Musik:Erklärende Konzerte

Musik: Die Pianistin Elisabeth Hopkins präsentiert sich zwischen Bücherregalen und Steinway-Flügel in ihrem Wohnzimmer in Gilching.

Die Pianistin Elisabeth Hopkins präsentiert sich zwischen Bücherregalen und Steinway-Flügel in ihrem Wohnzimmer in Gilching.

(Foto: Arlet Ulfers)

Die in Gilching lebende Pianistin Elizabeth Hopkins ist fasziniert vom Werk des Zahlenmystikers Bach. Mit i-Pad, Beamer und farbig markierten Noten lässt sie ihre Zuhörer an ihrer Begeisterung teilhaben.

Von Gerhard Summer

Dieses Wohnzimmer ginge auch als kleiner Konzertsaal durch. Mittendrin thront ein Steinway mit aufgeklapptem Deckel, 2,11 Meter lang und spiegelnd schwarz, dahinter stehen fünf überbordende Bücherregale. Und weil der offene Raum trapezförmig ansteigt, an seiner höchsten Stelle bestimmt sechs Meter hat und Holzparkett auf dem Boden verlegt ist, bekommt jeder Ton, den Elizabeth Hopkins auf den Tasten anschlägt, Glanz, Fülle und Fundament.

Gelegentlich setzt sie sich an den Flügel, nicht um die Akustik zu demonstrieren, sondern um zu zeigen, wie sehr sich doch die Aria aus Bachs "Goldberg-Variationen" und das in Akkorde gesetzte Thema aus Händels "Grobschmied-Variationen" ähneln. Oder der letzte Satz aus Strawinskys einziger zu Lebzeiten veröffentlichter Klaviersonate: Fängt er nicht so ähnlich an wie die e-Moll-Fuge aus dem "Wohltemperierten Klavier" des Thomaskantors, nur deutlich schärfer gewürzt? Ein paar Mal singt einem die schlanke Frau mit den roten Haaren und dem Bubikopf auch Themen vor, aber sie übertreibt es nicht. Ist ja kein musikwissenschaftlicher Vortrag.

So ähnlich geht die Pianistin aus Gilching auch in ihren Erklär-Konzerten im Rathaus vor: keine Erläuterung zu wenig, aber auch keine zu viel. Sie hat ein i-Pad dabei, die Noten der durch alle Tonarten führenden Präludien und Fugen aus dem "Wohltemperierten Klavier" lässt sie mit einem Beamer auf die Leinwand projizieren, die Themeneinsätze der Fugen sind farbig markiert. Klar, sie will, dass ihr Publikum versteht, was sie an diesem großen Barockkomponisten so fasziniert, sie möchte den Zuhörern Zugang "zu dieser wunderbaren Musik" verschaffen. Also spricht sie beispielsweise über den Zahlenmystiker Bach. Nur ein Beispiel: Das Thema der ersten Fuge aus dem "Wohltemperierten Klavier" besteht aus 14 Noten. Auf dasselbe Ergebnis kommt man, wenn man den Buchstaben des Namens Bach Zahlen zuordnet, also dem B die zwei, dem A die eins, dem C die drei dem H die 8. Und dieses Thema komme in der ersten von 24 Fugen dann 24 Mal vor, "ein versteckter Hinweis auf das, was folgt", wie Hopkins sagt. Oder sie weist auf optische Kreuzmotive hin, die Bach in seinen Partituren versteckt hat. Aber sie würde sich wohl nie groß über komplexe Themen wie die wohltemperierte Werckmeister-Stimmung und das pythagoreische Komma auslassen, auch wenn ein Konzertbesucher sie schon darum gebeten hat. "Ich glaube, ich lasse die Hände davon", sagt sie. "Das wäre ein wissenschaftlicher Vortrag, das bin ich nicht". Letztlich gehe es ihr ja darum, "so wenig wie möglich zu reden." Mehr noch: "Auch wenn niemand diese Musik hören wollte - ich mache die Konzerte für mich."

