltung und Zeitschinderei, denn längst liegt der Vorentwurf des "AK Seeanbindung" für einen oberirdische Umbau vor. Eine Tunnellösung war aus Kostengründen verworfen worden. Sinnig erscheint in diesem Zusammenhang die Frage, was es Starnberg kostet, würden die Verträge nicht eingehalten.

Letzte Option scheint ein Bürgerentscheid zu sein, der von der CSU für 2016 ins Spiel gebracht wurde. Letztlich könnten dann die Starnberger entscheiden, ob sie eine technisch weitgehend gesicherte oberirdische Lösung oder lieber ein Pokerspiel mit ungewissem Ausgang wollen. Die dritte Variante "Kompakt-Tunnel" steht noch nicht zur Debatte: Sie ist vielen Stadträten nicht bekannt und müsste öffentlich diskutiert werden. In der Bevölkerung aber gibt es große Sympathien für die Idee, Bahnhof nebst Gleisen quasi verschwinden zu lassen. Die Starnberger bekämen so die schönste Stelle an ihrem Seeufer zurück - mit uneingeschränktem und einzigartigem Alpen- und Seeblick.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: