Auf die Vernissage hat man im Buchheim-Museum bewusst verzichtet. Eine Eröffnungsfeier hält Direktor Daniel Schreiber angesichts des derzeitigen Pandemiegeschehens schlichtweg für "unangebracht". So ist am Wochenende eine Sonderausstellung dezent und leise gestartet, deren Werke ihn mit ihrer "lauten und schöne Bildsprache" beeindruckt hätten. Obwohl die Maler und Malerinnen für die Kunstwelt völlig unbeschriebene Blätter geblieben sind, verdienen ihre mit einfachsten Mitteln bewerkstelligten Gemälde ganz besondere Aufmerksamkeit: Farbenprächtig, aber nie grell und kompositorisch überzeugend strotzen sie vor erzählerischen Elementen, die auf eine Entdeckungsreise in den fernöstlichen Kulturkreis einladen.
Der Titel "Chinesische Bauernmalerei" schürt vielleicht die Erwartung auf vertraute historische oder historisierende Darstellungen, doch schon die leuchtend klaren Farben der Bilder belehren eines Besseren. Frisch und voller Ideen, ohne sich den Regeln der Perspektive unterzuordnen, geben sie unverfälschte Lebenseindrücke wieder, deren Vielfalt auch bei einem mehrstündigen Museumsbesuch nicht vollständig zu erfassen ist. Die Ausstellung kann durchaus auch mit Kindern Spaß machen, denn es gibt unzählige wunderbare Details zu entdecken - wie etwa die Grillen in "Gemüsegarten bewässern" oder das Fernsehgerät, das sich in "Die Braut wird abgeholt" unter der Mitgift auf dem Karren des Hochzeitspaares verbirgt; beide Bilder hat Wu Shuling gemalt. Und Kuratorin Irene Wegner verweist auf die Gefäße, die in Zhao Xinja "Töpferei" zu sehen sind: Die Ornamente seien ganz klar neolithischen Ursprungs, mithin also mindestens 5000 Jahre alt und ein Beweis dafür, wie tief uralte kulturelle Traditionen in der chinesischen Landbevölkerung verwurzelt sind.
In den oft ornamental gestalteten Bildern lassen sich aber auch Parallelen zum Jugendstil erkennen. Und auch der Vergleich zu den Expressionisten liegt angesichts der flächigen Farbgebung und der gewagten Kompositionen nahe, deswegen ist ein Teil der Ausstellung auf der Galerie des großen Museumssaal aufgehängt. Schreiber schwärmt von der "phantastischen bildnerischen Begabung", die aus den Werken dieser Volkskunst spreche. Buchheim selbst hätte "mit seinem leidenschaftlichen Sinn für Reinfarbigkeit und Erfindungsreichtum und Originaliät" an dieser Bilderschau voller Lebensfreude seine wahre Freude gehab, glaubt Schreiber: "Er war ja immer für alle Erweiterungen und mehr oder weniger verrückte Ausstellungen offen." Zudem sei der Autor, Maler und Sammler ein "glühender Chinaverehrer" gewesen, der im Haus gern am Lackschreibtisch im "chinesischen" Zimmer" saß, umgeben von Glasvitrinen mit fernöstlichen Miniaturen. 1963 hielt sich Buchheim erstmals in Hongkong auf und fotografierte viel, 1989 reiste er abermals ins Reich der Mitte. Um die nun in Bernried präsentierte, zeitgenössische ländliche Kunst kennenzulernen, fehlte es Buchheim bei dem nur wenige Tage währenden Besuch an der Zeit, erzählt Schreiber.
So blieb die "Entdeckung" der Malerkolonie im Kreis Xinji Ingrid Jansen vorbehalten. Von 1986 an verbrachte sie drei Jahre in China, als ihr Mann Theo mithalf, ein Chinesisches Patentamt in Beijing aufzubauen. Bei regelmäßigen Besuchen im Nationalmuseum erwachte ihr Interesse an der zeitgenössischen Volksmalerei. Die gelernte Buchhändlerin nahm Kontakt mit den Künstlern auf und durfte sie in dieser kurzen Phase der Öffnung und politischen Liberalisierung sogar im Dorf Wangxia besuchen. "Auf den Bildern hier sehen Sie lauter fröhliche Farben, aber das Dorf war grau in grau", erinnert sich Jansen, insofern handle es sich um "reine Illusionsmalerei". Sie, die auch Scherenschnitten und Holzdrucke sammelt, erwarb Gemälde von etwa 20 Bäuerinnen und 12 Bauern, die im Zeitraum von 1987 bis 1997 entstanden sind und auch auf dem internationalen Kunstmarkt Interesse finden.
Diese Malerei lasse sowohl die Traditionen volkstümlicher Handwerkskunst oder der Tempelmaler erkennen wie auch die Einflüsse der Propagandaplakate zur Zeit der Kulturrevolution, die noch kurz zuvor das Straßenbild in China beherrschten, erläutert Wegner. Sie hat die Ausstellung initiiert und den Kontakt zwischen Sammlerin und Museum hergestellt. Von der Kuratorin r stammen auch die liebevoll gestalteten Texttafeln zu den einzelnen Themenfeldern: Die Exponate sind in die Bereiche "Leben in Haus, Hof und Dorf", "Dorfmedizin", "Arbeiten auf dem Land", "Familienfeiern und Feste" aufgeteilt. Dazu werden Fotografien von Theo Jansen vom Aufenthalt Ende der 1980er Jahre gezeigt, in zwei Vitrinen findet sich Kunsthandwerk vom Teeservice über reich bestickte Löwenpuppen bis zum Papierschirm, wie er zur Ausstattung der Barfuss-Doktoren für die weitläufigen Patientenbesuche gehörte. "Der Arzt wird gerufen" lautet auch der Titel eines der Bilder.
Um diese Malerei, die in Europa bislang weitgehend übersehen oder unterschätzt wurde, in Bernried kennenzulernen, bleibt noch mindestens bis zum 6. März Zeit. Und vielleicht erlaubt die Pandemie bis dahin ja auch, die Vernissage nachzuholen.