Mit ihrem Lieblingskomponisten Bach können viele nichts anfangen

Die mit Anmerkungen versehenen, eineinhalbstündigen Bach-Abende der schottischen Musikerin, die durch ihre Cousine Caroline Bergius nach Gilching gekommen ist, haben tatsächlich Seltenheitswert. Die meisten Pianisten spielen nur. Doch kaum einer erklärt Hintergründe oder taucht für seine Zuhörer ein wenig in die Noten ein. Vielleicht auch aus der Angst, er könnte sein Publikum überfordern, langweilen oder beides zusammen. Schließlich sitzen da neben ein paar Klassikkennern vorwiegend Laien, für die Musiktheorie ein Buch mit sieben Siegeln ist. Auch Hopkins nie überfrachtete Bach-für-alle-Konzerte locken nicht die Massen an. Trotzdem hat sie mit ihrer im September 2021 begonnenen, dem "Wohltemperierten Klavier" gewidmeten Reihe einen kleinen Coup gelandet. Bei ihrem jüngsten Konzert im Januar sei der Saal "so gut wie voll gewesen", allerdings bei nur 25-prozentiger Auslastung. Hopkins war aus einem einfachen Grund auf das Konzept der moderierten Konzerte gekommen, die sie mal "Meisterwerke am Mittwoch", "Sunday Specials" oder "Meisterwerke unter der Lupe" nannte. Sie sei so oft gefragt worden, wer ihr Lieblingskomponist ist. Und als sie dann Johann Sebastian Bach nannte, habe sie oft den Kommentar gehört: "Ach, damit kann ich gar nichts anfangen". 1995 startete sie eine ganze Reihe von Konzerten für Volkshochschulen, ob in Neustadt an der Saale oder Landsberg, ob zum Thema "Bach in Köthen" oder zu den "Goldberg-Variationen", und war überrascht von der Resonanz. "Die Leute waren so angetan", sagt sie. Zum 250. Todestag des 1750 gestorbenen Barockmeisters folgten Gastspiele für die Münchner VHS im Gasteig, zuletzt trat sie dort und im Gymnasium Gilching mit Instrumentalisten wie Andreas Schablas, Boris Kucharsky und Thomas Carroll in der Serie "Connexions" zur Abenteuerreise quer durch die Musikgeschichte an.

Nun also, und auch das dürfte einmalig sein, nimmt sie sich an acht Abenden das komplette "Wohltemperierte Klavier" vor, verteilt auf drei Jahre. Ein Unterrichtswerk, das sonst allenfalls als Event in zwei Konzerten hintereinander zu hören sei. Doch diese Form der Aufführung "wird der Musik nicht gerecht", sagt die Musikerin, die "absolutes, aber nicht voll trainiertes Gehör" hat. Die Stücke in der vorgegebenen chromatischen Folge abzuspulen, "tut fast weh". Es sei wichtig, "dass da ein paar Minuten dazwischen sind, bis es weitergeht", ansonsten könnte man sich nach einer halben Stunde gar nicht mehr konzentrieren. Ans Ende ihrer Privatissima setzt Hopkins stets das Werk eines Komponisten, der vom Thomaskantor stark beeinflusst ist. Zuletzt im Januar war das die Strawinsky-Sonate. Beim nächsten Mal Mitte März ist Opus 110 in As-Dur von Beethoven dran, der schon als Kind das "Wohltemperierte Klavier" spielte und dabei eine Abschrift der Noten nutzte, die sein Lehrer besaß. Bachs "Kopfmusik, die aber so was von aus dem Herzen kommt", fasziniert die Pianistin seit jeher. "Alles an Leben, alles an Gefühlen ist in dieser Musik". Und obwohl Bach in einem engen Fugen-Korsett vorwärts schreite, "bewegt er sich vollkommen frei, als ob da gar keine Grenzen wären." Von seinem 30. Lebenswerk an habe der berühmte Komponist nur noch absolute Meisterwerke geschrieben. "Keine Note zu viel, keine zu wenig", sagt die Gilchingerin.

Von Schottland nach Gilching

Hopkins stammt aus der schottischen Stadt Ayr, die viele zumindest aus dem Kreuzworträtsel kennen, ist aber in England aufgewachsen. Ihr Vater versuchte sich am Klavier, ihre "so was von musikalische" Mutter spielte gar kein Instrument. Mit sechs bekam die kleine Elizabeth Hopkins den ersten Klavierunterricht, mit elf war sie Jungstudentin am Trinity College of Music in London. Durch ein Stipendium kam sie in die Klasse von Professor Erik Then-Bergh an der Musikhochschule München, den ihr ihre Cousine ans Herz gelegt hatte. Ein Glücksfall, wie sie sagt, denn der Lehrer Then-Bergh sei das "Beste gewesen, was mir passieren konnte". Durch Caroline Bergius, die mit einer Maklerin befreundet war, kam sie auch zu ihrer ersten Wohnung in Gilching. Sie lebte dort mit ihrem Mann fast 15 Jahre, bevor das Paar in das Haus mit dem konzertsaalartigen Wohnzimmer umzog.

Wie es weitergeht? 2023 steht erst mal der zweite Teil des "Wohltemperierten Klaviers" an, wieder sind vier Abende in Gilching geplant. Danach könnte die Pianistin, die vier Stunden am Tag übt, in der Repertoireauswahl konservativ ist und ihr Alter nicht verrät, natürlich noch die Partiten, die Französischen und Englischen Suiten von Bach draufsetzen. "Aber vielleicht mach ich auch alle Mozart-Sonanten, dann Beethoven, alles von Schubert und Brahms. Und ich muss 150 Jahre alt werden", sagt Elizabeth Hopkins mit trockenem Humor. "Das schaffe ich schon."

Der dritte Teil in der Bach-Reihe folgt am 18. März (19.30 Uhr) und am 20. März (11 Uhr) im Saal des Rathauses Gilching. Karten und Infos: kunstforum-gilching.de.

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